Tobias Arand / Christian Bunnenberg / Holger Dietrich u.a. (Hgg.): Antike. Ungewöhnliche Quellen für den Geschichtsunterricht (= Fundus. Quellen für den Geschichtsunterricht), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2025, 372 S., ISBN 978-3-7344-1501-2, EUR 32,90
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Die Alte Geschichte wird im schulischen Geschichtsunterricht oft vernachlässigt. Das ist zum einen den Lehrplänen geschuldet, die sie meist auf die Unterstufe beschränken und gerade das ausklammern, was heute besonders anschlussfähig wäre - die Vernetzungen und kulturellen Hybridisierungen der hellenistischen Zeit, die Krisenerfahrungen im Römischen Reich seit dem späteren 2. Jh. n. Chr. und die tiefgreifenden religiösen Wandlungsprozesse in der Spätantike. Zum anderen kann die Quellenlage zur Alten Geschichte aufgrund der Sprachanforderungen, des Zustands der Textüberlieferung sowie ihrer allgemeinen Lückenhaftigkeit leicht abschreckend wirken.
Umso begrüßenswerter ist die Initiative von Tobias Arand, Christian Bunnenberg, Holger Dietrich und Martin Fell, eine Sammlung "ungewöhnlicher Quellen" zusammenzustellen, die im Sinne eines wissenschaftspropädeutischen Unterrichts zum einen die engen Grenzen der Lehrpläne überschreiten und zum anderen die Sterilität der aufs Äußerste zusammengekürzten oder sprachlich vereinfachten Quellen in den Schulbüchern überwinden will (7).
Nach zwei kurzen Kapiteln zur Wissenschaftsgeschichte und Quellenkunde folgt die eigentliche Quellensammlung mit zwei großen Abschnitten zur griechischen (148 Seiten) und zur römischen Geschichte (131 Seiten). Der griechischen Geschichte wird damit absolut und noch mehr relativ zum behandelten Zeitraum deutlich mehr Raum gegeben als der römischen, die auch die Spätantike einschließt, auf die gerade einmal sechs Seiten verwendet werden. Hier bleibt dann doch der Lehrplanbezug bestimmend (203), das Aufblühen der Spätantikeforschung in den letzten Jahrzehnten bleibt ausgeblendet. Der Band schließt mit einem kürzeren Abschnitt zur Rezeptionsgeschichte.
Während der Abschnitt zur griechischen Geschichte kategorial gegliedert ist, folgt der zur römischen Geschichte einer konventionellen chronologischen Ordnung. Auch in der Auswahl der Quellen wird der Abschnitt zur griechischen Geschichte viel mehr dem Anspruch gerecht, "ungewöhnliches" Material zu präsentieren, während die römische Geschichte überwiegend durch die erwartbaren literarischen Quellen abgedeckt wird. Gerade hinsichtlich der Gründungslegende Roms hätte die Heranziehung von Quellen jenseits von Livius eine Gelegenheit geboten, Entstehung, Fluidität und Kanonisierungsprozess eines solchen Gründungsnarrativs exemplarisch nachzuverfolgen. Inschriften, Papyri und Münzen bleiben Randerscheinungen. Das ist schade, da gerade diese Quellen für Nichtspezialisten oft schwer zugänglich sind und teilweise auch gar keine Übersetzungen ins Deutsche vorliegen.
Auch was die griechische Geschichte angeht, werden die curricularen Normen aber nicht so weit ignoriert, dass der traditionelle Fokus auf Athen und die Polis deutlich relativiert oder die nicht so anschlussfähigen Seiten der attischen Demokratie wie die aggressive Seebundpolitik in den Blick genommen würden. Der Hellenismus scheint nur in den Gestalten Alexanders d. Gr. und Kleopatras VII. kurz auf. Ein eigenes Epochenprofil kann so nicht entstehen.
Auch Frauen kommen, abgesehen von der unverzichtbaren Kleopatra, kaum vor. Das ist zwar insgesamt repräsentativ für die Quellenlage, doch wäre es durchaus legitim, die vorhandenen Quellen mehr in den Vordergrund zu stellen, um diese "stumme Gruppe" besser auszuleuchten. Die laudatio Turiae böte sich beispielsweise in ihrer Unmittelbarkeit an, um einen Zugang zur römischen Bürgerkriegszeit zu eröffnen, der nicht nur auf die mächtigsten männlichen Akteure fokussiert, sondern auch die zweite Reihe und die Frauen einbezieht und zudem Perspektiven auf Geschlechterrollen und Erbrecht öffnet.
Der Band wendet sich explizit an ein Publikum von "erfahrenen und engagierten Lehrkräften", die das dargebotene Material selbstständig erschließen und aufbereiten können (7). Quellen sollen daher kontextualisiert, aber nicht "vorinterpretiert" werden (7). Faktisch bedeutet dies den Verzicht auf Arbeitsaufträge und Unterrichtssequenzen, aber auch eine eingehendere inhaltliche Kommentierung. Dazu passt allerdings nicht, dass 55 Seiten auf einen basalen Überblick zur Wissenschaftsgeschichte und -propädeutik verwendet werden. Leser, denen man erläutern muss, wer Vergil war (15), hätten gewiss auch sonst Bedarf an einer breiteren Kommentierung der einzelnen Quellen.
An etlichen Stellen haben sich auch Unschärfen und sachliche Fehler eingeschlichen. So ist etwa die Behauptung, Augustus hätte im Januar 27 v. Chr. alle Ämter abgegeben und wäre zum Privatmann geworden (252), schlicht falsch. Ähnliches gilt für die Diagnose von Rissen im "Patriziat" - gemeint ist die Nobilität - als Ursache der Verwerfung in der Späten Republik (234). Völlig ausgeblendet bleibt in diesem Zusammenhang der Bundesgenossenkrieg, obwohl die durch ihn erzwungene sprunghafte Ausweitung des römischen Bürgerrechtes auf alle Italiker südlich des Pos massive Auswirkungen auf das politische System der Republik haben musste.
Letztlich muss sich der Band die Frage gefallen lassen, was seinen Mehrwert gegenüber den bereits vorhandenen Quellensammlungen ausmacht. Walter Arends Sammlung von 1965 fällt weit umfangreicher und inhaltlich ausgewogener aus, bietet aber wenig dokumentarisches Material und ebenfalls keinerlei Kontextualisierung und Kommentierung. [1] Wie der Vergleich mit der ungefähr gleichzeitig erschienenen Neubearbeitung des deutlich kürzeren Werks von Gottfried Guggenbühl zeigt, war eine angemessene Behandlung von Hellenismus und Spätantike schon damals nicht selbstverständlich. [2] Der Quellenband zum Studienbuch von Hans-Joachim Gehrke und Helmuth Schneider steht vom Umfang her zwischen dem hier besprochenen Band und Arend. [3] Auch er bietet keine Kommentierung, allerdings in den neueren Auflagen zu jeder Quelle weiterführende Literaturhinweise in einem von Martin Fell erstellten Anhang. Zusätzlich verbinden Querverweise in beide Richtungen die Quellen mit der Darstellung im Studienbuch selbst. Ähnliche Quellensammlungen sind im angelsächsischen Sprachraum erschienen. [4] Hinzu kommen zahlreiche Quellensammlungen zu einzelnen Themen, Epochen oder Quellengattungen. [5] Eine thematisch geordnete Bibliographie solcher Werke wäre ein absolutes Desiderat für den Unterricht an Schulen und Hochschulen.
Insoweit diese Werke für den Unterricht an Hochschulen konzeptioniert sind, mag man den Verzicht auf eine Kommentierung für angemessen halten, weil die Lektüre von wissenschaftlich spezialisiertem Lehrpersonal begleitet wird. Dies ist an der Schule jedoch in der Regel nicht der Fall. Wer die Alte Geschichte an den Schulen fördern will, muss zwei Dinge ehrlich eingestehen: (1) Man kann von einer Lehrkraft, die in ihrem fachwissenschaftlichen Studium meist nur wenige Veranstaltungen in Alter Geschichte besucht hat, realistisch nicht erwarten, dass sie Quellen verschiedenster Gattungen von der Bronzezeit bis zum Ausgang der Spätantike ohne weiteres einordnen und erschließen kann. (2) Das fachwissenschaftliche Studium sollte die Lehrkraft zwar befähigen, sich das entsprechende Wissen selbstständig zu erarbeiten, aber dieser Zeitaufwand ist im Schulalltag kaum zu leisten und setzt eine starke Eigenmotivation voraus. Was es daher für die Förderung der Alten Geschichte im Schulunterricht bräuchte, wären Quellensammlungen, die in der Tat mehr "Vorinterpretation" liefern. Darin liegt nichts Verwerfliches, denn auch jedes wissenschaftliche Kommentarwerk macht nichts anderes und der Nutzer muss die gegebenen Deutungen auch nicht kritiklos übernehmen. Ohne solche Hilfestellungen wird man nur diejenigen erreichen, die ohnehin schon bekehrt sind. [6] Dieses Publikum wird den vorliegenden Band als eine weitere Option neben den oben genannten sicher gerne nutzen.
Anmerkungen:
[1] Walter Arend: Geschichte in Quellen. Band I: Altertum. Alter Orient - Hellas - Rom, München 1965.
[2] Gottfried Guggenbühl / Hans C. Huber: Quellen zur allgemeinen Geschichte. Erster Band: Quellen zur Geschichte des Altertums, Zürich 1964 (3. neu bearb. Aufl.).
[3] Hans-Joachim Gehrke / Helmuth Schneider (Hgg.): Geschichte der Antike. Quellenband, Stuttgart 2013 (2. erw. Aufl.).
[4] Matthew Dillon / Lynda Garland: Ancient Greece. Social and historical documents from archaic times to the death of Alexander the Great, London / New York 2010 (3. erw. Aufl.); Matthew Dillon / Lynda Garland: Ancient Rome. Social and historical documents from the early republic to the death of Augustus, London / New York 2015 (2. erw. Aufl.); Lewis Naphthali / Reinhold Meyer: Roman civilization [2 Bde.], New York / London, 1951-1955; John Matthews: Empire of the Romans. From Julius Caesar to Justinian: six hundred years of peace and war. Volume II: select anthology, Hoboken 2020.
[5] Hingewiesen sei hier nur auf die Reihen Blackwell sourcebooks, Bloomsbury sources, LACTOR Sourcebooks in Ancient History, Routledge sourcebooks, WBG Quellenreader. Darstellung und Quellensammlung kombinierten vorbildlich die Bände der leider nicht mehr fortgesetzten Reihe Studienbücher, Geschichte und Kultur der Alten Welt. Einen besonderen Fokus auf die nicht-literarische Überlieferung hatte die Reihe Translated documents of Greece and Rome.
[6] Es ist bezeichnend, dass die eigentlich für den Schulunterricht gedachte Quellensammlung von Arend (s. [1]) heute wohl ganz überwiegend in der Hochschullehre genutzt wird.
Andreas Hartmann