Rezension über:

Nicolas Assur Corfù: Die Bedeutung des Kranzes im spätantiken Orient. Zu Thronbesteigung, Kranzübergabe und Religionen im Sasanidenreich, Basel: Schwabe 2025, 284 S., 83 s/w-Abb., ISBN 978-3-7965-5273-1, EUR 58,00
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Rezension von:
Michael Stausberg
Universitetet i Bergen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Michael Stausberg: Rezension von: Nicolas Assur Corfù: Die Bedeutung des Kranzes im spätantiken Orient. Zu Thronbesteigung, Kranzübergabe und Religionen im Sasanidenreich, Basel: Schwabe 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/39785.html


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Nicolas Assur Corfù: Die Bedeutung des Kranzes im spätantiken Orient

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Der Titel des vorliegenden Buches ist etwas irreführend, denn bei diesem Werk handelt es sich um nichts weniger als einen ikonoklastischen Rundumschlag gegen etablierte Meinungen zur Bedeutung von Königtum und Religion im sasanidischen Iran und zur Geschichte des vorislamischen Zoroastrismus. (Die hier in Frage gestellten Annahmen wurden auch von diesem Rezensenten vertreten.) Lange war die Forschung davon ausgegangen, dass der Zoroastrismus entweder die Staatsreligion oder die dominante Religion im Sasanidenreich war. Der Autor (geb. 1958) will das sasanidische Königtum demgegenüber in eine "säkulares" Licht rücken.

Das Buch beginnt mit Ausführungen zum Thema Investitur im vorislamischen Iran und anderen spätantiken Kulturen. Die Schlüsselszene ist die auf sasanidischen Felsreliefs zu sehende Kranzübergabe, in der ein Kranzgeber einen bebänderten Kranz an einen Kranzempfänger überreicht. Meines Erachtens lässt sich bei Betrachtung der Abbildungen indes nicht immer klar sagen, ob es sich um einen Kranz handelt oder um einen Ring. Letzteres scheint mindestens genauso wahrscheinlich; Bruno Overlaet, dem wir grundlegende jüngere Studien zu den Reliefs verdanken, spricht z. B. immer von einem Ring. Neun Reliefs mit Kranz/Ringübergabe werden im Einzelnen vorgestellt (35-44), ehe eine eingehende thematische Analyse der visuellen und textuellen Elemente dieser Reliefs folgt, von den Größenverhältnissen der dargestellten Figuren (Isokephalie bei den Kranz/Ringübergabemotiven) bis hin zu den Texten der Inschriften. Insgesamt sind, laut Corfù, Darstellungen von Kranz-/Ringübergaben auf sieben Felsreliefs zu sehen, die von fünf Herrschern angebracht wurden, vier davon aus den ersten beiden Jahrhunderten der Sasanidenherrschaft.

Um zu klären, ob das Motiv einer Kranz-/Ringübergabe die Idee einer göttlichen Einsetzung (Investitur) eines Herrschers beinhaltet, was aus den schriftlichen Primär- und Sekundärquellen nicht hervorgeht, macht sich Corfù auf Spurensuche nach der "Bedeutung des Kranzes in der Spätantike" (so der Titel von Kapitel V, S. 73-120), wobei bebänderte (= mit zwei herabhängenden Textilien versehene) und unbebänderte Kränze unterschieden werden. Dabei ist auch stets zu unterscheiden, ob Kränze überreicht werden oder auf andere Weise ikonographisch platziert werden (z.B. von Einzelnen oder von Paaren hochgehalten). Das Kapitel beginnt indes mit einer Diskussion iranischer Kranz-/Ringdarstellungen, wobei es verschiedene Genre kultureller (öffentlicher und privater) Produktion jeweils historisch geordnet durchgeht: Reliefs, Schalen/Vasen, Siegel und Münzen. Dieser Durchgang wartet mit einigen interessanten Beobachtungen auf. So werden unbebänderte Kränze/Ringe auf Reliefs (fast) nie jemandem übergeben; auch besteht in der Komposition "keine direkte Beziehung zwischen Kranzgeber und der Hauptperson" (82) und der Kranz/Ring befindet sich nie in der Nähe der Hauptperson. Auf sasanidischen Münzen vor allem der frühen Herrscher werden bebänderte Kränze/Ringe überreicht, wobei das stets durch eine büstenartige Figur erfolgt. In der relativen Kleinheit der Figuren sieht Corfù ein Argument gegen ihre Identifikation als Gottheiten (83). Bebänderte Kränze seien seit der hellenistischen Zeit im Osten gut belegt, und ein Wechsel von unbebänderten zu bebänderten Kränzen beobachtet Corfù in Baktrien etwa im 2. Jh. v. Chr. Die dominante Symbolik ist die von Sieg und Ehrung, was sich für die Reliefs dann als Alternative zur dominanten Interpretation als Investiturgeschehen aufdrängt.

In den folgenden Unterkapiteln holt die Darstellung weit aus, vom alten Mesopotamien bis zum kaiserzeitliche Rom. Corfù stellt fest: "Ein bebänderter Kranz als Amtsinsignie wird im Alten Orient nie erwähnt." (89) Für die Genese des bebänderten Kranzes und seiner Bedeutung vermutet er eine Art ikonographische Fusion der beiden Motive Nasenseil und Ring in neuassyrischer Zeit: "Das Nasenseil symbolisiert die Macht des Herrschers durch die Unterwerfung der Besiegten, die an das Seil gebunden sind. Der Ring diente ursprünglich der besseren Handhabung von mehreren Nasenseilen. In der frühen neuassyrischen Zeit verschmolzen die beiden Elemente zu einem einfachen, teilweise gerollten Seil. Dieses gewandelte Symbol bedeutete Sieg und Herrschaft über mehrere Unterworfene/Fremdvölker; es nahm mit der Zeit die Bedeutung von Sieg im Allgemeinen an." (94) Das scheint brillant, ist aber spekulativ, weil nur punktuell indizienhaft beobachtbar, und erklärt auch nicht, warum die Bebänderung der Kränze in der Regel aus zwei Tüchern besteht.

Für den okzidentalen Bereich siedelt Corfù die Anfänge der Kranzsymbolik im Sepulkralbereich an, mit ersten Zeugnissen aus Mykene (99), später auch aus Ägypten (103). Seit der orientalisierenden Epoche trat dann der Siegesaspekt in den Vordergrund, mit ersten bildlichen Darstellungen der Nike mit Kranz ab dem Ende des 6. Jh. v. Chr. (100). Ab der klassischen Zeit wurde die Kranzsymbolik vielschichtig. Bei den Römern spielte der Kranz - immer mit zwei Bändern - eine große Rolle, und es wurden verschiedene Spielarten der corona unterschieden. Eingehender geht Corfù auf Münzen aus dem östlichen Mittelmeerraum ein, wobei das Motiv der Kranzübergabe jedoch fehlt (104-110). Dieses findet sich auf einer eher seltenen Gruppe römischer Münzen aus der 2. Hälfte des 3. Jh. n. Chr. - von Valerian I. bis Carus - , also parallel zur frühen Sasanidenzeit. Wie bei den Sassaniden ist der stets männliche Herrscher (hier der Kaiser) der Empfänger des Kranzes, die mittels der Kranzüberreichung ehrende Figur hingegen ist immer weiblich und personifiziert ein Abstraktum (Concordia, Oriens, Roma) (113). (Das hier angewandte "gruppentheoretische" Verfahren mag für den Verfasser hilfreich gewesen sein, bleibt mir von der Vorgehensweise her aber unklar). Corfù hält eine sasanidische Übernahme des Motivs von römischen Münzen für wahrscheinlicher als umgekehrt (114). Als ein stützendes Argument kann Corfù hier auf verschiedene okzidentale Elemente auf den sasanidischen Reliefs verweisen (117). Aus der Betrachtung des Kranzmotivs bzw. der Kranzübergabe leitet Corfù eine Neudeutung der sieben Felsreliefs ab: Er erkennt dort "keine Darstellung einer Gottheit [...]; sie weisen also keinen religiösen Aspekt auf." (117) "Mit den Kranzübergabereliefs gedachten die Sasanidenherrscher der siegreichen Herrschaft des verstorbenen Vorgängers." Sie sind "Ehrenmale für die Vorgänger des auftraggebenden Herrschers." (118) Und: "Die gebende Person auf den sasanidischen Darstellungen kann, entsprechend der römischen Parallele, als eine allegorische Figur gedeutet werden" (119). Nur welche? Hier schlägt Corfù vor, "im Kranzgeber den Repräsentanten des Sasanidenreichs zu sehen." (120) Anders als die römischen Parallelen ist eine solche allegorische Figur jedoch bei den Sasaniden nicht belegt. Auch sind im iranischen Bereich, wie bei den Römern, Abstrakta in der Regel zugleich Gottheiten oder göttliche Figuren. Ganz so unreligiös, wie Corfù sich das vorstellt, ginge es auch in seiner Deutung dann nicht zu.

Die Identifikation des Kranz-/Ringgebers mit dem weisen-guten Gott Ohrmazd wurde bisher auch deshalb angenommen, weil sie durch eine kurze Inschrift bestätigt zu sein scheint, die auf dem Felsrelief des Ardašir I. an Naqš-i Rustam unauffällig auf der Brust eines berittenen Pferdes angebracht ist, was keinen repräsentativen, sondern eher einen verlegenen Eindruck erweckt. Anstatt die Inschrift als "Dies (ist) das Bildnis des Gottes Auramazda" zu lesen - so eine Standardübersetzung - schlägt Corfù vor: "Dies (ist) das Bild von Hormizd, einem Herrscher/einer Majestät". Bgy könnte in der Tat "Herr" oder "Majestät" bedeuten (griechisch ΘΕOY), und mir Hormizd wäre dann einer der Sasanidenherrscher dieses Namens gemeint; bei der Inschrift würde es sich somit um einen retrospektiven Identifikationsversuch von Nachgeborenen handeln, nicht um einen Propagandatext. Nur warum war dieser dann ebenfalls dreisprachig verfasst? Und warum wurde "Bildnis des Ohrmazd/Hormizd" in der griechischen Fassung mit "Bildnis des Zeus" (ΔIOC) übersetzt? Bereits der Übersetzer hätte dann den Sinn der Inschrift missverstanden. Außerdem besteht das Problem der Chronologie, denn Hormizd I. war nicht der direkte Nachfolger von Ardašir I.; warum aber sollte die Ehrbezeugung seinen direkten Vorgänger (Šapur I.) überspringen? Die Alternative mag also nicht recht zu überzeugen. Weiterhin möchte Corfù das in mehreren Inschriften als Attribut verwendete Adjektiv mzdysn als "weise" lesen, also als Charaktereigenschaft, nicht als Religionsaffirmation ("mazdaverehrend/zoroastrisch"). Das ist denkbar. Damit entfielen dann zwei Standardbelege für die zoroastrische Identifikation der Herrscher in den Felsreliefs: keine Investitur, kein Gott, keine Bekenntnisformel.

Der Exkurs "Zu den Religionen im Sasanidenreich", der etwa ein Drittel des Buches ausmacht (121-184), verfolgt die Zielrichtung der "Säkularisierung" des Sasanidenreichs weiter, indem er Belege für die Vorherrschaft des Zoroastrismus systematisch problematisiert, herunterspielt und mitunter bagatellisiert. Vielleicht ist es diese dekonstruktive Zielrichtung, die Corfù die Überschrift "Exkurs" hat wählen lassen. Auch hat die Darstellung etwas zettelkastenartig Quellenpositivistisches und ist mitunter naiv und simplifizierend. Das irritiert, legt aber in der Tat eine nüchterne Zurückhaltung nahe. Corfù gibt uns eine wichtige Hausaufgabe mit auf den Weg: die religiöse Zuordnung des Sasanidenreichs offener zu betrachten. Wie schnell es hier zu methodologischen Verfestigungen kommt, zeigt Corfù polemisch, aber nicht unzutreffend auf: "Die Althistoriker behaupten auf der Grundlage von schlecht datierten Texten, dass die Iraner Zoroastrier waren. Die Archäologen bauen darauf auf und meinen, man müsste in jeder iranischen Stadt einen Feuertempel finden, da die Iraner Zoroastrier waren; folglich bezeichnen sie unklare Architekturreste als Feuertempel." (152) Die Studie ist insofern ein interessantes Beispiel dafür, dass die detailgenaue Analyse eines Motives - hier der bebänderte Kranz, bei dem es sich aber wohl ebenso um einen Ring handeln könnte - große Fragen aufwirft.

Michael Stausberg