Bianca-Jeanette Schröder: Bildung und Briefe im 6. Jahrhundert. Studien zum Mailänder Diakon Magnus Felix Ennodius (= Bd. 15), Berlin: De Gruyter 2007, 399 S., ISBN 978-3-11-019955-0, EUR 98,00
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Seit einiger Zeit erfreut sich die lateinischsprachige Briefliteratur des 5. und 6. Jahrhunderts n. Chr. wieder großer Beliebtheit. Dies belegen verschiedene Arbeiten beispielsweise zu den drei gallischen Bischöfen Ruricius von Limoges, Avitus von Vienne oder Sidonius Apollinaris. Auch der hier behandelte Mailänder Diakon und spätere Bischof von Pavia, Ennodius (473/474-521 n. Chr.), gehört in diese Reihe. Gleichwohl ist man derzeit weit davon entfernt, diese Autoren und ihre Briefe entsprechend moderner wissenschaftlicher Standards beurteilen zu können, was vor allem daran liegt, dass das bisher Geleistete dafür bei weitem noch nicht ausreicht. Nach wie vor werden Negativurteile über diese Autoren aus früheren Zeiten unhinterfragt übernommen: Die späte Briefliteratur sei sprachlich minderwertig und inhaltlich uninteressant. Im Falle des Ennodius kommt noch erschwerend hinzu, dass es bisher keinen einzigen Kommentar gibt und nur eine modernsprachige Übersetzung, deren bisher erschienene Bände jedoch nicht einmal die Hälfte des Briefcorpus' abdecken (2-4; [1]). Um sich also ein eigenes Bild von den Episteln des Ennodius machen zu können, musste man selbst die Mühe der Übersetzung, Erschließung und Einordnung auf sich nehmen.
Mit der vorliegenden Arbeit, die die Habilitationsschrift von Schröder darstellt, wird einem zumindest ein Teil dieser Arbeit abgenommen, da diese zentrale Aspekte aus dem Leben und den Briefen des Ennodios zum Thema hat. Zwei methodische Gesichtspunkte sind für die Autorin dabei maßgeblich. Sie nimmt zum einen die Texte als solche ernst, liest sie unvoreingenommen und kann dadurch mehrere Missverständnisse zu Leben und Werk des Ennodios, die bisher in der Forschung kritiklos weitertradiert wurden, aufdecken. Zum anderen betrachtet sie die Briefe vor dem Hintergrund der Tradition, d.h der Gattungskonventionen sowie der Vorbilder. Hier sind es insbesondere die Abwandlungen, der kreative Umgang des Autors mit diesen Vorgaben, die neue interessante Erkenntnisse über das Briefcorpus, aber auch den Menschen Ennodius bieten.
Konkret formuliert geht es Schröder im ersten Teil der Arbeit (11-135) darum, aufzuzeigen, dass der schon im Eucharisticum formulierte Gegensatz zwischen Literatur und Dichtung auf der einen und christlichem Leben auf der anderen Seite das ganze Werk des Autors durchzieht, dass sich Ennodius dieses Gegensatzes und der daraus resultierenden spirituellen Folgen - er ist Diakon - durchaus bewusst ist, dass er sich dennoch aber nie ganz von seiner Liebe zur weltlichen Bildung lösen kann. Wir haben es hier mit einem Grundproblem vieler christlicher Autoren zu tun: Halte ich mich von der paganen griechisch-römischen Bildungstradition fern oder versuche ich aus ihr einen Nutzen für den christlichen Glauben zu ziehen? Für Ennodius ist der Fall klar: Die sprachlich-literarische pagane Bildung ist nicht nur für das eigene Leben elementar, sondern er legt sie auch jüngeren adeligen Adressaten dringend ans Herz, da sie zu den zentralen Identifikationsmerkmalen ihres Ranges gehört.
Sicherlich geht eine derartige Fragestellung über den Fokus der Arbeit hinaus, doch es wäre interessant gewesen, in diesem Zusammenhang zu erfahren, inwiefern Ennodios mit dieser Haltung als Angehöriger des klerikalen Standes in seiner Zeit oder in seiner Umgebung typisch bzw. eine Ausnahmeerscheinung gewesen ist.
Der zweite, weitaus umfangreichere Teil der Arbeit (136-372) ist den Briefen des Ennodius gewidmet. Dabei geht es Schröder darum, einige ihrer Charakteristika herauszuarbeiten. Wenig überraschend, gibt sich auch hier der Konflikt zwischen Kirchenamt und literarischer Beschäftigung zu erkennen, wenn Ennodius sogar gewisse Aspekte des Briefeschreibens als ungeeignet für einen Geistlichen erachtet (196). Sicherlich handelt es sich hierbei um einen Topos, doch verdeutlich bereits die Ausformulierung dieses Gedankens, mit welchen geistig-kulturellen Beschränkungen man als Angehöriger des Klerus zu dieser Zeit konfrontiert war.
Interessant ist des Weiteren Schröders Beobachtung, dass für Ennodius die Pflege der amicitia der einzige Zweck für das Abfassen von Briefen gewesen zu sein scheint (211-212).
Am ergiebigsten ist die vorliegende Studie schließlich, wenn Ennodius' den Umgang mit der literarischen Tradition der Briefe untersucht und dabei anschaulich aufgezeigt wird, wie dieser immer wieder mit ihren Vorgaben spielt oder diese sogar bewusst bricht, so z.B., wenn er sich geradezu im Gegensatz zu seinem vermeintlichen Vorbild Symmachus als nörgelnder Freund stilisiert (212-252) oder Glückwunschschreiben gerade nicht mit Lobreden anfüllt, sondern als Aufhänger für andere Zwecke verwendet (329-356).
Aus den jeweiligen zentralen Punkten dieser beiden Teile wird letztlich auch der Titel der vorliegenden Studie, "Bildung und Briefe", verständlich. Und auch der Ausdruck "Mailänder Diakon" scheint bewusst gewählt - Schröder äußert sich leider nicht dazu -, da Ennodius seine erhaltenen Werke komplett als Angehöriger dieses Berufsstandes, und nicht später als Bischof verfasst hat (31). Der Schwerpunkt der Studie liegt somit auf dem literarischen Leben eines Christen, nicht umgekehrt.
Schröder gelingt es, viele interessante und vor allem auch von der Forschung bisher nicht beachtete Aspekte zu Leben und Werk des Ennodius herauszuarbeiten, ein Umstand, den die Autorin leider in zum Teil doch recht penetranter Weise herausstellt (z.B. 19; 29; 33; 88; 277; 282). Hier wären Verweise in Fußnoten oder eine einmalige, durchaus auch prononcierte Herausstellung der eigenen Forschungsleistung in der Einleitung angemessener gewesen. Dessen ungeachtet, überzeugen den Rezensenten sowohl die beschriebene Methode als auch die Durchführung. Und selbst wenn man im Einzelnen vielleicht nicht alle Argumente teilen sollte, so hat Schröder auf jeden Fall ihr Ziel erreicht. Ennodius korrespondierte mit den gebildetsten und mächtigsten Männern des beginnenden 6. Jahrhunderts, er war im wahrsten Sinn des Ausdrucks "mittendrin statt nur dabei". Es wird Zeit, dass seine bedeutende Stellung endlich auch in der modernen Forschung ihren Niederschlag findet.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse (373-379), ein Literaturverzeichnis (380-390) und zwei Indizes zu Personen, Sachen und Begriffen bzw. zu Textstellen (391-399) beschließen die Arbeit. Schreibversehen wurden im Übrigen nur sehr wenige gefunden.
Anmerkung:
[1] S. Gioanni: Ennode de Pavie, Lettres, t. I: livres I et II; t. 2: livres III-IV, Paris 2006, 2010.
Oliver Overwien