Rezension über:

Philipp Kobusch: Der Innenraum hellenistischer Tempel. Ein Ort rituellen und sozialen Handelns, Wiesbaden: Reichert Verlag 2022, 367 S., 160 s/w-Abb., ISBN 978-3-7520-0009-2, EUR 118,00
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Rezension von:
Torsten Mattern
Fachbereich III - Klassische Archäologie, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Torsten Mattern: Rezension von: Philipp Kobusch: Der Innenraum hellenistischer Tempel. Ein Ort rituellen und sozialen Handelns, Wiesbaden: Reichert Verlag 2022, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 11 [15.11.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/11/37548.html


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Philipp Kobusch: Der Innenraum hellenistischer Tempel

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Tempel wurden lange Zeit in der Forschung vorwiegend als Baukörper behandelt: Genese und Entwicklung der Bautypen oder der Bauglieder standen im Vordergrund des Interesses. Die Frage nach der Ausstattung der Sakralbauten konzentrierte sich dabei zumeist auf die Kultbilder. Das war durchaus verständlich, denn die weitere Ausstattung ist in den meisten Fällen ja verloren oder doch nur noch in geringen Spuren erhalten. Die wenigen Hinweise sind zudem ungleichmäßig zeitlich und räumlich verteilt. Methodisch verlangt eine Untersuchung der Ausstattung damit, ganz unterschiedliche Quellen miteinzubeziehen und sich zudem des Umstandes bewusst zu sein, dass die Gefahr einer Vereinfachung und Glättung der Individualität von einzelnen Kulten und somit einer zu starken Generalisierung droht. So aber blieb, von einzelnen Ausstattungselementen wie Thesauroi, Schranken oder Tischen vielleicht abgesehen, ein Desiderat bestehen, und zwar nicht nur in Bezug auf die Untersuchung weiterer Elemente, sondern vor allem in Hinblick auf ihre Synthese. Diese offene Frage ist umso drängender, wenn man Ausstattungselemente als Spiegel von Handlungen oder Bewegungen bzw. von Orientierungen im Raum versteht. Die Ausstattung im Einzelnen wie im Gesamten wird durch diesen Ansatz zu einer bislang wenig erschlossenen Quelle für das Verständnis von Kulten und der Begegnung von Menschen mit dem Sakralen. Dieser großen Herausforderung hat sich in vorbildlicher Weise der Verfasser der vorliegenden Arbeit gestellt, bei der es sich um seine leicht überarbeitete Habilitationsschrift handelt, die an der Universität Kiel eingereicht wurde. Der Verfasser befasst sich mit der Ausstattung von Innenräumen spätklassischer und hellenistischer Tempel im griechischen Mutterland, in Kleinasien und auf den Inseln.

Die Arbeit ist in vier Teile und eine Einleitung bzw. Prämisse gegliedert. In der Prämisse geht der Autor der grundlegenden Frage der Betretbarkeit von Tempelinnenräumen nach und kommt nach Auswertung der Schriftquellen im Katalog 1 zu dem überzeugenden Schluss, dass "viele griechische Tempel nicht nur von Priestern, sondern auch von einer breiteren Öffentlichkeit betreten werden konnten" (19). Im Anschluss werden dann in Teil I die Objekte und ihre Verwendung behandelt: Zugangsrampen, Louteria bzw. Perirrhanteria, Gitter, Türen, Schwellen und Schranken, Vorhänge, Bodenbeläge, Malerei, Kultbilder, Statuen, Stühle und Bänke, Podeste, Tische, Herde und Altäre, Thymiateria, Thesauroi, Dreifüße, Inschriften und weitere Elemente. Dabei erfolgt keine strikte Trennung zwischen mobiler und immobiler Ausstattung, was vollkommen sinnvoll ist, wenn es um Bewegung oder Beschränkung von Bewegung im Raum geht. In den Teilkapiteln werden diese Ausstattungselemente nicht nur zusammengestellt, sondern bereits kontextualisiert, wozu literarische und epigraphische Quellen herangezogen werden. Ziel ist es, ihre Verwendung im Kult herauszuarbeiten. Grundlage für die Untersuchungen sind die archäologischen Befunde, die in einem sehr ausführlichen Katalog 2 gesammelt worden sind. Dieser Katalog ist exzellent. Er umfasst 92 Einträge, in denen Tempel mit einem Plan, ihrer Baugeschichte und der Aufzählung der erhaltenen Ausstattungselemente aufgeführt werden. Der Katalog kann damit zugleich einen Ausgangspunkt für weitere Fragestellungen bilden.

In Teil II erfolgt dann eine analytische Synthese der Einzelauswertungen, wobei zunächst die räumliche Gliederung des Tempels die inhaltliche Richtschnur gibt: Krepis, Peristase, Pronaos, Cella und Opisthodom werden nacheinander behandelt und dazu jedes Mal die Frage nach der Aufstellung von Objekten und ihrer Einbeziehung in rituelle Handlungen gestellt. Anschließend wird der Tempel als Handlungsraum in den Fokus genommen und die räumliche Organisation, die visuelle Inszenierungen und schließlich das Verhalten der Besucher untersucht. Mehr noch als im Teil I muss hier die methodische Prämisse greifen, dass der Raum nicht bloße Bühne ist (12), sondern es eine Wechselwirkung oder auch Abhängigkeit zwischen dem gestalteten Raum und den Handlungen gibt, die zur Bildung einer neuen Einheit führen, dem Handlungsraum. Methodisch erfolgt hier ein mutiger Spagat, da der Verfasser einerseits eine induktive Methode nutzt, also vom einzelnen Befund ausgeht (14), aber aufgrund der Überlieferungssituation andererseits keine spezifischen, sondern nur zusammenfassende und vergleichende, idealtypische Abläufe rekonstruieren kann. Dessen ist sich der Verfasser aber natürlich auch bewusst (19), ebenso auch dem Umstand, dass die Gestaltung von Räumen nicht statisch ist, sondern verändert wird und es daher schwer ist, zeitliche Entwicklungen übergreifend herauszuarbeiten. Er stellt sich aber der Herausforderung und kommt so zu einem faszinierenden Gesamtbild, das dem Leser viele Anstöße für weitere Überlegungen gibt. Hier nur wenige Verweise: Spannend ist das Ergebnis, dass im antiken Verständnis der Pronaos (im Unterschied zum Prodomos), einen vor dem Tempel (oder der Cella) gelegenen Bereich darstellt, der nicht unbedingt nur als Teil der Architektur zu verstehen ist, sondern auch einen weiteren Vorbereich umfasste. Zudem kann der Pronaos, auch als Teil der Architektur, als ein öffentlicher Raum ins Wegekonzept der Umgebung eingepasst gewesen sein (111). Angesichts von Sakralbauten, die seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. auch in Hallen integriert werden, ist das nachvollziehbar. Genauso spannend ist das Ergebnis zur Abgrenzung des Pronaos (jetzt wieder architektonisch verstanden) als eigenem Handlungsraum, der von der Cella getrennt, aber optisch mit ihr verbunden war. Dies zieht wiederum eine neue Interpretation architektonischer Differenzierungen in der Gestaltung der Vorhallentiefe nach sich, wobei allerdings auch regionale bzw. zeitliche Tendenzen zur Verkürzung des Pronaos bedacht werden sollten (108). In der Peristase ist die Aufstellung von Objekten meist nicht nachgewiesen (108), aber Verfasser räumt auch ein, dass eine Aufstellung nur nachgewiesen werden kann, wenn sie Spuren im Boden hinterlassen hat. Leider ist die Auswertung der Cella als Handlungsraum dann doch etwas kurz gehalten worden - der einzige Kritikpunkt an der Arbeit. Das Verständnis des Opisthodoms als bloßen multifunktionalen Annexraum, der lediglich zur 'Ausbalancierung' des Sekos diente, aber keine rituelle Funktion hatte, kann man angesichts des Verzichts auf das Opisthodom aufgrund der Verkürzung der Langseiten (und damit des Sekos) bei vielen Tempeln nachvollziehen. Der Tempelinnenraums wird vom Verfasser aber nicht nur in Bezug auf kultische Handlungen untersucht, sondern auch hinsichtlich sozialer Repräsentation, was angesichts der zahlreichen Weihegaben in Heiligtümern zwar keinen überraschenden, dafür aber natürlich einen notwendigen Ansatz darstellt.

Insgesamt führt Kobusch in seiner Arbeit mutig, kenntnisreich, methodisch reflektiert und fundiert auf breiter Quellenbasis nicht nur zuvor meist isoliert betrachtete Phänomene zusammen, sondern erweitert die Materialbasis erheblich und kommt zu überzeugenden Schlüssen. Es handelt sich um eine hervorragende und äußerst anregende Arbeit, die eine Forschungslücke schließt. Es ist zu hoffen, dass sich weitere Arbeiten zu ähnlichen Themen oder angrenzenden Zeiträumen anschließen.

Torsten Mattern