Rezension über:

Mona Rudolph: Globale Diamanten. Warenwege aus dem kolonialen Namibia, 1908-1929 (= Beiträge zur Globalgeschichte; Bd. 3), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2025, 388 S., 23 Farb-, 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-13765-2, EUR 74,00
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Rezension von:
Michael Rösser
Zentrum Erinnerungskultur, Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Michael Rösser: Rezension von: Mona Rudolph: Globale Diamanten. Warenwege aus dem kolonialen Namibia, 1908-1929, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2025, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/06/39644.html


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Mona Rudolph: Globale Diamanten

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Die Historiografie zur Geschichte des (deutschen) Kolonialismus verbindet zunehmend globalhistorische Ansätze mit wirtschafts- und unternehmensgeschichtlichen Zugängen. Mona Rudolphs Dissertation untersucht die globalen Warenwege von Diamanten aus dem kolonialen Namibia während der deutschen (Deutsch-Südwestafrika) und der südafrikanischen (Südafrikanische Union) Kolonialzeit (1908-1929). Dabei geht Rudolph bewusst über das Ende des formalen deutschen Kolonialismus nach 1919 hinaus. Dies dient einem zentralen Anliegen der Studie, da sie die Validität der These über den Deglobalisierungsschub durch den Ersten Weltkrieg prüft. Ferner analysiert Rudolph die Produktions- und Arbeitsbedingungen in unterschiedlichen kolonialen Kontexten sowie die Transportwege der Diamanten und deren Verwertung und Veredelungsprozess in Mitteleuropa. Zudem nimmt Rudolph den weiteren Weg der Diamanten in die USA in den Blick und untersucht deren Konsum im zu dieser Zeit wichtigsten Absatzmarkt für Edelsteine.

Die Studie stützt sich auf umfangreiches Quellenmaterial aus 26 Archiven in den USA, Europa, Namibia und Südafrika. Als leitenden methodischen Ansatz wählt Rudolph den Global-Commodity-Chain Approach (GCC), der sich "besonders zur Untersuchung von Lieferketten" (26) eigne. Umrahmt von den einführenden und schließenden Kapiteln Prolog und Einleitung sowie Epilog und Schluss, sind die einzelnen Kapitel entsprechend der Lieferkette der Edelsteine gegliedert: Produktion, Transport der Diamanten von Afrika nach Europa, Verkauf, Von Europa in die USA und Diamantenkonsum in den USA. Die umfangreichen Kapitel bieten mindestens je ein Zwischenfazit. In den ungleich kürzeren Kapiteln entfallen diese. Im Anhang finden sich zudem einige farbige Statistiken, Karten und Abbildungen, auf die sich Rudolph bezieht. Der Fließtext enthält zur Illustration einige Fotografien.

Zentrale Ergebnisse der Studie sind die über den gesamten Untersuchungszeitraum anhaltend schlechten Arbeitsbedingen bei der Diamantenförderung. Die beschwerliche Anreise der weitangereisten Wanderarbeiter vor allem aus den Gebieten der Ovambo schwächten die Arbeitskräfte bereits vor ihrer Ankunft. Am Arbeitsort waren sie katastrophal untergebracht und versorgt: Eine Hauptursache für die häufigen Todesfälle war die leicht vermeidbare Vitaminmangelkrankheit Skorbut. Neben allgegenwärtigem Rassismus waren diese Arbeitsbedingungen auch eine Konsequenz der kolonialadministrativen Verantwortungsdiffusion. Das Reichskolonialamt in Berlin verfolgte mit der Diamantengewinnung andere Ziele als das Gouvernement in Windhuk. Dies erschwerte die Kontrolle der diamantenfördernden Unternehmen, stärkte deren Eigenmächtigkeit und ermöglichte so die mangelhafte Versorgung der Arbeitskräfte mit. Trotz der Kritik des Völkerbundes an den Arbeitsbedingungen beim Diamantenabbau im Mandatsgebiet der Südafrikanischen Union änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg nicht viel: Beispielsweise führte die südafrikanische Regierung die deutsche Montangesetzgebung wieder ein, und auch die Verantwortungsdiffusion zwischen Zentralregierung und den lokalen Behörden blieb bestehen. "Die meisten Veränderungen [...] lassen sich [...] auf ökonomische Gründe zurückführen, nicht auf politische" (227), resümiert Rudolph.

Gleichwohl waren die Unternehmen bei der Diamantenförderung von südwestafrikanischen Arbeitskräften abhängig. Obwohl die Firmen auch aufgrund der selbstverschuldeten Arbeitsbedingungen stets über Arbeitermangel klagten, änderten sie kaum etwas an den Zuständen. Versuche, dem Mangel mittels Vertragsarbeitern aus dem südlichen Afrika oder Asien abzuhelfen, waren entweder unzureichend oder scheiterten.

Die Hoffnungen auf hohe Profite aus dem kolonialen Diamantengeschäft im Deutschen Reich erfüllten sich nicht. Da Diamanten ihren Wert erst durch ihre Veredelung (Schliff) erhalten, ist die Kontrolle dieser Etappe der Wertschöpfungskette entscheidend. Allerdings gab es im Kaiserreich keine entsprechend ausgeprägte Industrie. Stattdessen profitierten die etablierten Schleifereien der Niederlande und Belgiens von der Veredelung der südwestafrikanischen Steine. Zudem handelte es sich im wichtigsten Konsummarkt, den USA, um einen Käufermarkt, bei dem die "Käufer den Verkäufern hierarchisch [...] überlegen waren [...] [und] den Verkäufern [...] Umsatzeinbußen zufügten, weil sie die Steine oft nur zögerlich oder unregelmäßig nachfragten." (289) Dies war bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes der Fall.

Besonders positiv hervorzuheben an Rudolphs Arbeit ist sicherlich ihr Bruch mit einer etablierten Zäsur der Historiografie. Dies ermöglicht ihr, glaubhaft darzustellen, dass der Erste Weltkrieg zwar zu Beginn ein deglobalisierendes Moment für die Warenwege der südwestafrikanischen Diamanten bedeutete. Schnell etablierten sich aber neue transkontinentale Verbindungen. Ein weiterer Vorzug der Studie ist die Darstellung über die Kontinuitäten des Diamantenabbaus in Südwestafrika. Die Geschäftspraktiken der diamantenabbauenden Gesellschaften änderten sich durch den Ersten Weltkrieg kaum. Die Methoden der Arbeitskräfterekrutierung blieben annähernd gleich, und die Arbeitsbedingungen waren über den gesamten Untersuchungszeitraum schlecht.

Gleichzeitig gibt es ein paar Wermutstropfen: Dies betrifft insbesondere Rudolphs Anspruch mit ihrer Arbeit "Europa [geschichtswissenschaftlich] zu provinzialisieren" (25). Die Autorin führt dafür insbesondere zwei Gründe auf. Erstens untersuche sie mit den USA einen außereuropäischen Raum. Damit globalisiere sie die Historiographie zu den Diamanten Südwestafrikas. Rein geographisch weitet Rudolph sicherlich den geschichtswissenschaftlichen Rahmen des Themenfelds. Dass die USA aber um 1900 selbst zu einer Imperial- beziehungsweise Kolonialmacht aufstiegen, bleibt in der gesamten Studie allerdings unerwähnt. Im Kontext des selbst postulierten Beitrags zur postkolonialen Geschichtsschreibung hätte dies Berücksichtigung finden müssen.

Die zweite Kritik bezieht sich auf die Perspektive von afrikanischen Akteurinnen und Akteuren. Stets betont die Autorin deren Agency. Jedoch erfahren Lesende erst unmittelbar vor dem Epilog von deren Perspektive auf (Roh-)Diamanten, die für sie "vollkommen wertlos" gewesen seien (309). Die vorkoloniale Geschichte der Region wird gänzlich ausgespart. Die Studie beginnt buchstäblich mit "Portugisiesche[n] Seefahrer[n]" (40) aus dem 15. Jahrhundert und stellt nahtlos die Rolle zentraler deutscher Kolonialakteure in Südwestafrika dar. Es folgt eine Schilderung über die (vermutete) (Erst-)Entdeckung der Rohdiamanten in der Wüste Namib im Kontext des deutschen Kolonialeisenbahnbaus. So geht Rudolph das Risiko ein, das Narrativ vom vermeintlich geschichtslosen Afrika zu bedienen.

Dass sogar der Name des eigentlichen Entdeckers der Rohdiamanten überliefert ist, geht in dieser Darstellung fast unter. Zacharias Lewala stammte vermutlich aus dem südwestlichen Afrika. Um 1908 war er beim Bahnbau angestellt und machte aus eigener Initiative seine Vorgesetzten auf den Fund aufmerksam. Weitere Informationen über ihn enthält Rudolphs Studie nicht. Die fundierte Erforschung zentraler afrikanischer Akteurinnen und Akteure ist aber möglich und angebracht. Historikerinnen und Historiker haben dies für ähnliche Kontexte umgesetzt, obwohl die Quellenlage sich weit ungünstiger darstellte. [1]

In der Gesamtschau hat Rudolph eine solide Studie vorgelegt. Es ist anzunehmen, dass ihre Analyse über die globalen Warenwege der Diamanten sich nicht nur im Kontext der Global- und Kolonialgeschichte etabliert, sondern auch für Wirtschafts- und Unternehmenshistorikerinnen und Unternehmenshistoriker von Interesse sein wird.

Anmerkung:

[1] Vgl. exemplarisch: Holger Stoecker: Maji-Maji-Krieg und Mineralien. Zur Vorgeschichte der Ausgrabung von Dinosaurier-Fossilien am Tendaguru in Deutsch-Ostafrika, in: Dinosaurier Fragmente. Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte. 1906-2018, hgg. von Ina Heumann et al., Göttingen 2018, 24-37.

Michael Rösser