Rezension über:

Johann Anselm Steiger / Ricarda Höffler (Hgg.): Das Jüngste Gericht in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit (= The Early Modern World. Texts and Studies; Bd. 7), Göttingen: V&R unipress 2023, 433 S., 103 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-1554-0, EUR 65,00
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Rezension von:
Finn Schulze-Feldmann
London
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Finn Schulze-Feldmann: Rezension von: Johann Anselm Steiger / Ricarda Höffler (Hgg.): Das Jüngste Gericht in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Göttingen: V&R unipress 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/11/38035.html


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Johann Anselm Steiger / Ricarda Höffler (Hgg.): Das Jüngste Gericht in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit

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Der vorliegende Band veröffentlicht die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs 2008 Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit der Universität Hamburg und der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek Wittenberg vom September 2021. Die 15 Fallstudien betrachten die Thematik von der frühen Reformation bis zur Aufklärung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Der von Johann Anselm Steiger und Ricarda Höffler herausgegebene Tagungsband arbeitet so eindrucksvoll die intermediale Wirkung des Jüngsten Gerichts heraus und fokussiert sich damit auf einen Zeitraum, der anders als das Mittelalter wenig erforscht ist. Die zahlreichen und qualitativ hochwertigen Abbildungen sowohl bildlicher als auch musikalischer Quellen sind herauszustellen, da sie die Beiträge zugänglich und nachvollziehbar machen.

In seinem detailreichen Beitrag verortet Jeffrey Chipps Smith Dürers Landauer Altar in seinem historischen und ikonografischen Kontext. Diese exzellente Fallstudie illustriert die Omnipräsenz des Letzten Gerichts im von eschatologischen Stimmungen geprägten frühen 16. Jahrhundert. Johann Anselm Steiger wiederum zeichnet intermedial die Verkehrung der schreckenserregenden Anzeichen des Jüngsten Gerichts zu ersehnten Vorboten der heilsbringenden Endzeit nach, die, von Luther auf Grundlage der sola fide formuliert, vor allem in den beiden folgenden Jahrhunderten auffallend oft und mit einer gewissen Eigendynamik rezipiert wurde. Aufgrund seiner Intermedialität und möglicherweise seines interkonfessionellen Ursprungs einzigartig passend wird die Bedeutung dieser Lesart exemplarisch an dem Beichtstuhl in der Landower Kirche auf Rügen aufgezeigt.

Ebenso wie Steiger setzt sich Ricarda Höffler mit der bildlichen Innovation im lutherischen Einflussbereich auseinander. Ihr Beitrag widmet sich dem Nachleben der seit dem Mittelalter in deutschen Ratstuben protestantischer Städte präsenten und bis ins 18. Jahrhundert neu geschaffenen Weltgerichtsdarstellungen. Mithilfe des Stadthäger Beispiels veranschaulicht sie eindrucksvoll die lutherische Adaption dieser Ikonographie und verweist zugleich auf die spezifische Mahnung zur guten Führung im Kontext der Grafschaft Schaumburg zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Ohne die Qualität dieser Fallstudie zu mindern, bleibt es jedoch fraglich, ob sie damit ausreichend die anfangs formulierte Kritik adressiert hat, dass das Verschwinden dieses Bildmotivs aus politischen Räumen unzutreffend auf Grundlage einer Einzelfallanalyse postuliert worden war. Überzeugend zeigt Bernhard Jahn die Grenzen der theatralen Darstellung des Jüngsten Gerichts auf. Anders als im Medium Buch, das nicht nur schriftlich, sondern auch bildlich gestaltet werden konnte, war die Apokalypse vor der Einführung des Kulissentheaters nur bedingt dramatisch darstellbar und musste somit über die Konfessionsgrenzen hinweg von den Zuschauenden weitgehend imaginiert werden.

Im Laufe der Aufklärung verschiebt sich dann der Fokus in den Darstellungen des Jüngsten Gerichts, wie Maryam Haiawi mittels der bis dato wenig beachteten Vertonung des Singgedichts Der Tag des Gerichts von Christian Wilhelm Alers durch Georg Philipp Telemann aufzeigt. In der musikdramatischen Auslegung des Texts sind vor allem die Transzendenz des Gerichts und die Heilsperspektive akzentuiert, die über jeden Zweifel erhaben den durch Naturkatastrophen und die aufklärerische Bewegung erschütterten Glauben des Hamburger Publikums festigen sollten. Haiawi gelingt es dabei systematisch aufzuzeigen, wie Telemann sich von der Atheismus-Kritik seiner Textvorlage entfernt, um die Allgemeingültigkeit der Erlösungsbotschaft herauszustreichen. Der Band schließt mit Matthias Pohligs Skizzierung, wie das Jüngste Gericht, wenngleich nicht mit der gleichen Prominenz wie zu Beginn der Frühen Neuzeit, in verschiedenen Aufklärungsdiskursen aufgegriffen und interpretiert wird. So weist Pohlig darauf hin, dass die Theologen des 18. Jahrhunderts darum bemüht waren, naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit der Bibel zu harmonisieren, wodurch der Jüngste Tag als theologisch sowohl für Gelehrte als auch Laien weniger attraktiv erschien. Von den vier Analyseansätzen, die Pohlig differenziert, scheint insbesondere die Frage zum Verhältnis von Strafe und Gerechtigkeit fruchtbar zu sein, da sie aufklärerische Prinzipien der Strafrechtlichkeit wie der Berechenbarkeit der Strafe und ihre Humanisierung tangieren und so theologische Fragen zur Vergleichbarkeit von der menschlichen und göttlichen Sphäre aufwerfen.

Eine besondere Stärke dieses beachtenswerten Bandes ist, dass all seine klar argumentierten Einzelbeiträge eine einzigartige Perspektive zu dem Thema des Jüngsten Gerichts beitragen - lediglich der Text Stefan Beyerles über antik-jüdische Gerichtsvorstellungen fällt aufgrund seines chronologischen Fokus aus dem ansonsten kohärenten Band heraus. Insbesondere ist es ein Verdienst des Bandes, eine Vielzahl von Medien einschließlich sonst häufig vernachlässigter musikhistorischer Quellen miteinzubeziehen. Nach dem Lesen verbleibt jedoch der Eindruck, dass zu viele Bezüge zwischen den einzelnen Beiträgen offenbleiben. Um diese Synergien der interdisziplinären Tagung zu nutzen, wären entweder eine klarere thematische Gliederung und vor allem eine Einführung, die diese Ergebnisse in eine Gesamtschau zusammenführt, nützlich gewesen. Auch wenn in einigen Beiträgen geschehen, so wird außerdem dem in der Einführung formulierten Anspruch, sowohl inter- und transkonfessionelle Wahrnehmungen des Jüngsten Gerichts als auch intermediale Aspekte herauszuarbeiten, in seiner jetzigen Form nur bedingt gerecht. Dies mindert jedoch nicht die hohe Qualität der hier versammelten Beiträge.

Finn Schulze-Feldmann