Elisabeth Ansel: Jack B. Yeats. Nationale Identitätskonstruktionen in der irischen Moderne (= Studien zur Kunst; 49), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2023, 505 S., 117 z.T. farbige Abb., ISBN 978-3-412-52727-3, EUR 90,00
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Elisabeth Ansel widmet sich mit dem irischen Maler Jack B. Yeats (1871-1957) einem Künstler, der im deutschsprachigen Raum bisher wenig Beachtung fand. Bei der Publikation handelt es sich um die mit einem Preis ausgezeichnete Dissertation der Autorin. [1] Der Fokus der Arbeit liegt auf der kritischen Analyse des Zusammenhangs von nationaler Identitätsbildung und der Rolle der Kunst in diesen Prozessen.
Diesen Konnex am Beispiel Yeats' zu diskutieren, bietet sich deshalb an, weil dieser eine zentrale Figur der irischen Moderne war und bis dato hauptsächlich als Porträtist der irischen Landschaft, Kultur und Mythologie galt. Yeats arbeitete stets figurativ, vereinte dabei allerdings realistische wie auch abstrakte Tendenzen. Er stammte aus einer irischen Künstlerfamilie. [2] Als erfolgreicher Künstler und Mitglied der Royal Hibernian Academy war er an zahlreichen Ausstellungen beteiligt und wurde Zeit seines Lebens als Nationalkünstler charakterisiert. Dass es sich dabei um eine politisch motivierte Konstruktion und somit eingeschränkte Rezeption seines Werks handelt, kann Ansel in ihrer umfassenden Studie nachweisen.
Das 505 Seiten starke Buch ist die erste umfassende Studie zum Werk des Künstlers auf Deutsch. In sechs Kapiteln setzt sich Ansel mit Yeats' Biografie und Werk sowie dessen zeitgenössischer und kunsthistorischer Rezeption auseinander. Die Darstellung der Künstlerbiografie verknüpft sie mit einem Abriss zum Celtic Revival (auch: Irish Renaissance) als Bewegung der kulturellen Identitätsstiftung. Anschließend macht sie deutlich, wie Stereotypisierung und Kanonisierung miteinander einhergingen: Mit der Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien wurde ein Kanon irischer Kunst entworfen. Werkbiografien wurden dementsprechend eingleisig erzählt - sowohl positiv von irischen als auch negativ von britischen Kritikern. Davon ausgehend untersucht Ansel verschiedene Werkgruppen Yeats' hinsichtlich nationaler Zuschreibungen und dekonstruiert damit zusammenhängende Deutungsmuster. In einem separaten Kapitel widmet sie sich diskursanalytisch der Kunsthistoriografie zum Künstler. Auf diese Weise befreit sie Yeats' Œuvre aus nationalen Festschreibungen und bereitet den Weg für ihren eigenen Ansatz, dessen Ziel es ist, "die zentrale Bedeutung des Kulturtransfers für Yeats' Schaffen herauszuarbeiten und hierdurch eine neue Perspektivierung innerhalb eines globalen Kontextes zu ermöglichen." (348) Ansel erreicht dieses Ziel, indem sie sowohl Aufenthalte als auch Ausstellungen des Künstlers in den USA in den Blick nimmt. So lenkt sie den Fokus auf Yeats' internationales Netzwerk wie auch auf transkulturelle Aspekte innerhalb seines Werkes. Ihre Analyse von Skizzen und Aquarellen seiner New-York-Aufenthalte hebt hybride Aspekte seiner Kunst hervor. In diesen Werken, so eine zentrale Erkenntnis der Autorin, dokumentierte er Begegnungen mit anderen Kulturen (Indigenen, chinesischen Immigranten), auf die er in seinem späteren Schaffen zurückgreift. Im letzten Kapitel nutzt die Autorin den Begriff der 'vielfältigen Moderne' , wie er in der globalen Kunstgeschichte verwendet wird, um damit die Exklusion der irischen Kunst und insbesondere des Yeats'schen Œuvres im Rahmen von Moderneerzählungen zu diskutieren. Sie argumentiert, dass neben einer Marginalisierung aufgrund der kolonialen Unterscheidung von "Eigenem" und "Fremdem" die bipolare Teilung der Kunstwelt in Abstraktion im Westen und Figuration im Osten während des Kalten Krieges ausschlaggebend für die Nichtbeachtung von Yeats' Kunst war und ist. Schließlich verortet die Autorin sein Schaffen, insbesondere im Vergleich mit Oskar Kokoschka, im Kontext einer "europäischen figurativen Moderne". (408)
Die Arbeit zeichnet sich durch umfassende Archivrecherchen und Quellenarbeit sowie interdisziplinäre Offenheit aus. Sie greift soziologische, geschichts- und politikwissenschaftliche Impulse der Moderne-, Nationalismus- und Identitätsforschung auf. Ihren Gegenständen entsprechend kombiniert sie jüngere Ansätze der postkolonialen, transkulturellen und globalen Kunstgeschichtsschreibung mit probaten Methoden der kunst- und bildhistorischen Analyse. So gelingt es Ansel nicht nur, das "nationale Dispositiv" (18) der bisherigen Yeats-Forschung offenzulegen, sondern auch bis dato übersehene Aspekte in ihren detailgenauen wie kenntnisreichen Analysen herauszuarbeiten. Diese bildkritische Herangehensweise fördert die "inhärente dynamische und hybride Prozesshaftigkeit" (455) im Werk des Künstlers zutage. Yeats' Werk und dessen Rezeption will Ansel als "Modell" begriffen wissen, das "die enge Verbindung von Kunst und Politik [verdeutlicht] sowie die daraus resultierende Problematik einseitig geführter Kunstdebatten, die sich ausschließlich nationaler Narrative bedienen." (455f.)
Es bleibt zu diskutieren, inwiefern Yeats und die irische Moderne einem globalen Anspruch genügen können, bewegte er sich doch hauptsächlich im euroamerikanischen Raum. Auch wenn dieser Raum, wie die Autorin wiederholt und zu Recht bekräftigt, in sich heterogen ist und Irland und die irische Kunst, zumindest in historischer Perspektive, an dessen Peripherie verortet waren, sind Yeats' transkulturelle Begegnungen maßgeblich durch die Filter orientalistischer Diskurse beziehungsweise der amerikanischen Großstadt New York geprägt. Das wird auch in den entsprechenden Werkanalysen deutlich (361-372). Jedenfalls ist die Studie damit anschlussfähig für aktuelle kunstwissenschaftliche Forschung zu Zentren und Peripherien. [3]
Indem Ansel die internationalen Dimensionen von Yeats' künstlerischem Schaffen gegenüber den nationalen aufwertet, verortet sie ihn als relevante Größe im internationalen Modernediskurs der Kunstgeschichte. Hundert Jahre nach der nationalen Verdichtung eines Irlandbildes, in das auch Yeats' künstlerisches Schaffen eingeschrieben wurde, hat Ansel mit ihrer Studie ein beeindruckendes Beispiel für eine nationalismuskritische Kunstgeschichtsschreibung vorgelegt. [4] Ihre Arbeit bietet damit nicht nur Impulse für eine Internationalisierung der Yeats-Forschung - eine englische Übersetzung wäre sicherlich förderlich -, sie begegnet auch komplexitätsreduzierenden Narrativen der Moderneforschung. Sie hält ein Set an Tools und Zugängen bereit, die wir angesichts aktueller Nationalismen gut gebrauchen können.
Anmerkungen:
[1] Sie erhielt 2022 den Dissertationspreis der Kulturstiftung Dresden der Commerzbank.
[2] Der Vater, John Butler Yeats (1839-1922), war ebenfalls Maler, zu seinen Geschwistern zählen der Literaturnobelpreisträger William Butler Yeats (1865-1939), die Stickerin Susan Mary Yeats (1866-1949) und die Kunstpädagogin und Verlegerin Elizabeth Corbet Yeats (1868-1940).
[3] Vgl. Monica Juneja: Can Art History Be Made Global? Meditations from the Periphery, Berlin / Boston 2023 und die Ringvorlesung Von der Peripherie sprechen an der Universität Siegen, Sommersemester 2025, Programm unter ArtHist.net, 30.03.2025, https://arthist.net/archive/44937 [07.06.2025].
[4] Vgl. für aktuelle nationalismuskritische Auseinandersetzungen mit der Kunst der Moderne Adelheid von Saldern: Kunstnationalismus. Die USA und Deutschland in transkultureller Perspektive 1900-1945, Göttingen 2021; Lidia Głuchowska (ed.): Nationalism and Cosmopolitanism in the Avant-garde and Modernism. The Impact of the First World War, Prag 2022; Alessandro Gallicchio: Nationalismes, antisémitismes et débats autour de l'art juif. De quelques critiques d'art au temps de l'École de Paris (1925-1933), Paris 2023.
Amelie Ochs