Diego De Brasi / Amphilochios Papathomas / Theofanis Tsiampokalos (eds.): Fake News in Ancient Greece. Forms and Functions of False Information in Ancient Greek Literature, Berlin: De Gruyter 2025, IX + 406 S., ISBN 978-3-11-139242-4, EUR 119,95
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Es ist wenig überraschend, dass Fake News auch ein Thema der Altertumswissenschaften geworden sind. Zu offensichtlich betrifft der Kern der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand auch die Fundamente historisch-philologischer Text- und Quellenkritik. Darüber hinaus braucht es keiner weiteren Betonung der Virulenz des Themas, wie es die Herausgeber in ihrer auf methodische Diversität ausgerichteten Einleitung auch festhalten. In der Natur der Sache eines Sammelbandes liegt es, dass sich einige Beitragende mehr, manche weniger an thematische Vorgaben halten; daher kann ich nur wenige der insgesamt 21 Beiträge etwas ausführlicher würdigen.
B. Strobel argumentiert, dass Fake News ähnliche Abstufungen zu den von Plato genannten Abstufungen des images der Sophisten aufweisen und im weitesten Sinne als image makings verstanden werden können. Dabei legt er Wert auf die Unterscheidung von zwei Dimensionen, volitional und cognitive, mit denen sich die verschiedenen Arten von Fake News definieren lassen. Er kommt zu dem Fazit, dass, ob wir Fake News als Resultat bewusster Manipulation (volitional) oder unbewusster Manipulation (cognitive) verstehen, sie klare Überschneidungen zur Rhetorik der Sophisten zeigen.
D. de Brasi nutzt Platons Timaues, um näher auf die aktive Rolle der Rezipienten von Fake News einzugehen. Genauer analysiert er die Atlantis-Geschichte sowie Kritias' Vortrag über die Entstehung der Welt. Dabei legt de Brasi einen starken Fokus auf Aspekte der Kommunikation und Manipulation, indem er argumentiert, dass durch Platons bewusste Betonung von communicative ambiguities der Leserschaft ein Bewusstsein für die Relevanz der Rezipienten geschaffen wird. Nur durch die Aufnahme der Informationen durch Rezipienten können sich Fake News verbreiten. Empfangene Informationen kritisch zu prüfen, sei daher fundamental.
P. De Simones Artikel befasst sich mit Platons politischer Philosophie unter der Frage, inwieweit Lügen und Manipulation einem Staat bzw. einer Polis als pharmaka, also als nützliches Mittel dienen können. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass in Platons idealem Staat Lügen sowohl als politisches als auch als identitätsstiftendes Werkzeug zum Tragen kommt. Jedoch wird dabei stets der utilitaristische Nutzen betont, der jedoch nichts an der "Lügenhaftigkeit" der Lügen ändert. Daher bleibt der Nutzen auf die logoi pseudoi beschränkt und beinhaltet nicht die alethoi pseudoi. In seiner qualitativen Beschränkung erfüllen Konzepte wie Fake News oder Manipulation der Massen daher durchaus eine wichtige Rolle für einen Staat bzw. für einen Herrscher. Auch betont De Simone, dass Plato klar macht, dass nur fähige Leute Lügen als pharmaka benutzen dürfen.
A. Korolis befasst sich mit dem Auftreten und der Rolle von Fake News in der antiken griechischen Tragödie. Dabei werden Stellen aus allen vollständig erhaltenen Euripides-Dramen analysiert, dafür bezieht sich Korolis auf drei Kriterien, die erfüllt sein müssen, um von Fake News sprechen zu können. Diese Kriterien werden im Artikel als content-criterion, intentionality-criterion und dissemination-criterion bezeichnet. Im besonderen Fokus stehen darüber hinaus die Begriffe Täuschung (apate) und Trug (dolos) und wie sie im Zusammenhang mit Fake News verstanden werden.
N. Kanavou geht es um den Gebrauch von Fake News als Topos innerhalb kaiserzeitlicher Romane, speziell Charitons' Chaireas und Kallirrhoë und Achilles Tatius' Leukippe und Kleitophon. Der Aufsatz befasst sich mit der Frage, welchen Mehrwert das Konzept von Fake News im antiken Roman für das Formen von Ideen über Täuschung durch literarische Werke in der Antike hatte. Dabei kommt sie zu dem Fazit, dass zwischen beiden Werken eine klare ideologische Verbindung im Umgang mit Fake News bestehe. Diese Erkenntnisse werden schlussendlich auf eine Leser-Ebene gehoben, und die Relevanz der Romane für den Umgang mit Fake News betont.
K. Carvounis untersucht anhand von Nonnus' Dionysiaca die Rolle der Figuren Neid (phthonos) und Täuschung (apate), und im größeren Sinne die Rolle von Manipulation. Der Artikel zeigt, wie leicht Manipulation und Überzeugung an willigen Personen gelingt.
A. Bazou nähert sich Fake News durch antike Seuchen. Dabei werden zwei Fälle untersucht, einerseits die Pest von Athen im 5. Jahrhundert v. Chr., andererseits die Antoninische Pest aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Anhand dieser beiden Fälle will Bazou untersuchen, inwiefern Fake News genutzt wurden, um die Seuchen bestimmten Bevölkerungsgruppen zuzuschreiben. Dabei soll genauer betrachtet werden, wie die Fake News verbreitet wurden und ob sie für glaubhaft gehalten wurden.
Im Artikel von O. Hellmann geht es vornehmlich um die Untersuchung von Aristoteles' Schriften über Zoologie. Dabei untersucht der Artikel den Zusammenhang zwischen dem von Aristoteles oftmals angewandten Begriff µῦϑοσ und fehlerhaften Berichten über tierische Verhaltensweisen. Die genauen Implikationen für Fake News lässt der Artikel jedoch offen.
M. Thomas' Aufsatz über Phlegons Buch der Wunder (περί ϑαυµατόν) befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Paradoxographie und Fake News. Dabei diskutiert sie die Fragen, wie Phlegon für seine Geschichten Kredibilität erzeugt und welche Gemeinsamkeiten die Paradoxographie zu Fake News aufweist. Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass Phlegon durch seine vielen verschiedenen Methoden, Kredibilität zu erzeugen, eine erfolgreiche "Pseudo-Historizität" konstruiert, die nicht nur innerhalb seines Textes, sondern auch bei seiner Leserschaft Erfolg hatte.
I. Konstantakos untersucht, wie in den Schriften Herodots Informationen aus bzw. über den antiken Osten in literarischen Erzählungen benutzt wurden. Im Fokus stehen dabei besonders Geschichten um den Trojanischen Krieg sowie Erzählungen aus der griechisch-persischen Frühgeschichte, die in Herodots Werken den Hintergrund für die Feindseligkeiten zwischen den beiden Parteien bilden. Der Artikel versucht, mit diesen Geschichten aufzuräumen und ihren Hintergrund zu erklären. Im Fokus steht Hdt. 1.1-5, dessen Ursprünge der Artikel auf den achaimenidischen Hof zurückführt.
Auf acht Seiten befasst sich V. Vertoudakis mit vier Fallbeispielen von Fake News im klassischen Griechenland. Alle Beispiele behandeln den Gebrauch von Fake News während einer innen- oder außenpolitischen Krise. Dabei markiert Vertoudakis vier wichtige Kategorien von Fake News: Fake News als Überspitzung wahrer Ereignisse, Fake News als Mischung aus wahren und falschen Ereignissen, Fake News als Fabrikation von Ereignissen und Fake News als komplette Umdrehung wahrer Ereignisse. Die Analyse bleibt an vielen Stellen sehr kurz, auch sind die gewählten Quellen zum Teil fragwürdig, das die Autoren allesamt Jahrhunderte später lebten.
Th. Tsiampokalos untersucht den Gebrauch von Gerüchten und Fake News in Plutarchs Parallelbiographie über Kimon. Dabei soll aufgezeigt werden, dass Fake News kein rein modernes Konzept ist, sondern in abgeschwächter Form bereits in der Antike zu finden ist. Tsiampokalos will darüber hinaus ermitteln, welchen Nutzen Gerüchte und Fake News für einen Biographen wie Plutarch aus einer moralisierenden Sicht haben. In dem Artikel geht es daher nicht nur darum, Instanzen von Fake News und Gerüchten zu identifizieren, sondern auch ihre Rolle im Werk zu verstehen.
F. Dauber analysiert in seinem Artikel die Bedeutung von Briefen im Zusammenhang mit Des- und Fehlinformationen. Dabei stellt er drei Fragen auf. Erstens, wie Desinformationen durch Briefe verbreitet wurden, zweitens, welchen Inhalt diese Briefe hatten und drittens, wie sich gegen Desinformation durch Briefverkehr geschützt wurde. Dabei liegt sein Fokus auf Briefverkehr im militärischen Kontext. Daubner unterscheidet zwischen drei verschiedenen Arten von Sabotage durch Briefe: Briefe, die abgefangen werden sollten, Briefe, bei denen der Sender vorgibt, eine andere Person zu sein und Briefe, wo Sender und Empfänger identisch sind, wenngleich ein anderer Sender angegeben wird. Er kommt zu dem Schluss, dass die untersuchten Methoden durchaus effektiv sein konnten, jedoch alle mit ihren eigenen Schwierigkeiten versehen waren.
P. Reinard analysiert in seinem Artikel die Geschehnisse und Instanzen von Manipulation und Fake News rund um die Usurpation von Avidius Cassius im 2. Jahrhundert n.Chr. Dabei nutzt Reinard eine Reihe von Papyrusfunden und untersucht diese unter anderem nach Motivation, Reichweite und Konsequenzen für die Herrschaft des Mark Aurel.
Der Artikel von Ch. Rollinger beschäftigt sich mit dem Aufstieg des Pseudo-Theodosius (III) im Jahr 603 und dessen Rezeption in zeitgenössischen und späteren Quellen. Nachdem durch die Quellen und in bisherigen Arbeiten die Legitimität des Herrschers und seine Abstammung zu Maurikios angezweifelt wurde, versucht der Artikel zu zeigen, dass Theodosius (III) sehr wohl Nachfahre des Maurikios gewesen sei. Dafür unternimmt der Artikel den Versuch, die undurchsichtigen Ereignisse rund um die Thronbesteigung des Pseudo-Theodosius zu ordnen.
Der Aufsatz von R. Hatzilambrou befasst sich mit der Rhetorik attischer Demagogen im vierten Jahrhundert v. Chr. Dabei wird untersucht, inwieweit Fake News und Manipulation genutzt wurde, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen und zu steuern. Hatzilambrou untersucht dafür drei verschiedene Reden: Demosthenes' Erste Rede gegen Philipp, Lykurgs Rede gegen Leokrates und Demosthenes' Über die Truggesandtschaft. Der Aufsatz betont die bedeutsame Wirkkraft von Fake News und Manipulation in politischen Reden und hebt hervor, dass sie besonders in Zeiten, in denen eine Überprüfung der Fake News schwierig bzw. unmöglich war, besonders effektiv genutzt wurde.
Im Aufsatz von A. Serafim geht es um zwei Fälle, in denen Körper von Angeklagten als Quasi-Beweismittel von den Anklägern benutzt werden. Der Aufsatz betrachtet dafür die Rede gegen Timarchos des Aischines sowie Demosthenes' Zweite Rede gegen Philipp. Hierbei wird untersucht, wie der Ankläger den Körper des Angeklagten durch Misinformationen als Beweismittel für seine Unzucht herausstellen möchte. Serafim macht es sich zur Aufgabe, herauszuarbeiten, inwieweit wir wissen können, wie es um die Statur des Angeklagten stand, wie effektiv die Anklagen waren, und, welche Schlüsse wir dadurch ziehen können für Vorstellungen, wie eine Person auszusehen hatte, um ein "guter Bürger" zu sein.
Sp. Bounta untersucht anhand von Papyri der ptolemäischen und römischen Zeit, inwieweit schriftliche Medien zur Verbreitung von Fake News herangezogen wurden. Dabei bezieht sich Bounta hauptsächlich auf Fälle von Verleumdung. Die Untersuchung soll zeigen, dass wir auch Fälle von Verleumdung als Fake News ansehen können. Dazu untersucht Bounta fünf verschiedene Fälle, zwei mit politischem und drei ohne politischen Hintergrund. Der Aufsatz kommt zu dem Fazit, dass neben den Kriterien, die Fake News ausmachen (fake content of the information und malicious and harmful motive) oftmals weitere Aspekte, wie z.B. Erpressung treten können.
A. Papathomas befasst sich mit der römischen Praktik der damnatio memoriae. Dabei soll ermittelt werden, ob bei dieser Praktik von einer Art von Fake News gesprochen werden kann. Dafür untersucht der Aufsatz griechische Dokumenten-Papyri aus Ägypten, die Anzeichen für die Praktik aufzeigen.
G. Karla untersucht in ihrem Aufsatz Libanios' 59. oratio um die Geschehnisse einer Schlacht zwischen Constantius II. und Schapur II. Dabei steht im Vordergrund, welche rhetorischen Techniken Libanios verwendet, um die Geschehnisse narrativ nach seinem Interesse zu gestalten. Karla besieht hierbei Argumente, die der Manipulation der Zuhörerschaft dienen und daher als Fake News kategorisiert werden können. Der Aufsatz kommt zu dem Ergebnis, dass, wenngleich die Rede sehr geschickt manipuliert, Libanios letztendlich nicht jeden der Zuhörer überzeugen konnte, was anhand von Julians Oratio 1 deutlich wird.
A. Petropoulou widmet sich anhand von Bibelpassagen Fällen von Fake News als Topos hagiographischer Geschichtsschreibung. Dadurch zeigt der Artikel, dass Phänomene wie Fake News auch außerhalb von politischen oder ökonomischen Themen zu finden sind.
Insgesamt zeichnen die Beiträge ein ausgesprochen lebendiges Bild von Falsch- und Fehlmeldung im antiken Griechenland. Einzelne Ergebnisse und Einsichten sind mithin besonders spannend - gerade dann, wenn das Material nicht zurechtgebogen wirkt. Dennoch leidet der Band als Ganzes an den erwartbaren Problemen einen solchen Unterfangens. Manche Artikel nehmen den konzeptuellen Rahmen, der gewiss von den Herausgebern gewünscht war, eben mehr zur Kenntnis als andere; das liegt manchmal an den Zeugnissen, manchmal aber eben auch am Zugang. Damit verschenken viele Beiträge die Gelegenheit, ihr jeweils ganz eigenes Quellenmaterial über den Eigenwert der Überlegungen hinaus zu bewerben.
Christopher Degelmann