David Noy / Alexander Panayotov / Hanswulf Bloedhorn (eds.): Inscriptiones Judaicae Orientis. I. Eastern Europe (= Texts and Studies in Ancient Judaism; 101), Tübingen: Mohr Siebeck 2004, XVI + 397 S., ISBN 978-3-16-148189-5, EUR 99,00
Buch im KVK suchen
Walter Ameling (ed.): Inscriptiones Judaicae Orientis. II. Kleinasien (= Texts and Studies in Ancient Judaism; 99), Tübingen: Mohr Siebeck 2004, XVIII + 650 S., ISBN 978-3-16-148196-3, EUR 119,00
Buch im KVK suchen
David Noy / Hanswulf Bloedhorn (eds.): Inscriptiones Judaicae Orientis. III. Syria and Cyprus (= Texts and Studies in Ancient Judaism; 102), Tübingen: Mohr Siebeck 2004, XV + 284 S., ISBN 978-3-16-148188-8, EUR 89,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Maria Brutti: The Development of the High Priesthood during the pre-Hasmonean Period. History, Ideology, Theology, Leiden / Boston: Brill 2006
John J. Collins: Jewish Cult and Hellenistic Culture. Essays on the Jewish Encounter with Hellenism and Roman Rule, Leiden / Boston: Brill 2005
Sara Raup Johnson: Historical Fictions and Hellenistic Jewish Identity. Third Maccabees in Its Cultural Context, Oakland: University of California Press 2004
Ohne die Auswertung von Papyri und Inschriften wäre es um die Kenntnis der jüdischen Diaspora in der Antike schlecht bestellt. Unter den günstigen klimatischen Voraussetzungen Ägyptens geben neben einer reichen Diasporaliteratur vor allem Papyri Einblick in Alltagsleben, Religionspraxis und politische Organisation der Juden. Außerhalb Ägyptens fallen Diasporaliteratur und Papyri weitestgehend weg, und so bleiben neben literarischen Erwähnungen als Schriftquellen meist nur noch die Inschriften. Auch diese ermöglichen zum Teil tiefe Einblicke in jüdisches Diasporaleben. Häufig sind sie aber auch - etwa in Form eines als jüdisch identifizierbaren Grabsteins - die einzigen Belege für die Anwesenheit von Juden in einer bestimmten Polis oder Provinz und somit ganz grundsätzlich für Umfang und Ausmaß der jüdischen Diaspora.
Angesichts dieser fundamentalen Bedeutung von Papyri und Inschriften für die Erforschung der jüdischen Diaspora ist es sehr erfreulich, dass momentan eine groß angelegte Revision und Aktualisierung der entsprechenden Corpora im Gange ist. Während von Isaak Fikhman für das Corpus Papyrorum Judaicarum schon seit einiger Zeit ein vierter Band mit Ergänzungen und Korrekturen angekündigt ist [1], war wegen der enormen Zunahme des Inschriftenmaterials in den letzten Jahrzehnten eine vollständige Neubearbeitung und Ersetzung des überholten Corpus Inscriptionum Judaicarum (CIJ) von Jean-Baptiste Frey angezeigt [2]. Eine solche Neubearbeitung hat vor allem David Noy im Rahmen des Cambridge Jewish Inscription Project vorangetrieben. 1992 hat er zunächst mit William Horbury einen Band "Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt" (JIGRE) [3] und dann 1993 und 1995 alleine zwei umfangreiche Bände "Jewish Inscriptions of Western Europe" (JIWE I+II) [4] vorgelegt. Die 2004 gemeinsam veröffentlichten drei Bände der Inscriptiones Judaicae Orientis (IJO) wenden sich nun dem Osten zu und sind ein weiterer großer Schritt auf dem Weg, das alte Corpus zu ersetzen.
Anders als man zunächst erwarten würde, sind die drei Bände IJO nicht das Resultat eines koordinierten Editionsprojekts, sondern der Zusammenführung unabhängiger Bemühungen. Nachdem Hans-Wolf Bloedhorn im Rahmen des Tübinger Atlasses des Vorderen Orients für die Erstellung der Karte B VI 18 grundlegende Inschriftensammlungen und Bibliografien angelegt hatte, übernahm David Noy 2002 auf Anfrage Martin Hengels die weitere Ausarbeitung zu den Bänden I und III der IJO. Für die Bearbeitung von Band I konnte sich Noy mit Alexander Panayotov zusammentun, der zur gleichen Zeit, aber zunächst unabhängig seine Dissertation über das Material dieses Bandes schrieb und in der Folge einen Großteil der anfallenden Kommentierung übernahm. Durch Martin Hengel wurde dann auch der Kontakt zu Walter Ameling hergestellt. Dieser arbeitete unabhängig und schon seit längerer Zeit an einem Corpus der jüdischen Inschriften Kleinasiens, das nun Band II der IJO bildet.
Zusammengenommen decken die drei Bände in jeder Hinsicht ein weites Feld ab. Zunächst räumlich: Band I: Pannonien, Dalmatien, Moesien, Thrakien, Makedonien, Achaia (untergliedert in Thessalien, Athen und Piraeus, Festland und Inseln), Kreta, Nordküste des Schwarzen Meers. Band II: Asia, Thrakien, Karien, Ionien, Lydien, Troas, Mysien, Pontus und Bithynien, Galatien, Phrygien, Pisidien und Isaurien, Pamphylien, Lykien, Lykaonien, Kilikien, Kappadokien, Armenien. Band III: Phönikien, Südsyrien, Nordsyrien und Osrhoene, Dura-Europos, Zypern. Chronologisch wird das gesamte Material von hellenistischer Zeit an bis ins 7. Jahrhundert versammelt. Sprachlich bilden erwartungsgemäß griechische Inschriften den Hauptteil, gefolgt von wenigen lateinischen, hebräischen und aramäischen. Daneben finden sich in Band III einige Inschriften in palmyrenischer, mittelpersischer und parthischer Sprache, hauptsächlich aus der berühmten Synagoge von Dura-Europos; nicht selten sind die Texte auch in Sprachmischungen verfasst, beispielsweise auf Latein oder Hebräisch, aber geschrieben mit griechischen Buchstaben (s. gleich die erste Inschrift I Pan1). Zwei Inschriften sind, da Thrakien sowohl in Band I als auch teilweise in Band II behandelt wird, doppelt aufgenommen und kommentiert. Insgesamt sind in den drei Bänden somit 537 Inschriften versammelt, mehr als doppelt so viele wie in den entsprechenden Abschnitten des CIJ.
Dieser enorme Materialreichtum ist ohne Zweifel die zentrale Stärke der IJO. Zudem sind die einzelnen Inschriften durch umfassende Kommentare zu allen relevanten Problemen und Forschungsdebatten hervorragend erschlossen. An einer Inschrift aus Hypaipa in Lydien aus dem Zeitraum um 200 n. Chr. (II 47) lässt sich demonstrieren, wie die Herausgeber mit umsichtiger Kommentierung auch verhältnismäßig unscheinbares Material zum Sprechen bringen. Die Inschrift besteht lediglich aus den Worten "Ioudaion neoteron" und hat vielleicht zu einer Weihung gehört oder als Platzinschrift gedient. Ameling bietet zwei Deutungsmöglichkeiten. Zum einen kann man sich die "jüngeren Juden" als "jüngere Mitglieder" eines Vereins denken. Zum anderen - und meines Erachtens wahrscheinlicher - kann es sich bei den neoteroi um eine spezifische Altersklasse von Mitgliedern des griechischen Gymnasiums handeln. In dieser Deutung wirft die Bezeichnung Ioudaioi neoteroi dann ein hochinteressantes Schlaglicht auf das Verhältnis der Juden zu ihrer nichtjüdischen Umwelt: "In Hypaipa gingen die Juden nicht einfach in den neoteroi auf, sondern behielten auch im Gymnasion einen Teil ihrer jüdischen Identität: Abgrenzung und Angleichung sind gleichzeitig zu spüren" (S. 201; s. auch I Ach53, II 189 und den Komm. zu II 22, S. 131).
In einer begrenzten Rezension wie dieser den Materialreichtum der IJO angemessen und in voller Breite zu würdigen, ist von vornherein ausgeschlossen - es muss hier bei einem Beispiel bleiben. Wenn zudem im Folgenden das Augenmerk auf der Anlage des Corpus und einigen damit zusammenhängenden Problemen liegen wird, sei schon hier deutlich gesagt: Die Herausgeber haben mit den drei Bänden durchgehend eine bewundernswerte Leistung erbracht!
Das zentrale Problem eines jeden Corpus jüdischer Dokumente und somit auch der IJO bilden die Kriterien, nach denen Material aufgenommen wird. Oder anders gewendet: Wie lässt sich eine Inschrift überhaupt als jüdisch identifizieren? [5] Es liegt wohl in erster Linie an der bereits angesprochenen, unabhängigen Entstehung der einzelnen Bände, dass die jeweils zugrunde gelegten Kriterien Unterschiede und einige Unstimmigkeiten aufweisen. Das beginnt mit der Präsentation: Während Noy / Panayotov / Bloedhorn in den sehr kurz gehaltenen Einleitungen zu Band I und III schlicht eine auf Schlüsselbegriffe reduzierte Kriterienliste für die Aufnahme von Inschriften angeben, diskutiert Ameling in der Einleitung zu Band II ausführlich Probleme der Definition des Judentums im Allgemeinen und der Auswahlkriterien im Besonderen (S. 8-24). Ist dieser sehr hilfreichen Einleitung Amelings grundsätzlich der Vorzug zu geben, ergibt sich zunächst das Problem, dass der Bezug seines argumentierenden Texts zu den bei Noy / Panayotov / Bloedhorn angegebenen Kriterien wegen differierender Terminologie und Nummerierung nicht immer ohne Weiteres ersichtlich ist. Bei näherem Hinsehen lassen sich die wichtigsten Kriterien der einzelnen Bände aber weitestgehend zueinander in Beziehung setzen:
Band I und III (vollständige Zitate, jeweils auf Seite V) | Band II (Zusammenfassungen mit der dortigen Nummerierung) |
1. The use of Hebrew. | 5. Verwendung des Hebräischen, auch einzelner Buchstaben (S. 13). |
2. The use of specifically Jewish symbols. | 4. Erscheinen jüdischer Embleme wie Menorah, Ethrog, Lulab oder Shofar (S. 11 ff.). |
3. The use of Jewish terminology or designations. | 1. Die ethnisch und religiös zu verstehende Bezeichnung Ioudaios (S. 10 f.). 2. Das Erscheinen von Spezifika jüdischen Lebens wie Synagogen, jüdischen Festen und heiligen Schriften (S. 11). |
4. The use of destinctively Jewish names, in contexts where their use does not seem more likely to be Christian than Jewish. | - |
5. Provenance from a synagoge or Jewish burial site. | 3. Herkunft der Inschrift aus einer Synagoge, Begräbnis im heiligen Land oder in der Nekropole von Beth She'arim (S. 11). |
Zudem thematisiert Ameling in seiner Einleitung ausführlich eine Reihe von unsicheren und im Zweifel unzulässigen Aufnahmekriterien. Zu Recht nennt er dort an erster Stelle Personennamen (6a, S. 13 ff.). Sicherlich ist Namengebung ein kulturspezifisches und im Fall des Judentums relativ gut nachvollziehbares Phänomen, als Identifikationskriterium bleiben aber viele sowohl semitische als auch griechische Namen unpräzise, da sie auch von Syrern oder Christen verwandt wurden. Ameling hat onomastisch bestimmte Inschriften zwar großzügig aufgenommen, deren Problematik aber deutlich im Kommentar markiert (S. 16, s. z. B. II 167). Das von Noy / Panayotov / Bloedhorn angewandte Verfahren, Namen nur dann als Kriterium zu verwenden, wenn der Kontext eine höhere Wahrscheinlichkeit für jüdische Herkunft anzeigt (4), ist zumeist nur auf weitere onomastische Argumente gestützt und nicht immer überzeugend (z. B. I Mac14, III Syr1, 2, 14, 38). Da die Unsicherheit solcher Identifikationen aber ebenfalls in den Kommentaren angesprochen wird, läuft es letztlich auf dasselbe Vorgehen hinaus wie bei Ameling. Für die Benutzung wäre es insgesamt übersichtlicher gewesen, wenn den Bänden jeweils ein Appendix für die unsicheren, rein onomastisch bestimmten Inschriften beigegeben worden wäre.
Eine der berühmtesten und meist diskutierten jüdischen Inschriften ist die große Stifterinschrift aus Aphrodisias. Ameling behandelt diese umfassend in Band II und tritt mit guten Gründen für getrennte Entstehung der beiden beschriebenen Seiten sowie deren Datierung in die Spätantike ein (II 14). Mit Blick auf die Identifikationskriterien wirft diese Inschrift das Problem auf, ob das Erscheinen des Begriffs theosebes als solches gelten kann (6b, S. 16 ff.). Die von Ameling entwickelte Position zu diesem komplexen Begriff überzeugt in ihrer Differenziertheit. Während auf der Inschrift aus Aphrodisias neben Juden und Proselyten von theosebeis als eigenständiger, dem Judentum nahe stehender Gruppe die Rede sei, liefere die ebenfalls viel behandelte Theaterinschrift aus Milet (II 37) einen hinreichend stabilen Beleg für die Benutzung des Begriffs als Epitheton und jüdische Selbstbezeichnung (s. auch den Kommentar zu I BS7, S. 282 f.). Der Begriff theosebes kann somit sowohl für Juden als auch Nichtjuden verwandt werden und ist als Kriterium uneindeutig. Ameling zieht überzeugend die Konsequenz, Theosebeisinschriften nur dann aufzunehmen, wenn wenigstens ein weiteres Indiz für jüdische Provenienz vorliegt (S. 20).
Im Zusammenhang mit den theosebeis diskutiert Ameling ein weiteres problematisches Identifikationskriterium: das Erscheinen des theos hypsistos (6b, S. 18 ff.). Zwar gebe es seit der Septuaginta Belege für die Bezeichnung des jüdischen Gottes als theos hypsistos, und auch auf jüdischen Inschriften fänden sich Hinweise für ihre Benutzung. Aber auch den christlichen Gott und heidnische Götter aus Pisidien und Lydien habe man theos hypsistos nennen können. Die Bezeichnung ist als Kriterium nicht eindeutig und wird von Ameling zu Recht zurückgewiesen; wenn die Verehrer des theos hypsistos sich zudem als theosebeis bezeichnen, müssen nach Ameling die diesen Begriff betreffenden, bereits angesprochenen Einschränkungen gelten. Noy / Panayotov / Bloedhorn schließen sich der Zurückweisung des theos hypsistos als Identifikationskriterium nicht an. In Band I fügen sie einige sehr unsichere Schwüre auf den theos hypsistos aus Delos (I Ach60-63 mit den Ausführungen auf Seite 217 ff.) sowie eine "Thanksgiving-Inschrift" für den theos hypsistos aus Gorgippia ein (I BS27). Fragwürdig und zu Recht umstritten ist auch die Inschrift I BS20, die mit dem Erscheinen von theos hypsistos und proseuche nur unsicher jüdisch identifiziert werden kann (s. Komm. zu I BS4, S. 267 und II 149, S. 316) und dann das Problem aufwirft, dass neben dem theos hypsistos auch Zeus, Ge und Helios erscheinen. [6]
Problematisch sind nach Ameling auch einige formelhafte Ausdrücke, wie die so genannte "Eumeneian formula", die häufig als Indikator jüdischer Provenienz gelten. Da diese Ausdrücke aber auch von Christen verwandt wurden, scheidet Ameling sie als Kriterium aus (7, S. 20 f.). Noy / Panayotov / Bloedhorn äußern sich zu den ausgeschlossenen Formeln nicht, haben aber auch keine Inschriften mit ihrer Hilfe identifiziert. Ein eigenes Problem stellen ferner Amulette und Zaubersprüche dar, die jüdische Elemente - etwa hebräische Worte oder Sprüche - enthalten. Ameling weist zu Recht darauf hin, dass jüdische Elemente auf diesen Inschriftengattungen nicht als Kriterium für jüdische Provenienz herangezogen werden können: Juden hatten in der Antike einen verbreiteten Ruf als Zauberer, weswegen auch Nichtjuden Amulette mit jüdischen Elementen benutzt haben (9, S. 21). Ameling behandelt deswegen fünf dieser Magica exemplarisch in einem gesonderten Abschnitt (Kap. 19 M1-5). In den Bänden I und III ist diese Differenzierung nicht durchgeführt. In Band III finden sich im regulären Corpus zwei Amulette (III Syr27 und 76), in deren Kommentierung auf die von Ameling diskutierten Probleme nicht eingegangen wird.
Im Kriterienkatalog von Band I sind neben den bereits angesprochenen zwei weitere, nur diesen Band betreffende Identifikationskriterien angegeben. Das "weiche" Kriterium einer "reference to famous Jews such as Herod the Great" (6, S. V) ist wohl in erster Linie aufgeführt, um neben einer Gebäudestiftung Herodes' des Großen auf der Insel Syros (Ach74) auch zwei Ehrungen für Herodes den Großen durch den Demos von Athen (Ach38 und 39) und eine weitere für Herodes Antipas durch die Athener auf Delos (Ach69) mit aufnehmen zu können. Denn im strengen Sinne handelt es sich bei diesen Ehrungen nicht um Inschriften jüdischer Provenienz. Da die Ehreninschriften aber deutlich auf einen Euergesiezusammenhang verweisen, ist ihre Aufnahme dennoch zu begrüßen. Anders liegt die Sache beim zweiten Kriterium, "some Bosporan manumissions" einzufügen "because of their similarity to Jewish manumissions and the lack of any indication that they are not Jewish" (7, S. V; s. auch S. 271 f.). Die nicht als jüdisch erkennbaren Manumissioinschriften mit einem argumentum ex silentio diesen zuzuordnen, ist kaum überzeugend. Wenn man diese stark beforschten Inschriften der Vollständigkeit halber in das Corpus integrieren wollte, dann wäre es besser gewesen, die nicht eindeutig jüdischen (I BS 8, 17, 20, 21, 22, 25) in einem eigenen Appendix aufzuführen. [7]
In keinem der Bände werden die "jüdischen Symbole" als Identifikationskriterium explizit problematisiert. Bei Ameling findet sich lediglich eine Anmerkung (S. 11 Anm. 58) zum entscheidenden Punkt, dass "jüdische Symbole" wie die Menorah bisweilen auch von Christen und Samaritanern benutzt wurden. [8] Überhaupt fehlen Reflexionen zur schwierigen Abgrenzung von Samaritanern und Juden. Diese Problematik wird zwar in gewisser Weise dadurch aufgefangen, dass in allen Bänden systematisch auch die bekannten samaritanischen Inschriften aufgenommen worden sind - wodurch in den IJO nun zugleich auch ein Corpus samaritanischer Inschriften vorliegt. [9] Erledigt ist das Problem damit aber nicht. So werden sich unter den von den Herausgebern als jüdisch klassifizierten Inschriften mit einiger Wahrscheinlichkeit noch ein paar weitere samaritanische befinden. Denn samaritanische Inschriften sind als solche im Grunde nur zu erkennen, wenn explizite Bezüge etwa zum Berg Garizim erscheinen oder samaritanische Buchstaben verwandt worden sind (s. z. B. I Mac17). Wo solche Identifikationskriterien fehlen, wird man eine samaritanische Inschrift noch am ehesten als jüdische erkennen.
"Alle Juden, die 'normale' heidnische Namen hatten und in Kontexten genannt werden, die keine deutliche Verbindung zum Judentum aufweisen, entgehen uns notwendig", schreibt Ameling im Zusammenhang mit den Problemen onomastischer Identifikation (S. 15). Diese Feststellung lässt sich auch allgemeiner formulieren: Wenn eine Inschrift keines der diskutierten Identifikationskriterien erfüllt, dann lässt sie sich als jüdische schlicht nicht erkennen. So kann eine Inschrift an den entsprechenden Stellen gebrochen oder unleserlich sein oder - was für Fragen nach Akkulturation und der Auseinandersetzung mit der nichtjüdischen Umwelt natürlich besonders interessant wäre - nie solche Kriterien aufgewiesen haben. Man wird sich also immer im Bewusstsein halten müssen, dass eine sicher nicht geringe Anzahl jüdischer Inschriften durch das Corpus gar nicht erfasst wird bzw. werden kann. [10]
Formal sind die drei Bände gleich aufgebaut und nach den jeweils behandelten, oben aufgeführten Regionen gegliedert. Zu Beginn jeder Region sowie wichtigerer Städte und Fundplätze findet sich eine kurze Einleitung; komplizierten Fundplätzen - etwa den Synagogen von Stobi (I S. 58 ff.) und Sardeis (II S. 224 ff.) - sind auch umfangreichere Problemaufrisse der Fundzusammenhänge beigegeben. Die Inschriften selbst sind nach folgendem Muster wiedergegeben: Zunächst werden bisherige Editionen, Verweise auf Abbildungen, Fundort (Verbleib nur in Bd. I und III), Beschreibung der Inschrift und Datierung aufgeführt. Es folgen der Text der Inschrift mit kritischem Apparat und Übersetzung sowie ein Zeilenkommentar mit Diskussion des Textes und der relevanten Forschung. Nicht nachvollziehbar sind trotz gleicher Struktur der Bände die differierenden Nummerierungssysteme: Während Band I und III die Inschriften nach Provinzen geordnet jeweils mit 1 beginnend zählen (z. B. I Pan3 oder III Syr74), läuft die Nummerierung in Band II durch (z. B. II 56) - man wird in Zukunft also zwei verschiedene Zitationstypen nebeneinander finden, im Fall der doppelt aufgenommenen thrakischen Inschriften sogar gleichzeitig (I Thr3 = II 12).
In der Ausstattung sind die Bände I und III reichhaltiger als Band II. Sie beinhalten Übersichtskarten zu den im Text angesprochenen Orten und vollständige Literaturverzeichnisse. Ferner sind dort die für nicht jüdisch gehaltenen, die wahrscheinlich mittelalterlichen und die in der regionalen Zuordnung problematischen Inschriften in mehreren Appendices vollständig beigefügt, sodass man sich von den strittigen Fällen ein eigenes Bild machen kann. In Band II sind die ausgeschlossenen - allerdings auch erheblich zahlreicheren - Inschriften lediglich in einer Liste mit bibliografischen Verweisen aufgeführt (Appendix II). Während ungefähr der Hälfte der Inschriften in Band I und III Fotografien, Umzeichnungen oder Umschriften beigegeben sind, gibt Ameling in Band II zu nur 6 Inschriften Fotografien. Als Einziger ist Amelings Band II mit einem sehr nützlichen Appendix (I) zu den zitierten literarischen Quellen ausgestattet.
Bedenkt man schließlich, dass eine der wesentlichen Stärken von Corpora die Möglichkeit systematischer Materialauswertung darstellt, sind die unterschiedlichen Indizierungssysteme der Bände unerfreulich. Während die Bände I und III mit 9 bzw. 10 jeweils in mehrere Unterpunkte ausdifferenzierten Indices ausgestattet sind, arbeitet Ameling in Band II mit einer Kombination aus einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis und "lediglich" 6 Indices. [11] Mögen beide Systeme ihre Vorteile haben, im Zusammenspiel sind sie unpraktisch. Zudem bieten Band I und III verschiedene Indices zu ganzen Ausdrücken (Bibelzitate, verschiedene Formeln im Grabes- oder Votivkontext), die über die auf Einzelworte orientierten Indices von Band II nicht selbstständig zu erschließen sind.
Warum man die angesprochenen Uneinheitlichkeiten und Unstimmigkeiten der IJO in der Endredaktion nicht behoben hat, ist nicht recht nachzuvollziehen. Dennoch wäre es kleinlich zu behaupten, dass diese den hohen Wert des versammelten Materials und seine hervorragende Zugänglichkeit ernsthaft minderten. So bleibt abschließend noch einmal zu betonen: Die IJO sind ein Meilenstein der jüdischen Epigrafik und ohne Zweifel die Standardreferenz künftiger Forschung. Ihnen ist eine weite Verbreitung und intensive Benutzung in allen Disziplinen zu wünschen, die sich der Erforschung des antiken Judentums widmen. Wenn in hoffentlich absehbarer Zeit das angekündigte Corpus der Inschriften aus Israel erscheint [12], ist die Erneuerung des CIJ abgeschlossen - und steht die jüdische Epigrafik auf einem neuen Fundament.
Anmerkungen:
[1] I. Fikhman: L'état des travaux au "Corpus Papyrorum Judaicarum" IV, in: B. Kramer u.a. (Hg.): Akten des 21. Internationalen Papyrologenkongress Berlin 13-19.8.1995 Bd. 1, Stuttgart / Leipzig 1997, S. 290-294.
[2] J.-B. Frey: Corpus Inscriptionum Judaicarum. Recueil des inscriptions juives qui vont du IIIe siècle avant Jésus-Christ au VIIe siècle de notre ère, 2 Bde., Rom 1936-1952. Für den Nachdruck von 1975 hatte B. Lifshitz ein umfangreiches Prolegomenon mit Ergänzungen und Korrekturen geschrieben.
[3] Cambridge 1992.
[4] Bd. I: Italy (excluding the City of Rome), Spain and Gaul, Cambridge 1993 und Bd. II: The City of Rome, Cambridge 1995.
[5] Vgl. zu dieser Problematik grundsätzlich R. Kraemer: Jewish Tuna and Christian Fish. Identifying Religious Affiliation in Epigraphic Sources, in: HThR 84 (1991), S. 141-162.
[6] Zum theos hypsistos und den relevanten Inschriften S. Mitchell: The Cult of Theos Hypsistos between Pagans, Jews and Christians, in: P. Athanassiadi / M. Frede (Hg.): Pagan Monotheism in Late Antiquity, Oxford 1999, S. 81-146.
[7] In E.L. Gibson: The Jewish Manumission Inscriptions of the Bosporus Kingdom, Tübingen 1999 liegen die Manumissioinschriften vom Bosporus zudem gesammelt und gut zugänglich vor.
[8] Er verweist dort auf R. Hachlili: The Menorah, the Ancient Seven-Armed Candelabrum. Origin, Form and Significance, Leiden, Boston / Köln 2001, S. 263 ff., wo Belege für die Verwendung der Menora durch Christen und Samaritaner gesammelt sind. Dennoch hält er an der Eindeutigkeit der Symbole fest (S. 13).
[9] Die als "samaritanisch" aufgenommenen Amulette I Ach50, III Syr4, III Syr42 werfen dasselbe Problem auf wie die "jüdischen"; in den Kommentaren zu den ersten beiden ist dies vermerkt.
[10] Vgl. Kraemer: Jewish Tuna, 162 und Gibson: Manumission Inscriptions, 7. Auf diesen Punkt hat auch schon Daniel Stoekl Ben Ezra in seiner Rezension http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr/2005/2005-02-23.html [08.01.2007] hingewiesen.
[11] Dass in Band II, S. 581 ausgerechnet die Seitenangaben zu den einzelnen Indices falsch sind, ist unglücklich.
[12] H. Cotton u.a.: Corpus Inscriptionum Judaeae / Palestinae, in: ZPE 127 (1999), S. 307 f.
Johannes Bernhardt