Rezension über:

Kevin Hecken / Ulrich Hausmann: Reichshofratsakten. Ein Kursbuch (= Quellen und Lehrmittel zur jüdischen Geschichte des Heiligen Römischen Reichs und seiner Nachfolgestaaten; Bd. 3), Wien: Böhlau 2024, 236 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-205-22220-0, EUR 45,00
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Rezension von:
Eva Ortlieb
Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Eva Ortlieb: Rezension von: Kevin Hecken / Ulrich Hausmann: Reichshofratsakten. Ein Kursbuch, Wien: Böhlau 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/06/39986.html


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Kevin Hecken / Ulrich Hausmann: Reichshofratsakten

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Der Reichshofrat, Höchstgericht des römisch-deutschen Reichs und kaiserlicher Rat, hat sich in den letzten Jahrzehnten als Gegenstand der Rechts- und Geschichtswissenschaft etabliert. Dazu hat zweifellos ein deutsch-österreichisches Kooperationsprojekt beigetragen, das seit 1999 die im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien verwahrten Reichshofratsakten systematisch verzeichnet. [1] Dieses Projekt geht nach Auskunft der Verantwortlichen - anders als von den Autoren des zu besprechenden Werks (11, 12) behauptet - 2025 mit der vollständigen Verzeichnung der Aktenserien "Alte Prager Akten" und "Antiqua" zu Ende.

Vor diesem Hintergrund hat sich das "Kursbuch" Reichshofratsakten zum Ziel gesetzt, "Nachwuchswissenschaftlern [sic] und interessierten Laien, Archivaren [sic] und Mitgliedern von Geschichtsvereinen" (5) eine "Handreichung" (6) für die eigenständige Verzeichnung von Reichshofratsakten zur Verfügung zu stellen. Damit soll die bisher auf Aktenserien gerichtete Verzeichnung durch eine Erschließung abgelöst werden, die sich auf einzelne Städte oder Regionen konzentriert. Die Autoren erhoffen sich von einer solchen "Regionalisierung der Erschließungspraxis" (5) eine "Multiplikation der Bearbeiter [sic]" (6), wobei sie sich auf einen bereits erschienenen und mehrere in Arbeit befindliche Verzeichnungsbände beziehen.

Erreicht werden soll das Ziel der Publikation, indem die Leserinnen und Leser in zwei Kursen von jeweils zehn Einheiten mit ausgewählten Aktensorten und Vorgängen, die in den Reichshofratsakten begegnen, vertraut gemacht werden. Der erste Kurs ist den Judicialia, also den Prozessakten im weiteren Sinn, gewidmet und behandelt beispielsweise Reskripte, Relationen oder Notariatsinstrumente. Im Kurs zu den Gratialia, den Gnadensachen, geht es unter anderem um Supplikationen, Schutzbriefe oder Gewerbeprivilegien. Geboten werden, nach einer kurzen Einführung in Aktenserien und Begrifflichkeiten, Abbildungen ausgewählter Aktenstücke mit kommentierten Transkriptionen sowie "aktenkundliche Bemerkungen". Besondere Aufmerksamkeit gilt der korrekten Befüllung einer Aktenverzeichnungsmaske. Diese Maske stammt aus dem eingangs erwähnten Verzeichnungsprojekt, wurde aber um einige Kategorien erweitert. Übungsaufgaben mit Lösungen helfen, das Gelernte in die Verzeichnungspraxis umzusetzen.

Eine Diskussion ihres Ansatzes liegt sichtlich nicht im Interesse der Autoren, auf offene Fragen gehen sie gar nicht erst ein. Unklar ist beispielsweise, wie die zusätzlich festzuhaltenden Informationen (die Namen von "Reichspersonal", von Juden, Notaren und Frauen, Rechtsquellen und Rechtssprichwörter, 14-17) ohne zeitaufwendige Lektüre der gesamten Akte erfasst werden können, wobei das bloße Abschreiben der gekürzten zeitgenössischen Zitate von Rechtsquellen (Allegationen, 17) ohne Auflösung wenig befriedigt.

Problematischer ist die Tatsache, dass das Werk keine - idealerweise kommentierte - Literaturliste anbietet, die Personen ohne Vorkenntnisse Orientierung in der inzwischen bereits umfangreichen Literatur und damit die zügige Aneignung des für die Verzeichnung notwendigen Wissens ermöglichen könnte. Die Erwähnung einzelner Nachschlagewerke und Forschungsbeiträge in den Endnoten zu den Transkriptionen kann eine solche Liste nicht ersetzen. Im Übrigen entspricht es nicht der "Aufrechterhaltung wissenschaftlicher Standards" (6), die Reichshofratsordnung von 1654 statt nach ihrer wissenschaftlichen Edition [2] nach einem Druck des 18. Jahrhunderts zu zitieren (10).

Ob eine Paläographie speziell des Reichshofrats, wie das Werk sie leisten will, angesichts umfassender schriftkundlicher Angebote [3] wirklich notwendig ist, sei dahingestellt. Sinnvoll wäre jedenfalls eine Auflösung und Erläuterung der diversen, häufig abgekürzten Vermerke, die sich auf den Reichshofratsakten finden und aus denen sich wichtige Informationen herauslesen lassen. Die Autoren sind sich dieser Problematik bewusst und bieten auch Abbildungen von Aktenrückseiten mit entsprechenden Transkriptionen. Darüber hinaus wird dieser Frage innerhalb des ersten Kurses ein eigenes Kapitel gewidmet (19-23).

Dieses allerdings stellt weniger eine Hilfe beim Umgang mit solchen Vermerken dar als vielmehr unter Beweis, dass eine Aktenkunde des Reichshofrats eben auch in einem der Verzeichnungspraxis gewidmeten Werk durchaus keine "deplatzierte" (6) Angelegenheit ist, wie es im Vorwort heißt. Nicht nur, dass dem Autor manche Vermerke "weitgehend arkan" (20) erscheinen, es kommt auch zu krassen Fehldeutungen. Zwei Beispiele müssen genügen: In dem Vermerk "supplica pro decernendo [...] mandato inhibitorio S(enatu) C(onsulto)" erfährt "der Bearbeiter" mitnichten, "dass es sich um eine Appellationsschrift (Supplica) handelt, deren Ziel ein Mandat ist, welches einen Senatsbeschluss (Senatus Consultum) nichtig machen [...] soll" (20). Vielmehr handelt es sich um einen Antrag (supplica) auf ein Mandat sine clausula (also ein Mandat, gegen das nur bestimmte Einreden zulässig waren), das dem Beklagten ein bestimmtes Verhalten untersagen sollte - hier hat die Unkenntnis der an beiden Reichsgerichten äußerst häufig vorkommenden Abkürzung "s. c." zu einer falschen Klassifikation des Verfahrens geführt. Wie der Autor auf die Bezeichnung des in einen roten Kasten gefassten und unter C transkribierten Vermerks als "Tagebuchnummer" gekommen ist, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls handelt es sich keinesfalls um einen "Eingangsstempel" (20), sondern - wie sich aus der Handschrift und dem Inhalt ergibt - um einen vom Registrator Nikolaus Wolf angebrachten Vermerk, der die Umlegung der Akte in die Serie "Denegata recentiora" festhält und mithin gar nichts mit dem Geschäftsgang am Reichshofrat zu tun hat. In den folgenden Kapiteln des ersten Kurses finden sich zahlreiche weitere Fehler: Weder die Transkriptionen ("uns gefallen" statt ausgefallen, 43) noch die aktenkundlichen Bemerkungen (irrtümliche Klassifizierung des gegenständlichen Verfahrens als Appellation, 34) noch die Verfahrensdarstellungen (unbegründete Annahme einer Ablehnung einer Appellation durch den Reichshofrat, 57) sind zuverlässig.

Auch im zweiten Kurs ist es zu Irrtümern gekommen. So beziehen sich Restitutionen nicht unbedingt auf strafrechtliche Sachverhalte, für die Präsentation von Richtern an Höchstgerichten war der Reichshofrat nicht zuständig (132) und aus dem Vermerk "Ad mandatum Sacrae Caesareae Majestatis proprium" kann nicht geschlossen werden, dass das Stück dem Reichsoberhaupt persönlich vorgelegen habe (149-150). Grundsätzlich bietet der Kurs aber interessante Beispiele sowie nützliche Erläuterungen.

Dem "Kursbuch" Reichshofratsakten kommt das Verdienst zu, eine an die akademische Lehre und das Selbststudium angepasste Publikation vorgelegt zu haben, wie sie grundsätzlich sinnvoll wäre, um die Thematik in und außerhalb der Universität besser zu verankern. Zumindest der zweite Kurs liefert auch hilfreiche Informationen. Damit, dem "ausjätenden [...] Auge des Didaktikers" (10) jedes Hintergrundwissen zum Opfer fallen zu lassen, ist aber niemandem gedient - am wenigsten den auf solide Informationen angewiesenen "Nachwuchswissenschaftlern und interessierten Laien".


Anmerkungen:

[1] https://reichshofratsakten.de/ (05.05.2025).

[2] Wolfgang Sellert (Hg.): Die Ordnungen des Reichshofrates. Bd. 2, Köln / Wien 1990.

[3] https://www.adfontes.uzh.ch/ (05.05.2025).

Eva Ortlieb