Rezension über:

Regine Ehleiter: Ausstellen in Publikationen. Zum Wandel des Öffentlichwerdens von Kunst in den 1960er Jahren, München: edition metzel 2024, 320 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-88960-240-4, EUR 38,00
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Rezension von:
Lukas Töpfer
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Klipphahn-Karge
Empfohlene Zitierweise:
Lukas Töpfer: Rezension von: Regine Ehleiter: Ausstellen in Publikationen. Zum Wandel des Öffentlichwerdens von Kunst in den 1960er Jahren, München: edition metzel 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/06/40161.html


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Regine Ehleiter: Ausstellen in Publikationen

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Sogar eine Rezension, so stellte sich heraus, kann selbst zur Kunst werden: im Rahmen einer demonstrativ verflachten, textbasierten Ausstellung, die sich ansonsten aus wenig mehr als circa 150 Karten in einer kleinen Schachtel zusammensetzte, zum Durchblättern auf einem Tisch präsentiert. Diese Karten wiederum repräsentierten drei andere konzeptuelle Ausstellungen, kuratiert von Lucy Lippard, die auch die Rezension verantwortete. Zu dieser nüchternen Präsentation hatte die Pariser Galerie Yvon Lambert eingeladen. Der Titel: "ROBERT BARRY presents three shows and a review by LUCY R. LIPPARD".

Diese Ausstellung (aber ist es nur eine?), im April 1971 durchgeführt, zeigt recht deutlich, wie sich die Kunst in den 1960er Jahren verändert hatte, im Zuge eines weitreichenden "Wandels des Öffentlichwerdens von Kunst", den Regine Ehleiter zum Gegenstand einer lesenswerten Monografie gemacht hat. Viele Ausstellungen traten nun eigentümlich flach in Erscheinung, waren papier- und textlastig geworden, in diesem Sinne dematerialisiert. Sie suchten offensiv die Nähe zu Strategien des Publikationswesens, sollten Gedanken wecken und Ideen, sollten Informationen übermitteln, die von den sinnlich-materiell präsenten Exponaten prinzipiell ablösbar sind - wie etwa ein immaterieller allografischer Text im Verhältnis zur einzelnen materiellen Buchausgabe. Viele Ausstellungen experimentierten also mit Strategien des Publikationswesens, so konsequent, dass Kataloge mitunter wichtiger erschienen als die Ausstellungen, die sie begleiteten. Viele Publikationen begriffen sich daher - im Gegenzug - kurzerhand selbst als Ausstellungen und stellten (von Neuem) mit Nachdruck einige kritisch-reflexive Grundfragen: Was ist das überhaupt, eine "Ausstellung"? Kann ein Buch eine Ausstellung sein? Ein Faltblatt? Eine Ansammlung von Karten?

Solchen Fragen hat sich Ehleiter in ihrer Studie "Ausstellen in Publikationen. Zum Wandel des Öffentlichwerdens von Kunst in den 1960er Jahren" gewidmet, die 2024 bei Edition Metzel erschienen ist, gestaltet von Benedikt Reichenbach. Im Fokus ihres Buches, dem eine Dissertation zugrunde liegt, die Ehleiter im Dezember 2020 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig eingereicht hat (betreut von Beatrice von Bismarck), stehen die Jahre 1963 bis 1970 aus transnationaler Perspektive. Ehleiters Gliederung setzt sich aus drei Teilen mit je zwei Kapiteln zusammen, die gemeinsam je eine thematische Orientierung der besprochenen Kunst in den Vordergrund rücken. Kapitel 1 und 2 fokussieren das Thema "Partizipation" (Teil I), 3 und 4 die "Dematerialisierung" (Teil II), 5 und 6 den "Internationalismus" (Teil III). In allen drei Teilen folgt eine Fallstudie auf ein Kapitel mit weiter ausgreifenden, vorbereitenden oder rahmenden, allgemeineren Überlegungen.

Die Fallstudien widmen sich den sogenannten "tragbaren Galerien" (ungewöhnlichen, teils interaktiven Publikationen) der "situationen 60 galerie" von Christian Chruxin und Barbara Block in Westberlin, insbesondere zwei Projekten von Henryk Berlewi und Bernhard Höke aus den Jahren 1963 und 1964 (Kapitel 2); sodann der "Ausstellung-als-Katalog" im US-amerikanischen Umfeld von Seth Siegelaub, hauptsächlich in den Jahren 1968 und 1969 (Kapitel 4); zuletzt einigen Ausstellungs-, Publikations- und Mail-Art-Projekten von Matsuzawa Yutaka (ab 1964) und Art & Project (ab 1968) zwischen Japan und den Niederlanden (Kapitel 6). Vor allem die weniger prominenten Fallstudien zu "situationen 60" und Matsuzawa erweisen sich als umsichtige Erweiterung und Bereicherung des Forschungsstandes. Diese Fallstudien stellen, so mein Eindruck, den originellsten Beitrag des Buches dar und erschließen interessantes neues Material. Auch für die weitgehend kanonisierten Aspekte ihres vielgestaltigen Themenkomplexes bewährt sich Ehleiters Buch als differenzierter Ausgangspunkt, hilfreicher Überblick und punktuelle, durch Archivrecherchen ermöglichte Vertiefung.

Produktiv ist unter anderem das in der Einleitung geäußerte Vorhaben, Forschungen aus drei Bereichen zu rezipieren und zu einer gemeinsamen Konstellation zu verbinden, der Gefahr einer gewissen Willkür ob der Überfülle des heterogenen, zum Thema "Ausstellen in Publikationen" verfügbaren Materials zum Trotz. Obwohl Ehleiter, dieser Vielfalt gemäß, keine große, übergreifende These formuliert und sich im Wesentlichen auf die Reichhaltigkeit ihres Materials verlässt, kann ihr Buch mit Gewinn als Beitrag sowohl zur Geschichte der Konzeptkunst als auch zu Künstler:innenpublikationen und zum Feld der Ausstellungswissenschaften oder Curatorial Studies gelesen werden. Darüber hinaus bietet es Ansatzpunkte für eine Sozial- und Ideen-, vielleicht sogar eine Hoffnungsgeschichte der Kunst zwischen 1963 und 1970.

Dort nämlich, wo das Ausstellen und Publizieren direkt aufeinandertrafen, wurden Hoffnungen konkret gemacht, die durchaus typisch für die 1960er Jahre sind. Diesen Hoffnungen widmet sich Ehleiter ähnlich ausführlich wie ihren Fallstudien, vor allem in den allgemeiner gehaltenen Kapiteln 1, 3 und 5: der Hoffnung auf eine Demokratisierung und Entkommerzialisierung der Kultur, dem Versprechen einer niedrigschwelligen Partizipation sowie der transkulturellen Vernetzung einer zunehmend dematerialisierten, häufig reproduzier- und per Post verschickbaren konzeptuellen Kunst. Dass diese Hoffnungen oft enttäuscht, manchmal in ihr Gegenteil verkehrt worden sind, klingt in Ehleiters Studie immer wieder (abgedämpft) durch, deutlich genug, um bei mir den Wunsch zu wecken, solche existenziellen Anteile der Ausstellungen künftig noch offensiver, ja sinnsuchender wissenschaftlich zu thematisieren. Dass sich auch existenzielle Verunsicherungen, nicht nur Hoffnungen, in Ehleiters Forschung eingeschrieben haben, verdeutlicht ihr instruktiver Vergleich zwischen Lippards "Dematerialisierung der Kunst" und Matsuzawas Interesse am "Verschwinden aller Objekte" im traumatischen Kontext der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (267-272).

Es gibt Forschungsgegenstände mit einer hohen inneren Spannung, die Tendenzen eines Zeitgeistes wie in einem Brennglas energetisch zusammenbündeln. Solche Themen werden nicht selten an den Schnittpunkten verschiedener Forschungszweige erkennbar, dort, wo Traditionslinien sich kreuzen oder verbinden. Ein solches spannungsvolles Thema hat Ehleiter für ihre Studie ausgewählt, welche die Traditionslinien der Bildkünste in ebenjenem Moment beobachtet, in dem sie den stärker textuell geprägten, an bedrucktem, flachem Papier orientierten Traditionslinien der Bücher, Bulletins, Ephemera und anderer Publikationsformen begegnen. Diese Begegnung hat so viele Voraussetzungen, Facetten und Implikationen, dass sie notgedrungen lückenhaft und exemplarisch besprochen werden muss. So viele Fragen Ehleiter daher in ihrer Studie aufwirft und sorgfältig klärt, so viele bleiben trotzdem für andere, hoffentlich folgende Forschungen offen. All jenen, die sich in diesem weiten Themenfeld zu orientieren versuchen oder bereits spezialisiert haben, sei Ehleiters Buch "Ausstellen in Publikationen" wärmstens ans Herz gelegt (genauso wie ihr Beitrag zu einer 2023 veröffentlichten umfangreichen Materialsammlung namens "Art & Project. A History", einem frühen Effekt ihrer wissenschaftlichen Arbeit).

Was bleibt zu sagen, im engen Rahmen dieser 7.500 Zeichen? Vielleicht nur ein kurzer Satz von Lippard aus dem Jahr 1971: "And finally, it doesn't matter what this review says". Was ist das überhaupt, eine "Rezension"?

Lukas Töpfer