John M. Headley / Hans J. Hillerbrand / Anthony J. Papalas (eds.): Confessionalization in Europe, 1555-1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan, Aldershot: Ashgate 2004, xxv + 369 S., ISBN 978-0-7546-3744-8, GBP 47,50
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Der vorliegende Band verdankt sich einem traurigen Umstand. Im Jahr 2002 verstarb der deutsch-amerikanische Historiker Bodo Nischan, der sich um die Erforschung der konfessionellen Verhältnisse des 16. und 17. Jahrhunderts große Verdienste erworben hat. Zu Recht weisen die hier versammelten Beiträge im Gedenken an Nischan immer wieder auf seine wichtigen Arbeiten hin. Nischans Werk zeichnete sich nicht zuletzt dadurch aus, die Frage nach der Bedeutung des Religiösen konsequent um die kulturellen und besonders die liturgischen Aspekte erweitert zu haben. Dass er sein Projekt, eine Geschichte der Frömmigkeitsformen unter besonderer Berücksichtigung eben liturgischer und ritenbezogener Fragen, nicht mehr fertig stellen konnte, muss man tief bedauern. Anthony J. Papalas würdigt eingangs diese Arbeiten und Projekte, mehr noch aber zollt er, aus Sicht des Freundes und Kollegen, dem Menschen Bodo Nischan den zustehenden Tribut (ix-xii).
Das einheitsstiftende Band der anschließend versammelten Beiträge ist der auch titelgebende Begriff der Konfessionalisierung. Drei Beiträge zu Beginn thematisieren dieses Konzept in forschungsgeschichtlicher Perspektive. Thomas A. Brady Jr bietet einen Überblick über die Entwicklung, Differenzierung und Kritik daran bis hin zu jüngsten Publikationen. Heinz Schilling präsentiert im Anschluss daran seine Version der Entstehungsgeschichte. Deutlich benennt Schilling hier noch einmal, dass seinen Überlegungen ein starker komparativer und letztlich zivilisationsvergleichender Impetus innewohn(t)e, auch wenn dieser nicht immer gebührend ausgearbeitet wurde (26-28). Harm Klueting schließlich wendet sich mit einigem Abstand noch einmal dem Problem zu, wie der Vormarsch des Calvinismus im Reich gegen Ende des 16. Jahrhunderts terminologisch am besten in den Griff zu bekommen sei. Klueting, seit jeher kritisch gegenüber der Terminologie einer "zweiten Reformation", rekapituliert seine Argumente hier noch einmal in kurzer und prägnanter Zusammenfassung. Eine Reihe von Aufsätzen nehmen im Anschluss an diese Konzeptionalisierungen generalisierende Perspektiven ein. Marc R. Forster skizziert überblicksartig die Entwicklung der deutschen Reichskirche nach 1648 und stellt dabei thesenhaft eine Abwendung von gewaltsamen Praktiken hin zu mehr überredend-kulturellen Formen der Identitätsbildung fest. Das Resultat dieser Anstrengungen sei dann insbesondere die katholische Barockkultur gewesen. Drei Aufsätze diskutieren die Anwendbarkeit der Konfessionalisierungsthese für außerdeutsche Gebiete. Die Beiträge von Raymond A. Mentzer und Mack P. Holt widmen sich Frankreich, während Peter Iver Kaufman über England schreibt. Während die beiden Papiere zu Frankreich sehr überzeugende Lokalstudien bieten, an denen die Besonderheiten der Konfessionalisierung im Frankreich der Religionskriege deutlich werden, geht Kaufman auf die zeitgenössische Wahrnehmung des 'Vermittlungsproblems' von theologischen Lehren an die Laienschaft ein. Auch wenn sein stark essayistischer Beitrag v.a. eine Reihe von Quellenpassagen kommentiert und nicht auf weitergehende Thesenbildung abzielt, so könnten seine Bemerkungen doch für stärker systematisierende Untersuchungen zum frühneuzeitlichen Verständnis von 'Lehre' und 'Lehrvermittlung' ein wichtiger Bezugspunkt sein. Am Ende des Bandes schließlich bietet John M. Headley ebenfalls essayistisch eine polemisch-dezidiert eurozentristische Rekonstruktion westlicher Umgangsformen mit Dissens. Lediglich Europa und v.a. das Reich (Martin Heckel) habe Umgangsformen mit Dissens entwickelt, die diesen duldeten, positiv integrierten und nicht auf seine Auslöschung bedacht gewesen seien. Ob Heckels differenzierte Analyse eines spezifischen historischen Kontextes tatsächlich eine These über Europas globale Sonderstellung belegen kann, scheint mir, vorsichtig formuliert, fragwürdig.
Markus Wriedt betont die Zentralstellung der Ekklesiologie in Luthers theologischem Denken (53) und bindet hieran die Frage nach dem Epochencharakter der Reformation bzw. der reformatorischen Lehren an. Das Konzept der Konfessionalisierung, so Wriedt in seiner Zusammenfassung (62-66), könne dabei helfen, die Brüche und Kontinuitäten von den Reformatoren zu den Konfessionskirchen zu verstehen. Robert Kolb bietet einen sehr guten Überblick über die theologische Entwicklung des späteren 16. Jahrhunderts, hier besonders auf die Positionen von Mörlin und Chemnitz zugespitzt, die beide in gewisser Weise zwischen den Lagern der Gnesiolutheraner und Melanchthonianer standen. Auch wenn man die historische Rolle der Konkordienformel vielleicht weniger positiv beurteilen mag, als Kolb das vorschlägt, so bietet sein Essay doch ein sehr gutes Beispiel für eine Historiografie, die das Werden und Aushandeln der theologischen Positionen im 16. Jahrhundert zum eigentlichen Thema hat. Susan C. Karant-Nunn steuert eine Übersetzung eines bereits auf Deutsch erschienenen Beitrags bei, dessen Titel zugleich die wichtigste These benennt, die v.a. bzgl. der religiösen Riten durchaus schlagend belegt ist. Allerdings ist mit dieser These die Debatte wohl noch nicht beendet - hatten nicht beispielsweise die affektiven Meditationspraktiken der Zeit um 1600 tiefe Wurzeln im Gedankengut der Reformatoren selbst? Soll man den Pietismus wirklich so eindeutig von der Reformation trennen wie hier, so dass er bei Karant-Nunn lediglich im Ausblick kurz vorkommt? Und sollten nicht manche starke Gefühle, etwa der "zelus" im polemischen Streit für die wahre Religion, den 'wahren Frommen' auch im Luthertum charakterisieren? Auch Thomas Robisheauxs wichtiger Aufsatz kann als methodisches Paradebeispiel für eine multidimensionale Analyse von historischen Sachverhalten angesehen werden. In der Zusammenschau einer Vielzahl von Perspektiven - rechtsgeschichtlich, wissenschaftsgeschichtlich, historisch-anthropologisch - kann Robisheaux die multiplen Nutzen und Notwendigkeiten veranschaulichen, die in der Frühen Neuzeit zur Produktion und Präsentation von ausführlichen Geständnissen nicht nur, aber vor allem auch bei Hexenprozessen führten. Robin B. Barnes vertritt gegen Volker Leppin (vgl. 146f.) die These, dass die Beschäftigung mit Astrologie im 16. Jahrhundert als integraler Bestandteil der lutherischen konfessionellen Identität zu gelten habe. Grundlage von Barnes Ansatz ist eine andere, positivere Verhältnisbestimmung von Astrologie und Apokalyptik, als Leppin sie vorgenommen hatte.
Andere Beiträge tragen eher den Charakter von informativen Detailstudien zu einzelnen Quellenbereichen. Terence McIntosh bietet einen Überblick über die Gesetzgebung zum vorehelichen Beischlaf verlobter Paare und stellt fest, dass dieses Thema nach frühen Initiativen erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts an Bedeutung gewann. Der Beitrag von Luther D. Peterson ist im Wesentlichen eine Inhaltsübersicht eines bisher wenig beachteten Beitrags zur Adiaphorismus-Debatte. Lance Lazar stellt - nach einer recht ausführlichen forschungsgeschichtlichen Einleitung (289-296) - einige Gruppen jesuitischer Erbauungsliteratur ("devotional literature") kurz vor. Angesichts weitgehend fehlender Vorarbeiten sind solche Typisierungsversuche eine wichtige Leistung, auch wenn noch viele Fragen offen bleiben. Macht es tatsächlich Sinn, die "devotional literature" derart weit zu fassen, dass sie von der konfessionellen Historiografie Baronios bis zu den Katechismen reichen kann? Die These, auch polemische Literatur sei letztlich "devotional", ist bemerkenswert, bedarf aber der umfassenden Begründung.
Zwei Aufsätze von Bruce Gordon und Constantin Fasolt rücken Versuche in den Blick, die konfessionelle Spannung zu überbrücken bzw. zu neutralisieren. Während Gordon v.a. eine detaillierte Rekonstruktion von Durys Mission in der Schweiz bietet, analysiert Fasolt an Hand eines zentralen Textes die konzeptionellen Grundlagen für Conrings zukunftsweisenden, weil konstruktiven Umgang mit konfessioneller Pluralität. Man wäre interessiert daran, mehr über die relevanten Traditionslinien zu erfahren. Die von Fasolt als zentral erachtete Unterscheidung Conrings zwischen der Qualität der Person und der Qualität ihrer Handlungen (336) könnte beispielsweise strukturell in der antiflacianischen Unterscheidung zwischen der nicht-sündhaften Substanz des Menschen und seinen sündhaften Handlungen vorgeprägt sein. Auch die spezifischen Helmstädter Traditionen der Anthropologie dürften Conring bei seiner Formulierung geholfen haben.
Insgesamt bietet der Band eine Mischung aus routinierten Sammelbandbeiträgen und hervorragenden Aufsätzen, anregenden Essays und eng umgrenzten Einzelbeobachtungen. Bedauerlich ist, dass trotz der von Schilling ausdrücklich geforderten Differenzierung zwischen seiner, Reinhards und Zeedens Position (24f. mit Anm. 6) dies nicht immer geschieht (z.B. 257). Kritisch anzumerken ist auch, dass es im Lauf der Redaktion offensichtlich unterlassen wurde, die englischen Texte der deutschen Autoren noch einmal einer gründlichen sprachlichen Revision zu unterziehen. Es ist schade, dass man den Aufsätzen der europäischen Kollegen diesen 'Service', auf den Nicht-Muttersprachler nun einmal angewiesen sind, nicht genügend hat zuteil werden lassen. Dennoch ist hier ein thematisch erstaunlich homogener Sammelband mit vielen sehr lesenswerten Beiträgen entstanden, der häufig zitiert werden wird. Dem Andenken Bodo Nischans ist dadurch ein würdiges und dauerhaftes Denkmal gesetzt worden.
Markus Friedrich