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Aviva Guttmann: Operation Wrath of God. The Secret History of European Intelligence and Mossad's Assassination Campaign, Cambridge: Cambridge University Press 2025, 350 S., ISBN 978-1-009-50307-5, GBP 25,00
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Rezension von:
Thomas Riegler
Wien
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Thomas Riegler: Rezension von: Aviva Guttmann: Operation Wrath of God. The Secret History of European Intelligence and Mossad's Assassination Campaign, Cambridge: Cambridge University Press 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/11/39902.html


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Aviva Guttmann: Operation Wrath of God

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In Steven Spielbergs Film über die israelische Vergeltung nach dem Münchner Olympiaanschlag (Munich, 2005) spielt eine mysteriöse Organisation eine Schlüsselrolle dabei, Zielpersonen für Attentate auszuforschen. Diese wird schlicht "Le Group" genannt. Auch wenn es sich dabei um Fiktion handelt, so leistete eine nicht minder geheimnisvolle Struktur tatsächlich einen Beitrag dazu, dass der sogenannten Operation 'Wrath of God' 1972/73 zahlreiche Hintermänner des Münchner Anschlags zum Opfer fielen. Die verantwortliche palästinensische Terrorgruppe 'Schwarzer September' wurde durch die Vergeltungsschläge des israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad empfindlich getroffen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als diese besonders aktiv und gefährlich war. Die Ereignisse waren bereits mehrmals Thema journalistischer Publikationen. [1] Nun hat die Historikerin Aviva Guttmann eine quellengestützte Studie vorgelegt, die das Vorgehen des Mossad aus einer neuen Perspektive zeigt, nämlich aus jener der internationalen geheimdienstlichen Zusammenarbeit.

Guttmann hat als erste Historikerin mehr als 40.000 Depeschen des Berner Clubs auswerten können, die ab 1971 über eine verschlüsselte Fernschreiberverbindung namens "Kilowatt" zwischen den acht Mitgliedstaaten sowie zehn weiteren Staaten (darunter vor allem Israel und die USA) verschickt wurden. Dieses "Kilowatt"-Netzwerk widmete sich vor allem der Bedrohung durch den palästinischen Terrorismus. Während seine Existenz bereits bekannt ist [2], liefert Guttmann mit ihrer gut lesbaren Studie interessante Einblicke in das innere Gefüge. Ihr zentraler Befund: Die im Rahmen von "Kilowatt" ausgetauschten Informationen seien essenziell für den Erfolg der Mossad-Vergeltungskampagne gewesen.

Das relativiert ein gängiges Narrativ, wonach Israel in den 1970er Jahren der terroristischen Bedrohung weitgehend alleine gegenübergestanden sei, während es westeuropäische Staaten vorgezogen hätten, sich mittels "schmutziger Deals" zu schützen oder vor dem Terror zu kapitulieren. Aber wie Guttmann belegt, war es die Übermittlung von intelligence durch die "Kilowatt"-Partner, die die Operation 'Wrath of God' so zielgerichtet und wirkungsvoll machte. Zudem drückten diverse Staaten ein Auge zu, wenn Anschläge gegen Führungspersonen des 'Schwarzen September' auf ihrem Territorium erfolgten. Zu groß war das gemeinsame Interesse an einer effektiven Terrorismusbekämpfung und zu wichtig war es, den Mossad weiterhin als Partner zu haben. Deswegen erlaubte man dem israelischen Dienst de facto, europäisches Territorium als Schauplatz für extralegale Tötungen zu nutzen.

Dass Staaten wie die Schweiz und Frankreich geheime Vereinbarungen mit palästinensischen Gruppen oder wie Italien mit Libyen getroffen hatten, stand dem nicht entgegen. In der Sphäre der informellen und streng geheimen Nachrichtendienstkooperation war im Unterschied zur offiziellen Politik viel mehr möglich und gleichzeitig glaubwürdig abzustreiten. Laut Guttmann handelte es sich um eine "alternative Außenpolitik" im Unterschied zu jener auf politischer Ebene (244). Ausschlaggebend waren intelligence-Praktiker auf unterer beziehungsweise mittlerer Ebene, die auf Vertrauensbasis einen viel freieren Umgang untereinander pflegten, als etwa die Diplomaten ihrer jeweiligen Länder.

Aus den "Kilowatt"-Depeschen ergeben sich spannende Einblicke, was die Hintergründe einiger der wichtigsten terroristischen Ereignisse in diesem Zeitraum angeht - so etwa im Fall der Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Zagreb am 29. Oktober 1972. Mit Hilfe dieser Operation gelang es dem 'Schwarzen September', die drei überlebenden Attentäter von München freizupressen. Ein vom Bundesamt für Verfassungsschutz verschicktes "Kilowatt"-Fernschreiben warnte nur wenige Tage zuvor vor einem solchen Anschlag. Dieser spielte sich dann fast so wie beschrieben ab. Die Quelle war ein Angehöriger des 'Schwarzen September' gewesen, mit dem man dann aber keine weitere Zusammenarbeit eingegangen war.

Aus den Depeschen geht auch hervor, dass insbesondere Italien wegen seiner zentralen Lage eine Drehscheibenfunktion für den palästinensischen Terrorismus erfüllte. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung, wonach das Land damals Antiterrormaßnahmen lax gehandhabt habe, ergibt sich aus den "Kilowatt"-Depeschen das Gegenteil. Die italienischen Behörden, so Guttmann, leisteten einen sehr aktiven Beitrag hinter den Kulissen. Dem Mossad war es sogar möglich, zwei Terroristen auf dem Weg zu einem Attentat in Rom in James Bond-Manier noch rechtzeitig auszuschalten.

In einem anderen Fall lieferte die Schweizer Bundespolizei Ende 1972 Erkenntnisse zu dem französischen Kennzeichen eines Renault und der Identität seiner Besitzerin, der Ex-Frau von Mohammed Boudia, einem der wichtigsten Unterführer des 'Schwarzen September'. Derselbe Wagen explodierte dann am 28. Juni 1973 mit Boudia am Steuer, nachdem Mossad-Agenten eine Bombe unter dem Fahrersitz eingebaut hatten. Schon Anfang 1973 hatte man eine von Boudia geplante Geiselnahme im jüdischen Auswandererlager in Schönau an der Triesting (Österreich) verhindern können. Auch hier war die transnationale Kooperation zwischen den Behörden ein entscheidender Faktor, warum das gelang.

Am 21. Juli 1973 sollte dem Mossad ein folgenschwerer Fehler unterlaufen, als statt des "roten Prinzen" Ali Hassan Salameh der unbeteiligte arabische Kellner Ahmed Bouchiki im norwegischen Lillehammer erschossen wurde. Bei diesem Drama hatte ebenfalls "Kilowatt"-intelligence eine Rolle gespielt. Das Foto, anhand dessen Bouchiki fälschlicherweise als Salameh identifiziert wurde, war vom britischen Inlandsgeheimdienst MI5 kurz nach dem Münchner Anschlag mit dem Verbund geteilt worden. Die vielen "Kilowatt"-Berichte über palästinensische Aktivitäten in Skandinavien trugen ebenso dazu bei, dass der Mossad glaubte, ein Terror-Mastermind würde sich in Norwegen verstecken. Operation 'Wrath of God' wurde nach der aufsehenerregenden Verhaftung von sechs Mossad-Agenten eingestellt. Aber die Praxis, Terroristen gezielt zu töten, wurde beibehalten. So starb Salameh im Jahr 1979 bei einem Bombenanschlag in Beirut. Auch die "Kilowatt"-Kooperation lief weiter. Guttmann hat diesbezüglich die Unterlagen bis 1979 einsehen können, und diese zeigen Zusammenarbeit auf konstantem Level. Noch heute bietet der auf 27 Mitglieder und fünf assoziierte Mitglieder angewachsene Berner Club eine ähnliche Tauschplattform wie in den frühen 1970er Jahren und betreibt als Weiterentwicklung von "Kilowatt" eine eigene Counter Terrorism Group.

Eine quellenkritische Bewertung der Depeschen kommt in der Publikation etwas zu kurz. Wie hoch war zum Beispiel der Anteil von raw intelligence, also unaufbereiteter und ungeprüfter Information? Wie ist der Wahrheitsgehalt der Informationen grundsätzlich einzuschätzen? Davon abgesehen ist es fraglich, ob die Depeschen quasi nur durch das Prisma der Operation 'Wrath of God' gelesen werden können. Hier wäre noch weitere Kontextualisierung hilfreich gewesen. Abgesehen davon handelt es sich bei Guttmanns Buch um einen wichtigen Forschungsbeitrag zu den Intelligence Studies, der neues Territorium erschließt - insbesondere, wenn es darum geht nachzuvollziehen, wie sich geheimdienstliche Zusammenarbeit im Großen wie im Kleinen abgespielt hat und welche Lehren sich daraus für die Gegenwart ergeben.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Simon Reeve: One Day in September. The Story of the 1972 Munich Olympics Massacre, London 2000; Aaron J. Klein: Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2006; Ronen Bergman: Der Schattenkrieg. Israel und die geheimen Tötungskommandos des Mossad, München 2018.

[2] "Kilowatt" wird beispielsweise erwähnt bei Nigel West: Games of Intelligence. The Classic Conflict of International espionage, London 1972, 187: Es handele sich um ein Forum für den Austausch von Daten in Bezug auf palästinensische Extremisten.

Thomas Riegler