Rezension über:

Martin Schröder: Stehende Heere in Bewegung. Kursächsische und (kur)hannoversche Feldzugspraktiken im ›Großen Türkenkrieg‹ (1683-1699) (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 29), Göttingen: V&R unipress 2024, 505 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-1693-6, EUR 70,00
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Rezension von:
Anke Fischer-Kattner
Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Anke Fischer-Kattner: Rezension von: Martin Schröder: Stehende Heere in Bewegung. Kursächsische und (kur)hannoversche Feldzugspraktiken im ›Großen Türkenkrieg‹ (1683-1699), Göttingen: V&R unipress 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/11/39252.html


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Martin Schröder: Stehende Heere in Bewegung

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Zur frühneuzeitlichen Kriegskunst gehörte der Marsch. Das Titelbild von Schröders Essener Dissertation - eine Tapisserie aus dem Londoner Victoria & Albert Museum - zeigt dies und illustriert, wie stehende Heere des 17. Jahrhunderts als Machtmittel mobilisiert wurden. Auch aktuell ist die Frage, wie Heere ins Feld geschickt werden und wie die damit verbundenen Probleme und Kosten zu bewältigen sind, höchst relevant. Ob stehende Heere tatsächlich mit Immobilität assoziiert werden, ist daher für die Studie kaum von Bedeutung. Sie vereint neue Militär-, Logistik- und Verwaltungsgeschichte, um Marschunternehmungen für die Epoche des 'Großen Türkenkriegs' (1683-1699) zu untersuchen. Mit Kursachsen und Braunschweig-Calenberg (ab 1692 Kurhannover) betrachtet Schröder zwei wichtige, erfolgreich nach Rangerhöhung strebende Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die mehrfach Einheiten entsandten, um die habsburgischen Feldzüge gegen die Osmanen in Ungarn zu unterstützen.

In der Forschung wurde schon betont, dass Hilfe aus dem Reich kaiserliche Gebietsgewinne in Südosteuropa im Frieden von Karlowitz 1699 ermöglichte. [1] Schröder füllt aber mit seiner Untersuchung zur Verlegung und Versorgung der sächsischen und braunschweigischen Soldaten eine Forschungslücke zur praktischen Umsetzung der Feldzüge. Er korrigiert die in der Logistikgeschichte [2] lange dominante Vorstellung eines beschwerlichen, fast dysfunktionalen Systems der Magazinversorgung im späten 17. Jahrhundert, an dem die neuere Militärgeschichte [3] ansonsten meist nicht-moderne Charakteristika, wie den fortdauernden Einfluss adeliger Standes- und privatunternehmerischer Interessen, hervorhebt. Zudem eröffnet die Studie für Debatten um Krieg, Staatsbildung und absolutistische Herrschaft neue Perspektiven.

Entstanden im Kontext des Essener Graduiertenkollegs "Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage" fokussiert die Arbeit praxeologisch auf die Planung und Realisierung von Truppenverlegungen an den ungarischen Kriegsschauplatz. Nach einführenden Bemerkungen zu Theorie und Methode sowie zur Kriegsverwaltungsgeschichte der betrachteten Territorien untersucht Schröder in zwei Hauptteilen Marschvorbereitung und -durchführung jeweils entlang der Chronologie der Feldzugsjahre. Innerhalb der beiden breit verstandenen "Praxen" beschreibt Schröder jeweils spezifische "Praktiken" (41) hinsichtlich Marschroutenwahl, Geldbeschaffung für die Feldkriegskasse und Nahrungsmittelversorgung, speziell mit Brot.

Anhand der Marschroutenplanung zeigt sich, dass die Militäradministration ein eigenes Raum-Zeit-Verständnis hatte. Zur Versorgung der Soldaten aus dem Land wurden die Wege der Truppenverlegung nicht vorrangig linear gedacht, sondern für die Auffächerung der Marschkolonnen flächig geplant. Planenden wie Durchführenden war dabei klar, dass die Geschwindigkeit der Märsche ein sorgsam auszutarierender Erfolgsfaktor war: Ein schneller Marsch belastete die Soldaten stärker, ein langsamer die Bevölkerung der Durchzugsländer. Den begleitenden Marschkommissaren kam hier vor Ort eine Schlüsselrolle zu. Allgemein untergruben Durchzüge fremder Truppen Souveränitätsansprüche der Territorialfürsten. Schröder fordert zu Recht, dass die häufigen Konflikte um dieses Thema in Debatten um Staatsbildung stärker berücksichtigt werden.

Im Hinblick auf die Feldzugsfinanzierung weist die Studie nach, dass die administrativen Kalkulationen auf gesammelten Vorerfahrungen basierten und damit mehr als nur "Planungsphantasie" (115) waren. So passten die pauschalen Bedarfsannahmen meist gut zu den Endabrechnungen, womit aber die gewünschte Versorgung in der Realität keineswegs sichergestellt war. Probleme warfen die fürstliche Geldbeschaffung auf Kredit und der Transport von ausreichend Münzgeld zu den Truppen auf. In beiden Bereichen waren die frühneuzeitlichen stehenden Heere auf Dienste des "contractor state" [4] angewiesen, denn Steuern allein deckten den zeitweise stark erhöhten Finanzbedarf nicht. Die Verwaltung der einzelnen Territorien kooperierte dafür mit jüdischen Finanziers oder erhob Zwangsanleihen von Untertanen. Im Bedarfsfall wurde im Feld Buchgeld durch Verrechnungstricks oder das Zurückhalten von Sold zulasten von Soldaten und Offizieren beschafft.

Ein Hauptproblem war stets die Nahrungsmittelversorgung. In der untersuchten Archivüberlieferung finden sich unterschiedlich detaillierte Proviantkalkulationen. Wenn der Kaiser die Versorgung fürstlicher Truppen zugesagt hatte, widmeten sich die Verwaltungen der truppenstellenden Staaten dem Thema nur kursorisch. Waren eigene Planungen erforderlich, griff man gerne auf etablierte Netzwerke, speziell auf den kaiserlichen Hoflieferanten Samuel Oppenheimer und seine Partner, zurück. Zur Belieferung der Armeen im Feld nutzten die Proviantkommissare die Donau und ihr Flusssystem. Regelmäßige Lieferkonvois schafften massenproduziertes Brot aus den Magazinen in Komorn und Raab zur Truppe. Um die logistischen Herausforderungen zu bewältigen, wurden Bäcker, Schiffer und kleine Marketender eigens für die Feldzüge angeworben. Für Operationen jenseits der Wasserwege führten die Heere Brot für einige Tage mit (in Vorwegnahme des Fünf-Märsche-Systems des 18. Jahrhunderts). Versuche, auf lokal erhältliche Grundnahrungsmittel - in Böhmen und Ungarn zum Beispiel Rindfleisch - auszuweichen, stießen auf die Ablehnung der adeligen Offiziere. Diese sahen ihre ständischen Privilegien gefährdet, wenn einfache Soldaten mit demselben Rohfleisch versorgt wurden wie sie.

Flexibilität, ob durch gute Planung ermöglicht oder aus der Not heraus erzwungen, erweist sich als entscheidende Voraussetzung für die Mobilität der stehenden Heere. Die harten Konsequenzen davon verdeutlicht Schröder anhand der Petitionen von Witwen und Waisen verstorbener Fuhrknechte aus dem Reich, die im Archiv zusammen mit Bedarfskalkulationen, Rechnungen und Verträgen erhalten sind. Hier könnten weitere Forschungen systematisch ansetzen.

Indem Schröders Arbeit eine quellennahe Zusammenschau von Praktiken der Feldzugsorganisation bietet, zeigt sie, wie der unerwartete Erfolg der Habsburger gegen das zuvor logistisch lange dominante Osmanische Reich ermöglicht wurde. Dennoch kehrt das Werk nicht zu einer Erfolgsgeschichte militärisch-staatlicher Institutionalisierung im 'Westen' zurück. Organisationsmängel werden in der praxeologischen Perspektive durchaus deutlich und einzelne Selbstzeugnisse von Beteiligten der untersuchten Märsche eröffnen Einblicke in ganz unterschiedliche Mobilitätserfahrungen. Die Studie konkretisiert also, wie Menschen, Geld und Dinge im europäischen "fiscal-military system" (Peter Wilson) bewegt wurden, ohne dabei die hohen menschlichen Kosten des Kriegs außen vor zu lassen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Peter Rauscher (Hg.): Kriegführung und Staatsfinanzen. Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums 1740, Münster 2010.

[2] Hierzu grundlegend: Martin van Creveld: Supplying War: Logistics from Wallenstein to Patton, London / New York 1977.

[3] Siehe beispielsweise Hervé Drévillon: L'Impôt du sang. Le métier des armes sous Louis XIV, Paris 2005; David Parrott: The Business of War. Military Enterprise and Military Revolution in Early Modern Europe, Cambridge 2012.

[4] Rafael Torres Sánchez: From the Fiscal-Military State to the Contractor State, in: Ders. (ed.): Military Entrepreneurs and the Spanish Contractor State in the Eighteenth Century, Oxford 2016, 3-12.

Anke Fischer-Kattner