John Drinkwater / Benet Salway (eds.): Wolf Liebeschuetz reflected. Essays presented by colleagues, friends, and pupils (= Bulletin of the Institute of Classical Studies. Supplement; 91), London: Institute of Classical Studies 2007, xv + 268 S., ISBN 978-1-905670-04-8
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John Hugo Wolfgang Gideon Liebeschuetz gehört zu den renommiertesten Althistorikern des 20. Jahrhunderts. Dem nationalsozialistischen Terror im Jahr 1938 noch rechtzeitig entkommen, studierte er in London u.a. bei A.H.M. Jones und A. Momigliano; später lehrte er an der Leicester University und in Nottingham bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1992. Für die Erforschung der Spätantike hat Liebeschuetz bedeutende, aus der aktuellen Forschung nicht wegzudenkende Beiträge geleistet - insbesondere in seinen vier großen Monographien. [1] Anlässlich des 80. Geburtstages des Gelehrten haben sich Freunde und Schüler zusammengefunden, um ihm eine Festschrift zu widmen, deren Beiträge sich thematisch grob an Liebeschuetz' Büchern orientieren [2], indem sie methodische oder inhaltliche Ausgangspunkte daraus schöpfen, Thesen weiterdiskutieren, Kontroverses debattieren oder auch zu bestimmten Gedanken kurz Stellung beziehen. Dem weiten Spektrum, das die Monographien (und Aufsätze!) des Geehrten abdeckt, ist es geschuldet, dass auch die von der Festschrift behandelten Themen weitläufig sind, doch ist es meistenteils gelungen, dem Eindruck eines zusammenhanglosen Sammelsuriums entgegenzuwirken.
Neben scharfsinnigen Detailstudien zu konkreten Einzelproblemen und eher methodisch ausgerichteten Untersuchungen stehen einige bemerkenswert thesenfreudige Aufsätze, die allgemeine Fragen in weiter Perspektive angehen. Zu letzteren gehören die Überlegungen von B. R. Ward-Perkins, der - im Rekurs auf seine jüngste Monographie [3] - die jüngeren Zugriffe auf die Spätantike (insbesondere in der Nachfolge P. Browns) kritisiert und für eine stärkere Betonung von existenziellen Zäsuren plädiert, die vom Konzept der mehr oder weniger friedlichen 'Transformation' allzu sehr überdeckt würden (9-16). H. Leppin hebt an Jacob Burckhardts Sicht auf die römische Religion insbesondere die Bedeutung der nichtchristlichen Milieus für den Aufstieg Konstantins hervor (17-26), während R. A. Markus die Entwicklung einer christlichen religiösen Intoleranz insbesondere seit dem späten 4. Jahrhundert verfolgt und darauf hinweist, dass die Kaiser mit ihren Aktionen zumeist nur den aktuellen Entwicklungen hinterher eilten (51-56). Einen materialreichen Überblick über die Geschichte der Samaritaner in der Spätantike sowie über ihre Rolle in der kaiserlichen Gesetzgebung gibt K. L. Noethlichs, der namentlich auf ihre positive Behandlung unter Justin II. hinweist und dies damit erklärt, dass die Samaritaner "as indispensable rural workers" (65) unter besondere Obhut hätten gestellt werden müssen, insbesondere nach ihrer schweren Dezimierung unter Justinian 529/30 (57-65). Auf die besondere Bedeutung des entlegenen Isaurien in der Kirchenpolitik des 4. bis 6. Jahrhunderts weist H. Elton, u.a. durch eine Analyse der Korrespondenz des Severos von Antiocheia, hin (77-85), während G. Greatrex in einer vorbildlichen Studie Aspekte der Entwicklung der spätrömischen Grenzverteidigung im Osten nachzeichnet, indem er aufzeigt, wie im späten 5./frühen 6. Jahrhundert die Anzahl der duces im Osten kontinuierlich zunahm und aus dem provinzialen Amt ein städtisches wurde (87-98). Die Karriere sowie die Strategien der politischen Einflussnahme von Bischöfen im Oströmischen Reich der ausgehenden Spätantike untersucht D. Lee am Beispiel des antiochenischen Patriarchen Gregorios (570-593 n. Chr.) (99-106). P. Heather geht der Frage nach den Ursachen für die schweren Konflikte zwischen den 'arianischen' Vandalen und der katholischen Bevölkerung in Nordafrika nach und zeigt am Beispiel Geiserichs, dass häufig rein situative politische Erwägungen für die Kirchenpolitik der Vandalen verantwortlich waren, die zudem in den einzelnen von ihnen kontrollierten Regionen auch erheblich differieren konnte (137-146).
Unter den Beiträgen, die sich in stärkerem Maße konkreten Detailfragen zuwenden, ragt die Untersuchung von N. B. McLynn heraus (125-135), der auf Basis einer eingehenden Analyse der vorliegenden literarischen Zeugnisse jegliche Hoffnung, zu einem befriedigenden Bild von Leben und Karriere des 'Gotenbischofs' Wulfila zu gelangen, begräbt, indem er auf den hochgradig intentionalen und konstruierenden Charakter des Materials verweist. J. A. North trägt hingegen zu einer präziseren Charakterisierung des Arnobius und seines Werkes bei, indem er dessen Behandlung von Tieropfern näher untersucht (27-36). Überzeugend und in seinen Ergebnissen durchaus von allgemeiner Bedeutung ist der Beitrag von B. Salway, der den Übergang von 'Sebastos' zu 'Augustos' in der Kaisertitulatur unter Konstantin geschickt mit dessen Religionspolitik in Beziehung setzt (37-50), während J. F. Drinkwater anhand der Detailanalyse der militärischen Operationen gegen die Alamannen im Jahr 357 zu bedenkenswerten Ergebnissen hinsichtlich der Organisation des römischen Vorgehens gelangt: Offensichtlich handelte es sich nämlich bei Barbatios Rückzug vom Rheinufer um ein wohl kalkuliertes Unternehmen, um eine gemeinsame Operation mit dem Rivalen Julian zu vermeiden (was auch ganz in dessen Sinne gewesen sein dürfte); erst im Nachhinein wurden als Grund für das Scheitern der römischen Offensive die gefährlichen Alamannen vorgeschoben (115-123). Anhand eines Vergleichs der Aussagen des Johannes Chrysostomos über die agorai von Konstantinopel und Antiocheia macht L. Lavan auf die weiterhin zentrale Bedeutung von agorai auch in der Spätantike aufmerksam (157-167), während Ch. Roueché auf Basis der Arbeiten Liebeschuetz' und durch diffizile Analysen vorwiegend inschriftlichen Materials zur Differenzierung des Bildes von der Stadt in der Spätantike beiträgt (183-192) und S. Corcoran, ausgehend von einem Papyrusfragment zur 62. Novelle Justinians, Überlegungen zur Überlieferung des Novellencorpus anstellt (193-209).
Für methodische Fragen im Kontext der modernen Ethnogeneseforschung dürfte sich die Untersuchung A. Poulters als wichtig erweisen, in der die Aussagekraft archäologischer Befunde problematisiert wird; aufgrund der Konvergenzen innerhalb der alltäglichen Lebensweise zwischen Römern, Goten und anderen sei es kaum möglich, allein auf Basis archäologischen Materials ethnische oder kulturelle Zuordnungen vorzunehmen (169-182).
Ein wenig aus dem Rahmen fallen die Beiträge von J. D. Cloud (67-76), J. Barlow (107-114) und N. Henck (147-156): Clouds diffizile rechtsgeschichtliche Untersuchung sprengt zeitlich und sachlich den Rahmen des ansonsten - wie angedeutet - bemerkenswert homogenen Sammelbandes; Barlows Versuch "in tracing the moral history of the Franks" kommt über Allgemeinplätze nicht hinaus; Hencks Arbeit über "Constantius II and the Cities" bleibt aufgrund der konsequenten Nichtbeachtung der gerade in den letzten Jahren sehr lebhaften deutschsprachigen Constantius-Forschung hinter dem aktuellen Stand zurück.
Insgesamt ist den Herausgebern und Autoren ein würdiges Geschenk für den Jubilar gelungen. Glückwunsch!
Anmerkungen:
[1] J.H.W. G. Liebeschuetz, Antioch: City and Imperial Administration in the Later Roman Empire, Oxford 1972; Continuity and Change in Roman Religion, Oxford 1979; Barbarians and Bishops: Army, Church, and State in the Age of Arcadius and Chrysostom, Oxford 1990; The Decline and Fall of the Roman City, Oxford 2001.
[2] Dazu kurz auch das Nachwort von Av. Cameron, 211-214.
[3] B. Ward-Perkins: The Fall of Rome and the End of Civilization, Oxford 2005 (dt. 2007).
Mischa Meier