Rezension über:

Thomas Kaufmann: Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis, Freiburg: Herder 2024, 544 S., 70 s/w-Abb., ISBN 978-3-451-39028-9, EUR 35,00
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Rezension von:
Andreas Würgler
Département d’histoire générale, Universität Genf
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Würgler: Rezension von: Thomas Kaufmann: Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis, Freiburg: Herder 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/39590.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "500 Jahre Bauernkrieg" in Ausgabe 25 (2025), Nr. 7/8

Thomas Kaufmann: Der Bauernkrieg

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Im vorliegenden Buch vertritt der Göttinger Theologe und Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann die (nicht neue) These, dass es "den Bauernkrieg gab [...], weil er medial initiiert und inszeniert wurde", und dass "der Bauernkrieg als überregionales Ereignis [...] infolge und aufgrund des Buchdrucks" entstanden sei (19).

Zeitgenössische gedruckte Reaktionen und historiographische Darstellungen des Ereignisses 1525 von Luther und Cochläus über Sartorius und Zimmermann bis Ranke und Engels werden im 1. Kapitel (23-54) vorgestellt. Das 2. Kapitel (55-135) skizziert kenntnisreich mit interdisziplinärer Umsicht und vielen Illustrationen das mediale "Bild" des Bauern von den apokalyptischen und utopischen Visionen über die Literatur und Druckgraphik bis zum und im publizistischen Echo auf die Vorläuferaufstände (55-135).

Im umfangreichsten 3. Kapitel (137-248) "Die Publizistik des Bauernkrieges - der Bauernkrieg in der Publizistik" entfaltet Kaufmann seine These des Bauernkrieges als Medienereignis, wobei die zentralen "bäuerlichen" Manifeste - die "Zwölf Artikel" und die (ebenfalls zwölf Artikel umfassende) sogenannte Memminger "Bundesordnung" - den Ausgangspunkt bilden. Beide wurden Mitte März verlegt und in nie dagewesener Geschwindigkeit und Menge (24 bzw. zehn Mal bis Mitte Mai) nachgedruckt. Mit guten Argumenten sieht er in den Zwölf Artikeln einen "publizistische[n] Alleingang" (171) des Kürschnergesellen Sebastian Lotzer, spart dabei aber den intellektuellen Einfluss Christoph Schappelers - und damit Zwinglis - aus. Der Erfolg der Artikel beruhe darauf, dass sie von geografischen Hinweisen abstrahierten und bezüglich Gehorsamsverweigerung oder Gewaltbereitschaft eine moderate Position eingenommen und den Text mit - meist nicht einschlägigen - Verweisen auf Bibelstellen deutlich in die Nähe der Reformation gerückt hätten.

Publizistisch reagierte auf diese beiden als Einheit wahrgenommenen Texte vor allem Martin Luther. Zunächst warnte er mit seiner "Ermahnung zum Frieden" vor Aufruhr, Ungehorsam und Gewaltanwendung. Der Teufel habe die Bauern dazu verführt, die Abschaffung der Leibeigenschaft zu fordern und somit die "Christliche freyheit gantz fleischlich" (176) zu interpretieren. Doch Christ sein bedeute "leyden, leyden". (175) Und selbst gegen tyrannische Obrigkeiten sei Aufruhr nicht gestattet. Dieser Aufruf zum Frieden als Unterwerfung kam - obwohl in 19 Ausgaben nachgedruckt - bei den Akteuren nicht an. Etwa gleichzeitig mit der brutalen Niederschlagung der bäuerlichen Heere Mitte Mai erschien Luthers Traktat "Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern", das 21-mal (mit verschiedenen Titeln) nachgedruckt wurde. Darin habe sich Luther gegen den Missbrauch des Evangeliums und seines Namens zur Rechtfertigung von Aufruhr gewehrt und die christlichen Obrigkeiten zu brutaler Gewalt gegen Aufrührer ermuntert. Diese unvorhersehbare Koinzidenz habe die katholische Gegenpropaganda dazu genutzt, in Luther sowohl die Ursache des Bauernkrieges als auch den Anstifter der Fürstengewalt zu sehen.

Diesen "Verrat" an den Bauern "dokumentierte" die katholische Propaganda, indem sie die Luthertexte, ergänzt mit Listen der Bauernhaufen oder mit Kommentaren, nachdruckte - eine schon von Luther genutzte Taktik (200-214). Die Gegenstrategie des reformatorischen Lagers habe an Stelle Luthers den "schwärmerischen" Thomas Müntzer für den Bauernkrieg verantwortlich gemacht (215-229). Zudem sei der Krieg als "Strafe Gottes über Deutschland, das das Evangelium verworfen" (230) habe, gedeutet worden, also als Verschulden der (altgläubigen) Fürsten. Weniger publizistische Resonanz erzielten die von den Herrschaften im Druck verbreiteten vertraglichen Lösungen des Konfliktes (192-200). Im gedruckten Lied - nicht bei Luther - sei zum ersten Mal der Begriff "Bauernkrieg" für die Niederlagenserie der Aufständischen belegt (237). Die Nachdrucke hielten sich in Grenzen, doch seien diese Warnungen vor dem Aufruhr über Bänkelsänger auch mündlich verbreitet worden (235-245).

Das 4. Kapitel dreht sich um die "Verarbeitungen des Bauernkrieges" (249-326). Damit richtet sich sein Blick aber nicht auf die Lage der Bauern, sondern - neben etwa den Täufern (268-282) und der Druckgrafik (291-318) - erneut auf den Wittenberger: "In De servo arbitrio [Vom unfreien Willen, 1525] spitzte Luther seine radikale Gnadentheologie, die jede menschliche Mitwirkung am Heil ausschloss", zu (259). Luther habe nun für die territorialstaatliche Fürstenherrschaft als Protektorin der Reformation (261) optiert und - aufgrund der Erfahrungen von 1525 - ein Widerstandsrecht der Gläubigen gegen Tyrannen verneint (263).

Abschließend verweist Kaufmann auf die Sinnstiftungsversuche der Historiografie. Seien bis ins 19. Jahrhundert vor allem kleinadelige Helden wie Götz von Berlichingen oder hingerichtete bürgerliche Bauernführer wie Jecklin Rohrbach gefeiert worden, habe sich die Geschichtswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert an Deutungen des Bauernkriegs als "Revolution Nr. 1 der Bourgeoisie" (Friedrich Engels, 50), "frühbürgerliche Revolution" (50-53, 325) oder "Revolution des Gemeinen Mannes" (20, 325) abgearbeitet. Doch, so Kaufmann, alle diese Sinnstiftungen krankten am Problem, dass kaum bäuerliche Stimmen wahrnehmbar gewesen seien. In seinem Fazit bleibt "der erste medial angefachte und flankierte Krieg an der Schwelle zur europäischen Frühen Neuzeit" letztlich so "an sich sinnlos" wie jeder Krieg, denn, so der pastorale Schlusssatz des Buches: "Krieg schädigt des Menschen Innerstes, seine Seele". (326)

Trotz des Titels fehlen in Kaufmanns Buch Reflexionen darüber, was ein Medienereignis sein und wie es sich vom historischen Ereignis unterscheiden könnte. Ebenso vermisst man Fragen wie jene nach anderen als gedruckten Medien oder allfälligen Rückwirkungen der medialen Repräsentationen nicht nur auf andere Autoren, sondern vor allem auf die Akteure in Ratsstuben, Bauernversammlungen oder auf dem Schlachtfeld selbst. Die These wonach die Kommunikation unter den Bauernhaufen "als performative Umsetzung eines Imaginariums" (246) zu verstehen sei, das zuvor "literarisch-publizistisch" geschaffen wurde, übersieht die Chronologie der Ereignisse: die Beschwerden der Christlichen Vereinigung waren Grundlage der Zwölf Artikel, nicht umgekehrt. Wenn man aber unter Bauernkrieg nur die publizistische Debatte (über ihn) versteht, dann reduziert sich die These, die Medien hätten den Bauernkrieg "induziert", auf einen Zirkelschluss. So bietet Kaufmanns Zugang mehr zur Luther-Exegese und Flugschriftenphilologie auf hohem Niveau als zur Erklärung eines Medienereignisses. Zum medienhistorischen Defizit passt, dass einschlägige Namen in der Bibliografie fehlen, zum Beispiel Johannes Burkhardt, der 2002 den "Bauernkrieg als Medienkrieg" und "erste [...] Massenbewegung, die vom Druckmedium hervorgerufen" worden sei, bezeichnet hatte. [1] In diesem Kontext mutet es auch seltsam an, dass der Forschungsüberblick 1933 stehen bleibt (50-53) und später nur noch Erinnerungspolitik selektiv aufzählt: So wird unterstrichen, welche SS-Truppeneinheit nach welchem (adeligen) Bauernführer benannt wurde (321f.), nicht aber, dass dasselbe NS-Regime Wittenberg 1938 zur "Lutherstadt" weihte. Neben so viel Empörung über Erinnerungspolitik bleibt wenig Platz für eine geschichtswissenschaftliche Debatte über die in der DDR postulierte "frühbürgerliche Revolution" (50-53, 325) oder die BRD-Gegenposition der "Revolution des Gemeinen Mannes" (20, 325) - letztere sogar - damnatio memoriae? - ohne Nennung ihres Erfinders Peter Blickle. [2] Am Ende ist Kaufmanns gelehrtes Werk eher ein Buch über das Echo von 1525 in der Druckpublizistik als eines über den Bauernkrieg als Medienereignis oder gar als historisches Phänomen.


Anmerkungen:

[1] Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert, Stuttgart 2002, 64, 74.

[2] Peter Blickle: Die Revolution von 1525, München, Wien 1975 [4. Aufl. 2004].

Andreas Würgler