Julia Peuke: Was bleibt - die DDR aus der Perspektive von Kindern: eine qualitative Studie zum historisch-politischen Lernen im Sachunterricht, Heidelberg: Springer-Verlag 2024, XV + 366 S., e-book, ISBN 978-3-658-44355-9, EUR 79,99
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Julia Peuke rekonstruiert in ihrer Dissertation die Vorstellungen von Grundschulkindern zur DDR- und deutschen Teilungsgeschichte. Dabei wird das Machtkonzept vertieft in den Blick genommen. So ist es Anliegen der Arbeit, "die didaktischen Diskussionen um das historisch-politische Lernen im Kontext von Zeitgeschichte theoretisch und empirisch voranzutreiben" (3). Damit bearbeitet Julia Peuke im Rahmen ihrer explorativen qualitativen Studie einen für Sachunterrichts- wie Geschichtsdidaktik bedeutenden Forschungsgegenstand.
Die Arbeit ist klassisch aufgebaut und gliedert sich in vier Großkapitel: Theoretischer Hintergrund, empirische Untersuchung, Ergebnisse sowie Diskussion und Abschlussbetrachtungen. Die Großkapitel werden u.a. durch Zusammenführungen gekonnt in Beziehung gesetzt. Im Rahmen des ersten Abschnitts zum theoretischen Rahmen arbeitet Julia Peuke dezidiert die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Grundlagen heraus. So werden die für die Arbeit relevanten Phänomene "Macht" und "DDR" fokussiert, um einen analytischen Machtbegriff im Hinblick auf die Erfassung eines Machtkonzepts von Grundschulkindern in den Blick zu nehmen. Dass es sich bei der Geschichte der DDR um einen "multiperspektivischen Gegenstand" (138) handelt, "die Geschichte der DDR und die Geschichte der deutschen Teilung nicht getrennt voneinander betrachtet werden können" (332) und diese darüber hinaus mit dem Machtkonzept in Beziehung gesetzt wurden, verdeutlicht die Komplexität des fokussierten zeithistorischen Gegenstands der Arbeit und damit auch der empirischen Untersuchung. Im Rahmen der fachdidaktischen Fundierung sowie der Darlegung des aktuellen Forschungsstandes wird die Relevanz der Studie überaus deutlich. Julia Peuke zeigt zum einen auf, dass in sachunterrichtsspezifischen Publikationen sowie Lehrwerken bislang die politikgeschichtliche Einordnung sowohl anhand von Themen wie Mauerbau und Mauerfall als auch anhand der Methode der Zeitzeug:innenbefragung im Vordergrund stehen. Zum anderen wird durch die Ausdifferenzierung des Forschungsstandes der bestehende umfassende Forschungsbedarf im Kontext historisch-politischen Lernens deutlich. Dazu trägt Julia Peuke im Kapitel zum Forschungsstand dezidiert die Befunde der vorliegenden Studien entlang der Schwerpunkte "Perspektiven von Grundschulkindern auf Politik" (Kap. 5.1), "Untersuchungen zum Machtkonzept von Grundschulkindern" (Kap. 5.2), "Perspektiven von Grundschulkindern auf (Zeit-) Geschichte" (Kap. 5.3) sowie "Perspektiven von Grundschulkindern auf DDR- und deutsche Teilungsgeschichte" (Kap. 5.4) zusammen, arbeitet bestehende Desiderata heraus und setzt diese wiederum mit den Zielen der eigenen Untersuchung in Beziehung. Das erste Großkapitel schließt mit einer Zusammenfassung (Kap. 6), in welcher sowohl die zentralen Aspekte der fachwissenschaftlichen wie fachdidaktischen Fundierung eruiert als auch die Fragestellungen und Zielsetzung der Arbeit abgeleitet und begründet werden. Die übergeordnete Fragestellung "Welche Vorstellungen haben Grundschulkinder von der DDR- und der deutschen Teilungsgeschichte?" wird in drei Subfragen spezifiziert. Die ersten beiden Subfragen fokussieren die Vorstellungen von Viertklässler:innen zum politischen System sowie Alltagsleben in der DDR, zur deutschen Teilungsgeschichte, zur Friedlichen Revolution und das damit zusammenhängende Machtkonzept. Die dritte Subfrage zielt auf die Wissensquellen der Proband:innen ab.
Es wird deutlich, dass Julia Peuke mit ihrer Arbeit mehreren Desiderata zugleich begegnet, deren Bearbeitung wiederum zur Weiterentwicklung des zeithistorischen Lernens im Sachunterricht beitragen. Vor diesem Hintergrund begründet Julia Peuke umfassend das empirische Vorgehen und ordnet es in das methodologische Rahmenkonzept ein. Im Sinne des intersubjektiven Nachvollzugs wird zunächst die Grounded-Theory-Methodologie als methodologische Rahmung beschrieben und zudem die Qualität der Untersuchung anhand von Gütekriterien der (reflexiven) Grounded-Theory-Methodologie geprüft. Dazu werden die zentralen Elemente der methodologischen Rahmung der Untersuchung deskriptiv dargestellt, um das konkrete empirische Vorgehen in den nachfolgenden Kapiteln umfassend und nachvollziehbar zu begründen. Es wird ausführlich erläutert, wie das gewählte Erhebungsinstrument des problemzentrierten Interviews und dessen Einsatz im Feld gelingen. Die aufgrund des Pretests vorgenommenen Modifizierungen basieren auf einer kurzen, aber nachvollziehbaren kritisch-konstruktiven Reflexion. Somit erzeugt Julia Peuke einen umfassenden und dichten qualitativen Datensatz, basierend auf einem stimmigen Setting und einem Oversampling durch den eingeschränkten Zugang zum Feld. Die Aufbereitung und Auswertung der gewonnenen Daten wird für die Lesenden offengelegt und erlaubt diesen einen intersubjektiven Nachvollzug. Dabei ist die kleinschrittige Darlegung der Vorgehensweise insgesamt nachvollziehbar, dennoch wären beispielsweise (Anker-) Beispiele aus dem generierten Datensatz zur 'Unterfütterung' der Befunde hilfreich beziehungsweise wünschenswert gewesen. Im Rahmen des dritten Großkapitels werden die differenziert dargelegten Ergebnisse entlang der Kategorien nun durch spannende Ankerzitate untermauert. Durch das theoriegeleitete Auswertungsverfahren der Grounded-Theory-Methodologie gelingt Julia Peuke die Rekonstruktion einer Kerntheorie zur DDR- und deutschen Teilungsgeschichte aus allen ausgewerteten Interviews. Im Weiteren konnten vier Kategorien herausgearbeitet werden: "'getrennt und eingemauert'", "'von allem zu wenig und von allem mehr' - Alltag in DDR und BRD als Vergleichsdimension", "Flucht und Gefahr des Erschossen-Werdens" und "'gemeinsam erreichen, frei zu sein' - Das Ende der deutschen Teilung". An die Ergebnisdarstellung anknüpfend, diskutiert und reflektiert sie die Befunde ihrer Arbeit überzeugend, um darauf rekurrierend erste Konsequenzen für das zeithistorische Lernen im Sachunterricht abzuleiten. Zur Beantwortung der Fragestellungen der Arbeit fasst Julia Peuke die zentralen Befunde zusammen und setzt sie mit dem Forschungsstand sowie den fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Darlegungen in Beziehung.
Insgesamt ist es Julia Peuke gelungen, die Perspektiven von Grundschulkindern der vierten Jahrgangsstufe aus Osnabrück und Berlin zur DDR- und deutschen Teilungsgeschichte umfassend zu erfassen und zu rekonstruieren. Dementsprechend bereichert ihre Arbeit die fachdidaktischen Diskussionen um das historisch-politische Lernen im Kontext von Zeitgeschichte im Sachunterricht. Zugleich gilt es, diese Diskussionen durch weitere Forschungen voranzutreiben - auch hierfür leitet Julia Peuke dezidiert weitere Forschungsdesiderate und damit verbundene Forschungsperspektiven ab, die zukünftig für eine weitere fachdidaktische Fundierung zeithistorischen Lernens im Sachunterricht bearbeitet werden könn(t)en.
Julia Diederich