Hugo De Schepper: 'A latere principis u de su theniente general'. De regeringsraden naast landsheren en landvoogden in de Habsburgse Nederlanden: Leden, instellingen en algemene politiek, 1577/1580-1609 (= Verhandelingen van de KVAB voor Wetenschappen en Kunsten. Nieuwe reeks; Nr. 38), Leuven: Peeters 2023, XXXI + 1148 S., ISBN 978-90-429-5109-9, EUR 195,00
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Manche Schätze bleiben lange verborgen. Das Hauptwerk des herausragendsten Kenners von Gesetzgebung und Behörden der Spanischen Niederlande war infolge einer amtlichen Regelung 40 Jahre lang nur auf Anfrage einsehbar. Nun liegt die um aktuelle Literatur und neue Quellenfunde ergänzte Dissertation von Hugo De Schepper vor. Ein Werk dieses eminenten Experten institutioneller Geschichte zu rezensieren, ist nicht leicht - zumal der Autor kürzlich verstorben ist. Dem qua Erkenntnis und Wissen imposanten Werk (1148 Seiten) gebührt jedoch Würdigung als Zugang zu einem noch oft ignorierten Gebiet.
Gegenstand der Studie ist die Lebensgeschichte der drei Kollateralräte, die Karl V. 1530 sich und den Statthaltern der spanisch-habsburgischen Niederlande als beratende, legislative und verwaltende Gremien an die Seite gestellt hatte. Diese waren der, zunächst mit Vertretern des Landesadels besetzte, Staatsrat sowie auch der Geheimrat als oberstes Kontrollorgan der Justiz und der stets um den Haushalt besorgte Finanzrat. "Lebensgeschichte" ist der richtige Begriff, da der Autor Behörden als von den Personen abhängig auffasst, die sie "belebten". Eine kollektivierende Historiografie, die sie als rein statische Gebilde sieht, ohne dass persönliche Schicksale ihre Wirkung bestimmten, lehnt De Schepper ab (21-24). Er studiert die Entwicklung der Gremien, die Beschlüsse formalisierten und qua Umsetzung überwachten, als Evolution. Die Beschlüsse zwischen Alexander Farneses Reconquista und dem Tod des Erzherzogs Albert prägten dabei die niederländische Regierungspraxis weit über den Zeitraum der Studie (1577-1609) hinaus.
Durch die Verbindung von Prosopographie und politischer Geschichte enthält das Werk für die Auseinandersetzung mit jener Epoche eine Fülle an Information über die Brüsseler Gremien, wiewohl es dadurch an Volumen gewinnt. Vorgeschaltet ist ein Prolog über die verworrene Übergangszeit, in der Don Juan und Farnese versuchten, die Niederlande wiederzugewinnen. Im Kontext der konkurrierenden Atrechter und Utrechter Unionen stritten "gehorsame" Gremien mit aufständischen Widersachern. Farneses Balanceakt, die Gremien in Verhandlung mit den rückeroberten Provinzen zu besetzen, ohne den Ständen zu viel Mitsprache zu gewähren, tritt hier deutlich hervor. Aufschlussreich sind auch die Diskussionen zwischen Farnese und Philipp II. über die Rehabilitierung von adligen und bürgerlichen Räten, die am Aufstand beteiligt gewesen waren (50). Spanien ging mit einer "Zuckerbrot-und-Peitsche"-Taktik vor, die zwar Konzessionen zuließ, zugleich aber auch den Staatsrat zu einem passiven Gremium abstufte, nachdem dieser 1576 geputscht hatte (411). Ihm widmet De Schepper übrigens weniger Aufmerksamkeit.
Der erste "echte" Teil des Werkes erörtert die Strukturen der Gremien sowie Muster in der Personalbesetzung. Im zweiten Teil befasst De Schepper sich dann mit Biografien der Räte, für die, wie im Fall Jean Richardots, zum ersten Mal Porträts ihres Werdegangs, ihrer Netzwerke und ihrer Rolle in der größeren Politik entstehen. Ebenso behandelt er die im Staatsgetriebe unerlässliche Sekretäre, wie die unvermeidliche Ämterfamilie Verreycken, sowie Schatzmeister. Dabei versperren allerdings die vielen Anekdoten oft den Blick auf das Wesentliche ihrer Rolle bei der Evolution der Gremien. Grafiken oder Stammbäume der Ämterdynastien wären auch hilfreich, um hier Verflechtungen zu visualisieren.
Im dritten Teil werden die formalen Befugnisse und Aufgaben der Gremien erörtert. Bei den vielen Auskünften über Ämterverständnis, Befugniskonflikte und interne Prozesse ist dieser Teil wegen der Detaildichte und der groben Gliederung keine leichte Kost. Erkenntnisse über die Ausprägung des allmächtigen "Chef-Präsidenten"-Amtes (mit simultanem Vorsitz im Geheim- und im Staatsrat) stehen neben alltäglicheren Aspekten, wie etwa Unkostenvergütungen, Begutachtungen oder Ausführungen über die implizite Pflicht der Räte, dem König persönlich Kredite zur Verfügung zu stellen (67, 156 und 211).
Anschaulicher wird es hingegen im vierten Teil, wo die konkrete Regierungspraxis anhand der Rolle der Gremien in der Politik bis zum Tod der Erzherzogin beschrieben wird. Die Regierung Isabellas mit Albrecht fokussiert De Schepper besonders im Hinblick auf die alte Streitfrage, ob ihnen mit der "Cession" durch Philipp II. Souveränität gewährt worden war. Laut dem Autor handelte es sich nur um äußeren Schein, um die Last des "guerra de Flandes" zu reduzieren und die Vereinigten Provinzen zu Friedensgesprächen zu animieren (902). Denn: Der Titel "Herzog zu Burgund" blieb bei Spanien, während die Erzherzöge nicht mit den Indien handeln durften, die Armee unter spanischer Führung blieb und etwa Ein- und Ausfuhrrechte regelrecht durch Madrid diktiert wurden (906).
Methodisch kann De Schepper keine mangelnde Gründlichkeit vorgeworfen werden. Die Belege zeugen von der konsequenten Umsetzung seines Anspruchs, durch "monotone Lesung immer wieder gleichartiger Dokumente" die "langfristige[n] Strukturen und Praktiken" der Gremien zu erkennen" [Übersetzung Rez.] (23) Die Studie basiert dabei auf einer imposanten Masse von Archivalien aus Brüssel, Simancas, Lille, Wien, dem Vatikan und zahlreichen Bibliotheken. Die Literaturliste ist mit dieser Ausgabe erheblich erweitert worden und stellt somit eine essentielle Referenz dar. Manche Fußnoten enthalten genug Belege, um Dissertationen verfassen zu können (z.B. 457). Dennoch begnügt De Schepper sich nicht mit lokalen Befunden nur für die Niederlande, sondern fügt sie oft in Überlegungen über die europäische Staats- und Gesetzgebungsgeschichte ein, wobei Vergleiche der niederländischen Gesetzgebung mit jener der Franche Comté Aufschlüsse über die Funktionsweise des spanischen Reiches ermöglichen (besonders 397 und 440).
Umso mehr täten die Herausgeber gut daran, Neuauflagen dieser profunden Studie um eine kleinteiligere Gliederung oder ein mehrstufigeres Register zu ergänzen, damit die Fülle an Personen, Ereignissen und Befugnisse navigierbar wird. Die Namen sind auch zu prüfen. Mehrmals kommen diverse Bezeichnungen für Behörden vor, was Laien verwirren dürfte. So heißt der Geheime Rat an einer Stelle sowohl "Secrete Raad", "Privé-raad" als auch "Conseil privé" (206). Personen erscheinen auch variierend als "Filips", "Philips" (903); "Landvoogd Andries" und "Erzherzog Andreas" (276). Ein grundsätzliches Problem ist das Programm hin zu einer "Einheit" der Niederlande. Die übliche Unterscheidung in "südliche" und "nördliche" Niederlande ist in der Tat unpräzise, wenn im analysierten Zeitraum nördliche Gebiete noch lange spanisch blieben. De Scheppers Neigung zu "'t Nederlandt" im Singular (18) wirkt angesichts der Autonomie der Provinzen doch forciert und dürfte Zeitgenossen unbekannt gewesen sein. Entgegen etwa Helmut Koenigsberger oder Karin Van Honacker vertritt er dezidiert die Ansicht, die burgundisch-habsburgische Sammlung von Grafschaften und Herzogtümern sei zentral von Brüssel und Mechelen aus zu einem föderalen Staat gemacht worden (136), in dem fürstliche Eide auf die Privilegien und Gewohnheiten der Provinzen nur Formenpflege waren (136). Zugleich betont er mit der Pluralform "Spanjen" stets den Komposit-Charakter der spanischen Krone (z.B. 169). In dieser Hinsicht ist die Studie kritisch zu lesen, auch wenn die Annahme (im Geiste Pieter Geyls) ventiliert wird, gegenüber losen ethnisch-niederländischen Provinzen hätte eine geeinte "wallonische" Region gestanden (vgl. 18 und 36). Die genannten Kritikpunkte ändern jedoch nichts an der Monumentalität der nun endlich vorliegenden Arbeit, die noch vielen Generationen als Referenzwerk dienen wird.
Yves Huybrechts