Rezension über:

Robert Rebitsch: Rebellion 1525. Michael Gaismair und der Aufstand der Tiroler Bauern, Innsburck: Tyrolia-Verlag 2024, 376 S., 70 Farb-, 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-7022-4222-0, EUR 38,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Reinhard Baumann
München
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Baumann: Rezension von: Robert Rebitsch: Rebellion 1525. Michael Gaismair und der Aufstand der Tiroler Bauern, Innsburck: Tyrolia-Verlag 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/39691.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "500 Jahre Bauernkrieg" in Ausgabe 25 (2025), Nr. 7/8

Robert Rebitsch: Rebellion 1525

Textgröße: A A A

Bei der Flut von Neuerscheinungen zum großen deutschen Bauernkrieg im Gedenkjahr 2025 musste der Fokus auch auf Tirol gerichtet werden. Robert Rebitsch, Privatdozent an der Universität Innsbruck, hat eine umfangreiche Publikation vorgelegt, in der er einerseits den Bauernkrieg in Tirol behandelt, andererseits aber auch die Rolle des außergewöhnlichen Revolutionärs Michael Gaismair beleuchtet. Dabei wird klar, dass der Autor mit einem weiten Blick und intensiver Analyse an das Thema Bauernkrieg herangeht. Zuerst klärt er, was denn eigentlich unter Tirol im frühen 16. Jahrhundert zu verstehen ist: nämlich nicht nur die Grafschaft Tirol, sondern auch die beiden zwar reichsunmittelbaren, aber doch eng mit Tirol verflochtenen Hochstifte Brixen und Trient. Tirol war auch nicht nur ein Bauernland mit bäuerlicher Vertretung im Landtag, sondern auch ein Passland mit Handel, vor allem aber spielte auch der Bergbau eine große Rolle.

Die Bauernkriegsereignisse in Tirol werden zuerst in den europäischen Zusammenhang gestellt: Der Konflikt zwischen Habsburg und Valois um die Vorherrschaft in Europa beeinflusste den Bauernkrieg ganz unmittelbar, denn in der Lombardei kämpften viele Tausende Landsknechte, die zunächst den Fürstenheeren gegen die Bauern fehlten. Auch die osmanische Bedrohung in Ungarn band Söldner und finanzielle Mittel. Der Bauernkrieg im Reich, in Mitteldeutschland und besonders im Süden betraf Habsburg und Tirol unmittelbar, denn den Zusammenschluss der drei großen Bauernhaufen zur Christlichen Vereinigung nahm man in Innsbruck als Bedrohung war, lagen doch die habsburgischen Herrschaften in Vorarlberg und in Vorderösterreich im oder nahe am süddeutschen Revolutionsgebiet. Zudem war der junge Tiroler Landesherr Ferdinand als Bruder des Kaisers ein begehrter Konfliktregler der oberschwäbischen und Allgäuer Bauern, eine Rolle, mit der er auf Zeit spielte und die er zu nutzen verstand.

Die Ereignisse des Bauernkriegs in Tirol behandelt Rebitsch gründlich - von den Knappenunruhen am Anfang des Jahres 1525 bis zu den Landtagen 1525-32, auf denen der Bauernkrieg verhandelt wurde.

Vorher stellt der Autor jedoch die zentrale Frage der Bauernkriegsforschung seit 1975, was sich denn damals überhaupt ereignet hat: ein Aufstand oder ein Krieg der Bauern oder eben doch eine "Revolution des gemeinen Mannes" (Peter Blickle). Nach Kriterien moderner Geschichtswissenschaft habe im Reich und auch in Tirol 1525/26 ein Krieg stattgefunden, als ein Massenkonflikt mit zwei bewaffneten Parteien, "als oberste Stufe der Eskalation von Gewalt". (45) Nicht so eindeutig gibt der Autor dann eine Antwort auf die Frage, ob es sich um "Rebellion oder Revolution" handle. Zwar stellt er zutreffend fest, dass Revolutionen von einem politisch innovativen Ansatz begleitet seien (vgl. 47), doch mag er den Aktionen Michael Gaismairs den revolutionären Charakter nicht zubilligen. Gaismairs politischer Entwurf sei das Produkt eines Einzelnen geblieben, bestenfalls habe es sich um eine gescheiterte Revolution gehandelt. Erfolg oder Scheitern definieren allerdings eine Revolution nicht, und auch "das Produkt eines einzelnen" kann kein Argument gegen den revolutionären Charakter sein, sonst hätten sich einige Revolutionen in der Weltgeschichte weniger ereignet (z.B. Lenin). Gaismair hatte erstaunlich viele Anhänger, und gerade die Herrschenden in Tirol fürchteten die Staat und Gesellschaft verändernde Landesordnung Gaismairs so sehr, dass sie ein Kopfgeld aussetzten und Mörder anwarben.

Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass sich Rebitsch um einen stets kritisch neuen Blick auf Gaismair bemüht, selbst wenn dazu die Argumentation nicht mehr zwingend und weit hergeholt ist. In der Auseinandersetzung mit Gaismairs Landesordnung wird ins Feld geführt, dass sie niemals umgesetzt worden sei, dabei aber vernachlässigt, dass er das bis zu seiner Ermordung vorhatte. Dem für seine Zeit höchst modernen Entwurf einer auf ein reales Gebiet und reale Menschen bezogenen Gesellschaftsordnung schenkt Rebitsch kaum Beachtung. Zweifellos trägt die Gaismair'sche Landesordnung utopische Züge, sie ist ihrer Zeit weit voraus, hat sogar erste aufklärerische Ansätze lange vor der Aufklärung, fordert vernunftbestimmtes Handeln und hat die Gleichheit der Menschen und das bonum comune, den Gemeinen Nutzen, zum Ziel. Gaismairs "reale Utopie" ist deshalb durchaus dem Zeitgenossen Thomas Morus mit seiner "Utopia" und dem einige Jahrzehnte später seinen "Sonnenstaat" verfassenden Thomas Campanella an die Seite zu stellen. [1] Die große Leistung Gaismairs will Rebitsch nicht sehen, kritisiert vielmehr den Entwurf Gaismairs als "viel zu marginal skizziert". (272)

Die nachfolgenden Kapitel berichten vom Zug Gaismairs von Graubünden durch Tirol ins Salzburgische Aufstandsgebiet und dann vom Weg des kleinen Gaismair'schen Heeres über die Tauern ins Pustertal und schließlich vom Rückzug auf venezianisches Gebiet. Rebitsch hat hier akribisch Archivmaterial zusammengetragen, legt im Einzelnen Gaismairs Vorgehen und die Reaktionen des Innsbrucker Hofes mit den militärischen Planungen dar. Umso unverständlicher ist dann, dass er der einzigen Schlacht nach dem Scheitern Gaismairs bei Radstadt kaum Beachtung schenkt. Die lapidare Feststellung, es habe bei Bruneck einige Scharmützel gegeben (290), genügt nicht. Nach bisherigem Forschungsstand - und gäbe es neue Quellen, müsste das erwähnt sein - kam es bei Bruneck, genauer, bei der Sonnenburg und dem Ansitz Glurnhör, zu einer Schlacht zwischen aufgebotenem Landvolk und Landsknechtfähnlein unter Georg von Frundsberg und dem Gaismairheer. Dass dieses Treffen zwar verlustreich war, aber eben auch keine klare Niederlage Gaismairs darstellte, hatte Folgen. Vom Zug ins Eisack- und Etschtal nahm er nun Abstand und trat den Rückzug durch die Zentraldolomiten auf venezianisches Gebiet an, verfolgt, aber nicht erreicht von Frundsberg.

Dass das Revolutions- und Söldnerheer dann in venezianische Dienste trat, Gaismair zum Condottiere der Markusrepublik wurde, auch militärische Erfolge im Krieg der Heiligen Liga hatte und von den Venezianern hochgeschätzt war, legt Rebitsch ebenso dar wie die Intrigen anderer venezianischer Condottieri und den Abschied Gaismairs als Heerführer. Er berichtet vom venezianischen Pensionär in Padua, der nach wie vor als nun reicher Gutsherr den Plan zum Feldzug nach Tirol und zum Verwirklichen seiner Landesordnung nicht aufgegeben hat, bis zur Ermordung 1532.

Das Fazit: "Gaismair als Militär und Stratege" ist eine notwendige Beurteilung des Tiroler Revolutionärs am Schluss des Buches, kann aber nicht überzeugen. Seine militärische Leistung bei Radstadt hinterlasse "einen zwiespältigen Eindruck". (308) Dabei hebt Rebitsch den erfolgreichen Überfall Gaismairs auf Fähnlein des Schwäbischen Bundes am Mandlingpass hervor, kritisiert hingegen seine ungenügende Absicherung gegen einen Ausfall der Besatzung Radstadts. Dieses nicht gleichwertige Abwägen wird dann aber noch verstärkt, wenn der erfolgreiche und strategisch geschickte Zug von Radstadt über Hochgebirgspasswege nach Ost- und Südtirol dadurch relativiert wird, dass Gaismair hier nicht genügend Anhänger gefunden habe. Völlig verfehlt ist der Vergleich mit dem kaiserlichen Feldherrn und Paviasieger Pescara, der nie Gebirgsfeldzüge befehligte (308). Sehr wohl aber kann man Gaismair mit Frundsberg vergleichen. Im Gebirgskrieg war Gaismair Frundsberg durchaus ebenbürtig - letzterer legendär mit seinen Alpenübergängen 1522 und 1526, Gaismair aber mit seinen Zügen von Graubünden nach Radstadt, vom Pinzgau über die Tauern ins Pustertal und dann durch die Zentraldolomiten ins venezianische Agordo ebenfalls meisterhaft. [2]

Intensives Heranziehen von Quellen und Literatur gehört zu den Stärken von Rebitschs Buch, andererseits ist der Autor immer wieder in der Argumentation nicht überzeugend. Dazu kommen umständliche Formulierungen: "wie hier dargelegt" (307), "kommen wir wieder [...] zurück" (298) und oft ärgerlicher verfehlter Ausdruck, der sich an die Gegenwartssprache anbiedert: Da macht Gaismair in Venedig "bella figura" (292), da sind Landsknechte "Soldaten" und "Infanteristen" (293), da eröffnet sich für Gaismair ein "window of opportunity". (285)


Anmerkungen:

[1] Vgl. Peter Blickle: Die Revolution von 1525, 4. Auflage, München 2004, 223-226; Ferdinand Seibt: Utopica, München 2001, 82-89; Richard Saage: Politische Utopien der Neuzeit, Darmstadt 1991, 15-31.

[2] Reinhard Baumann: Mythos Frundsberg, Familie, Weggefährten, Gegner des Vaters der Landsknechte, Mindelheim 2019, 150-169.

Reinhard Baumann