Rezension über:

Giacomo Mariani / Steven J. McMichael (eds.): The Sermons, Manuscripts, and Language of Roberto Caracciolo da Lecce (= The Medieval Franciscans; Vol. 24), Leiden / Boston: Brill 2024, VIII + 223 S., ISBN 978-90-04-70751-1, EUR 117,70
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Centro Tedesco di Studi Veneziani, Venedig
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Giacomo Mariani / Steven J. McMichael (eds.): The Sermons, Manuscripts, and Language of Roberto Caracciolo da Lecce, Leiden / Boston: Brill 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 9 [15.09.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/09/39951.html


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Giacomo Mariani / Steven J. McMichael (eds.): The Sermons, Manuscripts, and Language of Roberto Caracciolo da Lecce

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Der aus dem süditalienischen Lecce stammende Franziskaner Roberto Caracciolo gehörte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu den großen Predigerpersönlichkeiten Europas. Seine Sermones fanden - dem frühen Buchdruck sei Dank - weite Verbreitung. Doch fiel er - anders als etwa Bernardino von Siena oder Giacomo della Marca - nach seinem Tod 1495 dem fast vollständigen Vergessen anheim, was umso erstaunlicher ist, als er in seiner Funktion als Prediger doch zeitlebens "extraordinary successes and effects" (1) verzeichnen konnte. Eine ihm 2022 gewidmete wissenschaftliche Biografie führte zuletzt zu einem neuen Forschungsinteresse an Person und Werk Robertos. [1]

Roberto war erst Mitte zwanzig, als er 1450 von Papst Nikolaus V. ausgewählt wurde, die offizielle Kanonisationspredigt zu Ehren des Bernardino von Siena zu halten. 1453 wurde ihm die delikate Aufgabe übertragen, dem römischen Publikum qua Predigt die Nachricht vom Fall Konstantinopels zu überbringen. Seine Predigten waren bekannt für ihre emotionale Wirkung - auf der Gefühlsklaviatur spielte er virtuos. Chroniken berichten, wie die Zuhörer seiner Sermones weinten und lachten, wie sie den vom Prediger formulierten Schmerz über verschiedene gesellschaftlich-politische Missstände in Worten und Gesten verarbeiteten. Und wichtig: einige der emotionalen Marker in Form sermonialer Gebrauchsanweisungen sind in den Predigten erhalten geblieben. Mit Roberto war ganz offensichtlich Staat zu machen: Städtische Obrigkeiten luden Roberto immer wieder zu (Fasten)Predigtzyklen ein, die Kurie nutzte sein Netzwerk und seine diplomatischen Fähigkeiten. 1475 wurde er von Papst Sixtus IV. zum Bischof von Aquino ernannt. Gleichzeitig agierte er als Hofprediger im Königreich Neapel. Mindestens sieben handschriftlich und in Druckform vorliegende Predigtsammlungen zeugen von seiner ungeheuren Produktivität.

Der vorliegende Sammelband umfasst drei große Teile mit insgesamt zehn Artikeln (I. Topics from Roberto da Lecce in the Context of Late Medieval Preaching; II. Roberto da Lecce and his Sermons; III. The Re-Use of Roberto da Lecce's Collections). Behandelt werden darin spezifische Probleme der Predigtproduktion ebenso wie Fragen zu einzelnen Predigtthemen und -besonderheiten und schließlich zur Rezeption. Nicht immer sind die Forschungsergebnisse brandneu - mitunter wurden die einschlägigen Abschnitte aus bereits erschienenen Monografien in Artikelform à jour gebracht. Insgesamt aber gilt: Der Erkenntnisgewinn der Aufsatzsammlung ist groß. Einige Beiträge seien in der Folge besonders herausgegriffen.

Carolyn Muessig eröffnet den Band mit der Analyse einer zwischen 1482-89 verfassten Predigt über die Stigmata des Heiligen Franz von Assisi (De sacris admirandis stigmatibus seraphici Francisci) (9-26). Was dabei ins Auge springt, ist Robertos "defensive tone" (12), sah er sich doch offensichtlich dazu genötigt, das Faktum der Stigmatisierung gegen (ordensinterne) Widersacher zu verteidigen. Kein Zweifel konnte für ihn daran bestehen, dass Franziskus der einzige Mensch war, dem die Gnade der Stigmata als "pure work of divine omnipotence surpassing the bounds of the natural" (20) zuteilwurde - Franziskus stand deshalb höher als alle anderen Heiligen, ohne dabei aber zum alter Christus zu werden.

Roberto wurde von vielen, nicht aber von allen geschätzt. Widersacher fanden sich vor allem innerhalb der eigenen Ordensfamilie, hatte Roberto dort doch für einen veritablen Skandal gesorgt, als er 1452 publikumswirksam vom Lager der franziskanischen Observanten in dasjenige der Konventualen übergewechselt war. Zu seinen Gegnern gehörte mit Niccolò da Osimo einer der stärksten Befürworter der Observanz. 1453 lieferten sich Roberto und Niccolò einen Schlagabtausch in Pamphletform. Diese Pamphlete sind zwar verloren, erhalten geblieben ist aber eine Predigt Robertos (Deus benignus condescendit humane fragilitati), in der er das in Niccolòs volkssprachlichem Traktat Quadriga spirituale niedergelegte Beichtverständnis kritisierte. Niccolò, der homo scandalosus et scrupulosus valde, hatte darin an ein frühchristliches Verständnis des Beichtsakraments angeschlossen, dem zufolge die Beichte im Leben eines Menschen nur ein einziges Mal möglich sein sollte. Roberto als pastoral engagierter, mit der (Sünden)Natur des Menschen vertrauter, Seelsorger sah den gefährlich exklusiven Charakter dieses Ansatzes: Wäre er verwirklicht worden, hätte dies zum Ausschluss weiter Teile der (immer wieder aufs Neue sündigenden) Gläubigen vom kirchlichen Heilsversprechen geführt (45-64).

Robertos Hauptgegner aber waren die Muslime, deren Expansionsgelüsten zu seinen Lebzeiten die ihm wohlvertraute Stadt Otranto zum Opfer gefallen war. Gegen diese secta porci Machomecti ging er im Medium der Predigt vor. Salvatore Leaci verortet Robertos diesbezügliche Verlautbarungen im Konzert der von den Franziskanern gepflegten antimuslimischen Propaganda (106-127). Deutlich wird, dass Roberto in seiner Funktion als von Kardinal Bessarion beauftragter Kreuzzugsprediger eine Verständigung mit den Ottomanen von vornherein ausschloss, unablässig an das Verantwortungsgefühl der Christen appellierte und diese zur individuellen Erneuerung aufrief, ohne die ein Kampf gegen den vom Antichristen begünstigten Gegner aussichtslos sei.

Lyn A. Blanchfield untersucht Robertos charakteristischen Predigtstil ausgehend von einem 1448 in Perugia gehaltenen Karfreitagssermo, in dem sich die Predigt stricto sensu mit einem Passionsspiel verband (93-105). Paola Ventrone hatte bereits 2003 dieses Vorgehen treffend als "predicazione in forma di teatro" charakterisiert. [2] Die Predigt selbst ist zwar nicht erhalten, eine zeitgenössische Chronik aus Perugia beschreibt jedoch die Aufführung des Passionsspiels, in dem städtische, militärische und religiöse Symbolik daran erinnerte, "how these aspects of the city were intertwined" (100). Die letzte Szene des Passionsspiels fand unter Robertos Kanzel statt und verdeutlichte so, wer der eigentliche spiritus rector des Ereignisses war: Roberto.

Die Sprache, die Roberto auf der Kanzel verwendete, "a kind of spoken Italian vernacular" (128), genauer: "an old Salentino variety" (130), ist Gegenstand der Ausführungen von Marco Maggiore (128-149), während sich Andrea Radošević mit dem 1508 im kroatischen Senj mit glagolitischen Buchstaben gedruckten (ursprünglich italienischen) Fastenpredigtzyklus Robertos, dem Quaresimale volgare, beschäftigt (153-180). Es handelt sich dabei um die erste, über weite Strecken wortgetreue, Übersetzung des 1474 entstandenen Quadragesimale in eine andere Sprache, in der einige orts- und zeitspezifische Anpassungen vorgenommen und Aspekte der sermonialen Performanz unterstrichen wurden.

Cecilia Radò behandelt abschließend eine 1489 in Venedig gedruckte Inkunabel, die nicht nur Robertos Sermones de laudibus sanctorum, sondern eine Vielzahl an Marginalien, vor allem aber einen in Pécs 1495-96 entstandenen handschriftlichen Anhang überliefert, in dem diejenigen kirchlichen Feiertage verzeichnet waren, an denen ein anonymer Franziskanerbruder seinen Predigtverpflichtungen nachkam (181-195). Es sind insbesondere diese Skizzen in Form eines "preaching diary" (186), die nicht nur Einblicke in die vom Prediger genutzte Bibliothek geben, sondern durch genau diese Verweise eine Rekonstruktion des Predigtinhalts möglich machen. Zu Recht ist es der Autorin dabei wichtig zu betonen, dass "the medieval Hungarian sermon literature was an integral part of contemporary European culture" (195).

Die durch einen Index der Namen und Orte (222-23) erschlossene Aufsatzsammlung zeugt von der Bedeutung eines Predigers, über den Erasmus urteilte, er würde nur "Kinder und verrückte alte Frauen" zum Weinen bringen. Ganz offensichtlich traf Roberto mit seinen Predigten aber einen Nerv bei seiner nicht selten nach Tausenden zählenden Zuhörerschaft. Man versteht nun besser, was der Grund dafür gewesen sein könnte.


Anmerkungen:

[1] Giacomo Mariani: Roberto Caracciolo da Lecce (1425-1495). Life, Works, and Fame of a Renaissance Preacher, Leiden / Boston 2022.

[2] Paola Ventrone: La sacra rappresentazione fiorentina, ovvero la predicazione in forma di teatro, in: Letteratura in forma di sermone. I rapporti tra predicazione e letteratura nei secoli XIII-XVI, a cura di Ginetta Auzzas / Giuseppe Baffetti / Carlo Delcorno, Florenz 2003, 255-280.

Ralf Lützelschwab