Brodie Waddell / Jason Peacey (eds.): The Power of Petitioning in Early Modern Britain, London: UCL Press 2024, XI + 274 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-1-80008-551-0, GBP 30,00
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In den letzten Jahrzehnten rückten Petitionen, Suppliken, Bittschriften und andere Formen schriftlicher Eingaben ins Zentrum politik-, rechts- und sozialgeschichtlicher Fragestellungen der Frühneuzeitforschung. [1] Das sogenannte Supplizieren war Teil einer gesamteuropäischen politischen Kultur. Suppliken stellten ein zentrales "Medium der politischen Kommunikation in der ständischen Gesellschaft" dar, über das der Alltag von Herrschaftsbeziehungen ausgestaltet wurde. [2]
In Großbritannien fanden diese Quellen vor allem im Kontext der Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts, der Frage der Entwicklung politischer Partizipation und Öffentlichkeit sowie der 'poor laws' Beachtung. Inzwischen gibt es dort Forschungsverbünde, die diese heterogenen Quellengattungen übergreifend erforschen und in großer Zahl online verfügbar machen. Der vorliegende Sammelband basiert auf Vorträgen einer Tagung des Forschungsprojekts 'The Power of Petitioning in Seventeenth-Century England' (https://petitioning.history.ac.uk/). In zehn Beiträgen wird ein breites Spektrum unterschiedlicher Quellen und Kontexte dargestellt.
In der Einleitung betonen die Herausgeber, dass Petitionen immer eine Form der Kommunikation und Verhandlung zwischen Regierten und Regierenden sind mit dem Potential, die Staatstätigkeit 'von unten' zu beeinflussen (18, 20). Sie fassen die Erkenntnisinteressen und Ergebnisse des Bandes in fünf Fragen: Wer waren die 'petitioners'? Welche Beschwerden führten zu Petitionen? Wie funktionierte die Logistik des Petitionierens? Was waren die Erwartungen der Bittsteller und welchen Effekt hatten die Petitionen?
Die Beiträge von Lloyd Bowen und Imogen Peck befassen sich speziell mit der viel diskutierten Frage der Autorschaft. Petitionen kamen aus allen Schichten der Gesellschaft. Aber aufgrund mangelnder Schreibfähigkeit mussten viele Petenten dafür Schreiber bemühen. Können die Petitionen dann noch als ihre Zeugnisse gelesen werden? Anhand englischsprachiger Petitionen walisischsprachiger Kriegsversehrter des Bürgerkriegs kann Bowen überzeugend darlegen, dass es sich um kollaborativ erstellte Texte handelte, über die die Antragsteller durchaus eine Kontrolle besaßen. Peck bezeichnet Petitionen als hybride Dokumente, die meist mehrere Autoren besaßen - und sieht gerade darin ihren Reiz.
Hannah Worthen untersucht die Logistik des Bittstellens. Petitionen wurden im 17. Jahrhundert meist von den Antragstellern zu den Adressaten gebracht. Die physische Präsenz und mündliche Darlegung der Antragsteller waren die Regel und zugleich ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer Petition. Gesprochene Sprache und Text ergänzten sich gewissermaßen.
Die Frage der Logistik wird besonders bei den im 17. Jahrhundert aufkommenden Massenpetitionen relevant. Karen Bowie zeigt, dass Petitionen zu kirchlichen Gegenständen in Schottland schon im 16. Jahrhundert mit Unterschriftenlisten versehen wurden. Im 17. Jahrhundert wurde es politisch gefährlicher, alle Namen zu veröffentlichen. Unterschriften wurden zwar gesammelt, aber nicht mit der Petition übergeben. Zugleich kann man beobachten, dass deren Wirkung zunehmend an der Zahl der Unterschriften hing und weniger an der Prominenz der Unterzeichner. Diesen Übergang von "weighing" zu "counting" besonders bei gedruckten Massenpetitionen hatte schon David Zaret für England beobachtet und dies mit dem Aufstieg der politischen Öffentlichkeit im 17. Jahrhundert verbunden. [3]
Die Zahl der eingereichten Petitionen stieg seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert kontinuierlich. Das zeigen Brodie Waddell und Sharon Howard in ihren Beiträgen zu Petitionen an Friedensgerichte in verschiedenen Grafschaften. Dies war das Ergebnis der zunehmenden Intensität staatlicher Regulierungen. Gleichzeitig weisen die Petitionen auf eine steigende Erwartung der Bürger an eine Konfliktregulierung durch den Staat hin. Waddell nennt dies "shaping the state from below". (201)
Das Zusammenspiel von Politik, Gesetzgebung und Petitionen thematisiert auch der Beitrag von Elly Robson zu Konflikten um Trockenlegungen von Marschland im Osten Englands. Sie griffen in traditionelle Weide- und Wasserrechte ein und riefen entsprechend Widerstand hervor. Dabei ging es nicht nur um wirtschaftliche Fragen, sondern prinzipieller um Legitimität und Macht von Regierungen. Petitionen waren eingebettet in ein Kontinuum anderer Aktionsformen von Gerichtsverfahren bis zu Tumult und Aufruhr. Dies zeigt auch John Paceys Beitrag über die Immunität von Parlamentsabgeordneten und ihrer Entourage während der Sitzungstage. Diese sogenannten "protections" wurden oft missbraucht und gaben Anlass zu Auseinandersetzungen, die in Petitionen mündeten. Die Autorität des Parlaments, so Peacy, habe sich nicht nur durch Kämpfe mit der Krone entwickelt, sondern auch in Antwort auf Interventionen und Gravamina der Bürger (104f.).
Ann Hughes beschließt den Band mit einem Schlusskommentar, der auch verbleibende Desiderate der Forschung benennt. Zurecht weist sie darauf hin, dass die holistische Perspektive des Projekts auf alle Formen des Bittstellens nicht den schärferen Blick auf die Unterschiede zwischen Gattungen, Formen und Anlässen ersetzen kann. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Übergänge, wie sich aus persönlichen Anliegen Massenpetitionen entwickeln konnten, die grundsätzlichere Fragen von Gerechtigkeit thematisierten und in Bewegungen für politische Veränderung münden konnten. Insgesamt zeigt der Band den Wert der systematischen Analyse großer Corpora von Petitionen im breiteren Kontext der Entwicklung von Verwaltung und Staatlichkeit. Besonders verdienstvoll ist, dass diese Projekte so viele Petitionen frei zugänglich gemacht haben. Auch deutsche Archive verwahren viele Regalkilometer dieser Quellen. Nur wenige davon sind bisher gut untersucht, geschweige denn ediert. Der Band enthält viele Anregungen für weitere Forschungen, auch über Großbritannien hinaus.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z.B. Lex Heerma van Voss (ed.): Petitions in Social History (International Review of Social History Supplements), Cambridge 2002; Andreas Würgler / Cecilia Nubola (Hgg.): Bittschriften und Gravamina: Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.-18. Jahrhundert) (= Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient; 19), Berlin 2005; Richard Huzzey u.a. (eds.): Petitions and Petitioning in Europe and North America from the Late Medieval Period to the Present (= Proceedings of the British Academy; 262) Oxford 2024.
[2] Andreas Würgler: Asymmetrie und Reziprozität. Herrschaft und Protektion in Suppliken der Frühen Neuzeit, in: Protegierte und Protektoren. Asymmetrische politische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Dominanz (16. bis frühes 20. Jahrhundert), hgg. von Tilman Haug / Nadir Weber / Christian Windler, Köln 2016, 279-294, 280f.
[3] David Zaret: Origins of Democratic Culture: Printing Petitions and the Public Sphere in Early-Modern England, Princeton 2000.
Andreas Gestrich