Andrej Bartuschka / Birgit Bublies-Godau / Elisabeth Thalhofer et al. (Hgg.): Die Modernität von 1848/49. Ambivalente Aufbrüche und neue Zugänge zur Revolution (= Vormärz-Studien; Bd. XLVIII), Bielefeld: Aisthesis Verlag 2025, 457 S., 36 Farb-, s/w-Abb., ISBN 978-3-8498-2082-4, EUR 40,00
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Frank Engehausen: Werkstatt der Demokratie. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 , Frankfurt/M.: Campus 2023
Das 175. Jubiläum der Revolution von 1848/49 fand trotz vieler Veranstaltungen und Publikationen oft eine eher verhaltene Resonanz: "Von Licht und Schatten" ist die Rede, gar von einem "Halbschlummer" der Revolutionsforschung. [1] Ganz anders das Fazit zum Revolutionsjubiläum in der umfassenden Einleitung von Birgit Bublies-Godau zum Tagungsband "Die Modernität von 1848", die auf "innovative, dynamische Forschungszweige als auch ganz neue akademische und gedenkpolitische Debatten" verweist (30), an die die Revolutionsforschung anknüpft, wobei insbesondere das Interesse an Demokratiegeschichte genannt wird. Der interdisziplinär angelegte Band enthält insgesamt 21 Beiträge der Tagung, die vom 16. bis 18. Mai 2023 in Frankfurt am Main stattgefunden hat, darunter auch solche jüngerer Forscherinnen und Forscher. Das übergreifende Thema bilden die Fragen nach dem "inneren Zusammenhang von Modernität, Demokratie und Revolution" und der "Rolle der 1848er-Revolution in pluralistischen Modernisierungsprozessen" (42), wobei sich Herausgeberinnen und Herausgeber unter anderem auf Rüdiger Hachtmann beziehen, der 1848/49 als "Epochenschwelle zur Moderne" bezeichnete. [2] Die Beiträge des Bandes sollen "mögliche Innovationspotentiale und besondere Problemlagen, aber auch einige damals wie heute aktuelle Werke, Forderungen und Ziele der Revolution" auf der Grundlage neuerer Forschungserkenntnisse exemplarisch untersuchen und "Widersprüche und Ambivalenzen der Moderne und des demokratischen Aufbruchs zur Revolutionszeit" benennen (43).
Die verschiedenen Themengebiete sind sechs Kapiteln zugeordnet: Unter "Innovationen der Revolution" (59) finden sich Beiträge zu eschatologischen Erzählungen und Prophetien in der Revolutionszeit, über die "Wege, Irrwege, Umwege" der Verfassungsurkunde von 1849 (76), zu weiblicher Erwerbstätigkeit und Frauenfrage bei Luise Otto und zur Erinnerung an die "Forty-Eighters" beim politischen Neubeginn nach 1945. Im Kapitel "Moderne Formen politischer Partizipation und Revolutionstheorie" (133) werden die Bedeutung des vormärzlichen Konstitutionalismus als "Vor- und Leitbilder für die Paulskirche" (135) hervorgehoben, die Partizipationsmöglichkeiten in der preußischen Rheinprovinz im Vormärz aufgezeigt, auf die nationalistischen, imperialistischen und kolonialistischen Fantasien in den Debatten der Deutschen Nationalversammlung hingewiesen sowie vergleichende revolutions- und demokratietheoretische Überlegungen präsentiert. In "Revolutionäre Biographien" (199) geht es um Familien mit liberalen und republikanischen Einstellungen, das revolutionär gesonnene Ehepaar Johanna und Gottfried Kinkel sowie die Biografie von Erzherzog Johann als Reichsverweser. Das Kapitel "Soziale Bewegungen und weibliche Emanzipation" (259) enthält Beiträge zu unterschiedlichen Konzepten und Praktiken von "Assoziation", zu Briefen von Frauen in der Revolutionszeit sowie zu Revolution und Nationalversammlung aus weiblicher Sicht. Mit dem "Ringen um Zeit und Zeitgenossenschaft" in der Literatur beginnt der Abschnitt "Moderne Literatur und neues Denken" (309), gefolgt von Beiträgen zu Fürst Lichnowsky als reale Person und fiktive Gestalt in Roman und Karikatur, zur Darstellung der französischen Februarrevolution 1848 bei Alexis de Tocqueville und zur Bedeutung des Freiheitsverständnisses der Frühaufklärung für den Grundrechtekatalog der Nationalversammlung. Den Abschluss bildet das Kapitel "Erinnern an die Revolution - Historisches Gedächtnis, geschichtspolitischer Umgang und Gedenkpraxis" (389), in dem das Gedenken an 1848/49 im deutschen Nachkriegsliberalismus thematisiert, das Engagement Gustav Heinemanns für die Erinnerungsstätte in Rastatt beschrieben und die Darstellung des revolutionären 19. Jahrhunderts im Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel vorgestellt werden.
Das Buch ist durch eine große Unterschiedlichkeit seiner Beiträge gekennzeichnet. Ihre Lektüre vermittelt jedoch zahlreiche interessante Erkenntnisse, die hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden können. Dazu zählt beispielsweise die Rolle von Familien für liberale und demokratische Einstellungen ihrer Mitglieder oft über lange Zeiträume hinweg und unter schwierigen Bedingungen. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass die hier präsentierten prominenten Beispiele keine Einzelfälle waren. Von großer Bedeutung waren Netzwerke sowie kommunalpolitische und parlamentarische Erfahrungen, wie in einigen Beiträgen gezeigt wird. Spannend ist die Erkenntnis, dass auch die Revolution von 1848/49 wie alle großen Umbruchzeiten Endzeitvorstellungen und Prophezeiungen hervorrief.
Der gewichtige Band bietet somit einen guten Überblick zu aktuellen Forschungsansätzen zur Geschichte der Revolution von 1848/49. Allerdings greifen nicht alle Beiträge angesichts ihrer heterogenen Ansätze das übergreifende Thema der "Modernität von 1848/49" auf. Ohnedies ist es fraglich, ob lineare Deutungen, wie sie auch dem Begriff der "Modernität" zugrunde liegen, den Ambivalenzen der revolutionären Ereignisse gerecht werden. Klaus Seidl spricht zu Recht in seinem Beitrag von "Modernitätszuschreibungen" (92), die dem politischen und gesellschaftlichen Wandel unterliegen. Für die Revolution von 1848/49 gilt dies in besonderem Maße; sie war von Anfang an Gegenstand unterschiedlicher, oft zeit- und interessengebundener Deutungen. Es bleibt zu hoffen, dass der Sammelband wie die neuere Literatur zu 1848/49 insgesamt auf die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stößt und der Forschung neue Impulse vermittelt, damit die Revolutionsgeschichte nicht "vom Radar der Öffentlichkeit" verschwindet. [3]
Anmerkungen:
[1] Rüdiger Hachtmann: Eine "transkontinentale Lawine" - Rezensionsessay zu neuen Publikationen über die Revolution von 1848/49, in: Arbeit, Bewegung, Geschichte 24 (2025/I), 52-75, hier 53; Theo Jung: Fragen an 1848/49. Ein Forschungsüberblick, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 73, Nr. 7-9 (2023), 17-23, hier 17. In kritischer Perspektive vor allem zur aktuellen Demokratiegeschichte Manfred Hettling: Nutzen und Nachteil monumentalischer Demokratiegeschichte, in: Merkur 77, Heft 893 (2023), 75-84, und Ewald Grothe: Die Fackel soll auch in unsere Zeit getragen werden, in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. März 2024, 14.
[2] Rüdiger Hachtmann: Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848/49, Tübingen 2002.
[3] Theo Jung, Fragen an 1848/49, 17.
Michael Wettengel