Ingrid Commandeur / Trudy van Riemsdijk-Zandee (eds.): Robert Smithson. Art in Continual Movement. Contemporary Reading. With Texts by Anja Novak, Max Andrews, Vivian van Saaze, Stefan Heidenreich, Eric C.H. de Bruyn and Sven Lütticken, Amsterdam: Alauda Publications 2012, 239 S., ISBN 978-90-815314-8-1, EUR 39,95
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Wahrscheinlich war er der anspruchsvollste Künstler des 20. Jahrhunderts: Robert Smithson, der als amerikanischer Bildhauer 1970 mit einem Riesenaufwand an Erd- und Steinverlagerung mithilfe zahlreicher Bulldozer und Kränen sein "Spiral Jetty" - eine sich zum Inneren verjüngende Spirale - in einen Salzsee bei Utah schütten ließ und damit ein Symbol für die Genesis und die ablaufende Zeit des Universums schuf. Leicht lässt sich sein Werk nicht einordnen. Gehört er nun zur Bewegung der Land-Art, Prozess-Art, Site- sowie Non-Site Art, Concept Art...? Er war ein streitbarer Künstler, dem das Erreichte nie genug war, die Bedeutungsvielfalt seiner Werke für den Betrachter ebenso wenig. Um sich darüber Rechenschaft zu geben, machte er Filme, zeichnete unermüdlich und hinterließ nach seinem frühen Tode umfangreiches theoriegeladenes Schrifttum: "The Writings of Robert Smithson", 1979 herausgegeben von Nancy Holt. Wer sich also kunsthistorisch um die bewusstseinserweiternde und den Markt verweigernde Kunstproduktion des 20. Jahrhunderts kümmern will, kommt um das Gesamtwerk von Robert Smithson und seinen vielseitigen Einfluss auf die Jüngeren nicht herum.
Entsprechend umfangreich ist die Literatur über ihn, aber zu seinem weiteren Werk der Land-Art, das als einziges seiner Groß-Projekte in Europa zur Ausstellung "Sonsbeek '71 buiten de perken" (Sonsbeek außerhalb der Grenzen) bei dem niederländischen Ort Emmen als "Broken Circle/Spiral Hill" aus Wasser, Sand, Stein und Erde entstand, gab es bisher noch keine monografische Untersuchung. Nun liegt sie in englischer Sprache als schön gestaltetes Buch vor und man erwartet viele Fotos, Dokumente und Zeichnungen. Doch die Erwartung wird zunächst enttäuscht, denn das Buch fährt zweigleisig. Bereits das Foto auf dem Buchumschlag zeigt nicht etwa den gebrochenen Kreis aus halb Sand und halb Wasser (umgeben von einem dünnen Deich) und einem Riesenfindling auf dem Sandteil - eine Art Yin/Yang - sowie daneben einen Erdhügel mit einer aufsteigenden Wegspirale, sondern den Künstler und seine Frau Nancy Holt seitlich ganzfigurig beim Fotografieren, jedoch nicht deutlich erkennbar. Offensichtlich suggeriert die Aufnahme, dass sie für Smithson "Modell einer engagierten Betrachtungsweise" stehen soll, um das sich das Buch im "contemporary reading" zu kümmern verspricht. Das prominente Werk in Emmen wird zunächst nur in einer Zeichnung in Aufsicht, später beim Aufbau und erstmals (!) auf Seite 79 im kleinen Foto-Format gezeigt, obwohl die ausgezeichnete Einführung über das monografische Ziel des Buches nicht weiter rätseln lässt. Jedoch wird bereits hier der allumfassende Anspruch des Künstlers: "Art in Continual Movement" hervorgehoben, sodass man ahnt: Eigentlich ist es ein ganz anderes Buch, nämlich eines für tiefsinnige Analysen mit anderweitigem Abbildungsmaterial unter Titeln wie "Models of Spectatorship", "Art, Research, Ecology" sowie "The Cinematic" und nur im geringeren Masse, vielleicht zu 40 Prozent, eines, das sich allen verfügbaren und in anschaulichen Faksimile-Abbildungen zusammengefassten Dokumenten zum Erdkreis in Emmen widmet.
Nun gilt es, die betrogene Erwartung beiseite zu schieben und sich auf die vorangestellten Aufsätze einzulassen. Viele nehmen Smithson eher zum Anlass, um sofort auf seine Wirkung auf jüngere Künstler einzuschwenken, beispielsweise auf Olafur Eliasson, obwohl ein weniger in der Smithson-Thematik geschulter Leser noch gar nicht weiß, was dieser für einen Platz in der Kunst hatte und was es mit "Spiral-Jetty" und dem "Broken Circle" eigentlich auf sich hatte. Die Autoren gehen davon aus, dass man sich bereits eingehend mit ihm beschäftigt hat. Und in der Tat, wenn man das Alter der Rezensentin erreicht hat, hat man natürlich die umfangreiche Ausstellung 1983 im Kröller-Müller Museum in Otterlo oder im Herbert F. Johnson Museum/Ithaca oder im Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg gesehen und kennt den Katalog, den damals Robert Hobbs verantwortete, hat mehrfach den (recht pathetischen) Film "Sprial Jetty" (1970) mit dem ständig gegen die Spirale ankreisenden Hubschreiber und zur Genesis beschwörenden Musik in internationalen Großausstellungen vorgeführt bekommen, und in den Niederlanden vielleicht um 1982-1984 die Mediendiskussion zur kostspieligen Erhaltung des Erdkreises von Emmen verfolgt. So aber bleibt dieses alles zunächst unerwähnt, später im Buch in einem wissenschaftlichen, auf Theorie ausgerichteten Aufsatz von Vivian van Saaze dagegen wohl erörtert. (Erstaunlicherweise blieben bekannte Künstler, die sich in den Tageszeitungen damals für die Erhaltung des "Broken Circles" eingesetzt hatten, im Buch ungenannt.) Die Chronologie der damaligen Ereignisse wird mit den vorliegenden Aufsätzen über "contemporary reading" umgekehrt. War es programmatisch gemeint? Logischer wäre es wohl gewesen, man hätte erst die Dokumentation und dann die erweiternden Aufsätze eingebunden.
Wer sich damit abfindet, hat reichen Lesegewinn. Nur im geringen Maße gibt es zurzeit Aufsätze, die sich mit Smithsons Engagement für ökologische Environments auseinandersetzen, wie es Anja Novak im Vergleich zur Praxis des heute ähnlich umstrittenen Olafur Eliasson vornimmt und dabei Bourriauds Schrift über "Relational Aesthetics" (2002) zurate zieht. "Mediation" für den Einzelnen, die Zusammenarbeit im Team und das Zustandekommen einer "Kathedrale", wie sie in der philosophischen Schrift das Konzept bestimmen, lassen sich auf das Werk beider Künstler und deren Ziel einer engagierten Betrachtungsweise anwenden. Ebenso bedeutungsvoll ist Max Andrews Untersuchung von Smithsons Theorien in seinen anderen Werken und kuratorischen Aktivitäten, weniger seine Werkanalyse. Stefan Heidenreich weist in seinem lesenswerten Artikel die Nähe Smithsons zu McLuhan nach und erörtert die Zukunft der musealen Institution, während Eric C.H. de Bruyn und Sven Lütticken ganz allgemein und überraschend frisch das kinematografische Sehen zur Zeit von Smithson erläutern. Das Buch ist also weitaus ergiebiger als es eine einfache Monografie zu Smithsons "Broken Circle/Spiral Hill" je gewesen wäre. Man sollte hier also zu ganz anderen Themen greifen, wenn man nicht direkt nach Smithson auf der Suche ist. Damit wurden die Herausgeber eher dem Anspruch des Künstlers nach einem erweiterten und distanzierten Blick auf Kunst, Philosophie und Gesellschaft gerecht als einer Werk-Monografie, denn diese fungierte anscheinend nur als Aufhänger.
Antje von Graevenitz