Christoph Auffarth (Hg.): Korinth II: Das römische Korinth (= Civitatum Orbis MEditerranei Studia; 7), Tübingen: Mohr Siebeck 2024, VIII + 489 S., 99 s/w-Abb., ISBN 978-3-16-162545-9, EUR 159,00
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Julian Krüger: Nero. Der römische Kaiser und seine Zeit. Mit einem Geleitwort von Alexander Demandt, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012
Die Reihe COMES, in der der hier zu besprechende Band erschienen ist, setzt sich zum Ziel, bedeutende Orte des antiken Mittelmeerraumes in interdisziplinärer Perspektive hinsichtlich ihrer spezifischen Charakteristika zu beleuchten. Angelpunkte sind dabei in der Regel die Religionsgeschichte und die Kultlandschaft der entsprechenden Orte, die rekonstruiert und in ihre historischen, sozialen und kulturellen Kontexte eingebettet werden sollen. Dies ist auch das erklärte Ziel des vorliegenden Bandes zum römischen Korinth. Wie Herausgeber Christoph Auffarth in seiner Einleitung betont, sei die Absicht nicht, "einen Sammelband von verschiedenen Aufsätzen vorzulegen, sondern eine möglichst umfassende Darstellung des römischen Korinth zu komponieren mit aneinander anschließenden Kapiteln, die methoden- und theoriebewusst im Sinne der römischen Reichs- und Provinzialreligion neue Perspektiven und aktuelle Forschung vorstellen." (7) Im Mittelpunkt sollen dabei der Austausch und die Zugänglichkeit der gewählten Ansätze und entwickelten Ideen über Fächergrenzen hinweg stehen. Zu diesem Zweck versammeln die Herausgeber ein breites Spektrum an Disziplinen von der Archäologie über die Alte Geschichte, Religionswissenschaft und Theologie bis hin zur Ägyptologie. Bedauerlicherweise stellt sich bei der Lektüre des Bandes der Eindruck ein, dass dieses ambitionierte - und grundsätzlich sowohl begrüßenswerte als auch angesichts der vielfältigen für das römische Korinth vorliegenden Befunde möglich erscheinende - Vorhaben nur bedingt von Erfolg gekrönt ist.
Dabei sind die einzelnen Studien zumeist durchaus von hoher Qualität und referieren sowohl aktuelle Forschungsergebnisse als auch anregende Thesen. Hervorzuheben sind aus Sicht des Rezensenten insbesondere die Beiträge von Fouquet, Scotton, Eckhardt, Zimmermann und Warner Slane. Johannes Fouquet bietet einen auf seiner 2019 publizierten Dissertation basierenden Überblick über die urbanistische Entwicklung Korinths von der Gründung der colonia durch Caesar bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. Dabei arbeitet er zum einen heraus, dass der sowohl infrastrukturelle als auch repräsentative Ausbau der Stadt erst in mittelaugusteischer Zeit begann und mehrere sich auch aus dem politischen Kontext sowie dem hybriden, griechische und römische Aspekte vereinenden Charakter Korinths ergebende Phasen durchlief. Zum anderen lässt sich Fouquet zufolge die prominente Rolle der Erinnerungskultur als konstantes Element der städtebaulichen Entwicklung nachweisen, in deren Rahmen sowohl bereits vor der Koloniegründung existierende Erinnerungsorte bewahrt als auch neue geschaffen wurden.
Paul Scotton bereitet in seinem kurzen Beitrag auf methodisch beispielhafte Art und Weise (durch eine detaillierte Bebilderung in jedem einzelnen Schritt nachzuverfolgende Argumentation) den komplexen Befund des sogenannten Southeast Building am Forum auf, wobei er sich vor allem auf die spätantike Nutzung des Gebäudes konzentriert. Scotton kann nachweisen, dass das Bauwerk im 5. Jahrhundert n. Chr. in eine Basilika umgewandelt wurde, und mutmaßt, dass es sich um eine Stätte der Erinnerung an das Verfahren gegen den Apostel Paulus gehandelt haben könnte, das unter Umständen in der direkt angrenzenden sogenannten Julischen Basilika abgehalten worden sein könnte.
Der Beitrag von Benedikt Eckhardt widmet sich der vieldiskutierten Frage, wie die neutestamentliche Überlieferung und insbesondere die Paulusbriefe an die frühe Christengemeinde in Korinth für eine historische Analyse fruchtbar gemacht werden können. Der Fokus seiner Überlegungen liegt auf dem gemeinsamen Mahl der Christen, das in den paulinischen Schriften eine prominente Rolle einnimmt. Eckhardt ist bestrebt, im Gegensatz zur etablierten Herangehensweise der Forschung weniger die "Einzelheiten der paulinischen Anweisungen und Ratschläge aus der 'Umwelt' des Neuen Testaments heraus zu erklären" (211), sondern vielmehr die Paulus-Briefe zu nutzen, um die spezifischen Verhältnisse im Korinth der 50er Jahre des 1. Jahrhunderts n. Chr. zu rekonstruieren. Vor diesem Hintergrund zeichnet er ein Bild der frühen korinthischen Gemeinde, das die Christen "nicht als Gruppe unter vielen, sondern als ungewöhnlich ambitionierte Organisation mit hohem Rekrutierungs- und (aus römischer Sicht) Gefährdungspotential" darstellt (229). Zwar weise die Organisation der Gemeinde in Korinth gewisse Parallelen zum griechisch-römischen Vereinswesen oder Mysterienkulten auf, zugleich dürfe aber nicht aus dem Blick geraten, so Eckhardt, "dass Christen in mancher Hinsicht eben doch kategorisch anders agierten als ihre Zeitgenossen" (229).
Mit der Frage nach möglichen Anknüpfungspunkten für die christliche Lehre in der religiösen Landschaft Korinths befasst sich Christiane Zimmermann. Sie erläutert, dass "gerade das polytheistische System Korinths Paulus die besten Voraussetzungen [gebe], seinen Gott auch über den synagogalen Rahmen hinaus in die Göttervielfalt dieser Stadt einzuführen" (258) und dass es insbesondere die "Konvergenzen mit paganen Gottesvorstellungen in der Stadt" (274) gewesen seien, die dem christlichen Gottesbild seine Wirkmacht verliehen hätten. Zugleich betont Zimmermann ähnlich wie Eckhardt, dass insbesondere der christliche Exklusivitätsanspruch ein bedeutendes Integrationshindernis dargestellt habe.
Kathleen Warner Slane gibt einen ebenso konzisen wie differenzierten Überblick über die Bestattungspraxis in Korinth und seinem Umland. Dabei arbeitet sie mit plausiblen Argumenten heraus, dass sich bestimmte christliche Kommemorationspraktiken im spätantiken Korinth direkt aus römischen Riten und Vorstellungen herleiteten.
Das einende Element der hier kurz vorgestellten ebenso wie der anderen im vorliegenden Band versammelten Beiträge ist die Charakterisierung Korinths als einer Stadt mit einer pluralistischen und äußerst komplexen religiösen Landschaft, die sich aus dem spezifischen Charakter Korinths als nicht militärisch geprägter römischer colonia in einer hellenisch geprägten Umgebung, als Hafenstadt und als (über-)regionales Zentrum ergab. Nun ist das sicher korrekt, zugleich aber zum einen wenig überraschend und zum anderen als ein die Gesamtpublikation umspannendes Konzept nur bedingt zielführend. Ein solches Konzept, das aus dem Band das avisierte Kompendium zum römischen Korinth machen würde, ist nur in Ansätzen zu erkennen. Die "andere Fragestellung des Bandes", die in der Einleitung erwähnt, aber nicht wirklich expliziert wird, ist als roter Faden, der die einzelnen Beiträge verbinden würde, nicht erkennbar. Das methodisch-terminologische Instrumentarium des in der Einleitung prominent erwähnten Programms Römische Reichsreligion und Provinzialreligion, das einen solchen Rahmen hätte bieten können, wird in den einzelnen Beiträgen nur vereinzelt systematisch aufgegriffen (die Prämissen werden bezeichnenderweise auch nur in einer Fußnote erwähnt [12, Anm. 34] und das Register weist entsprechende Belegstellen ausschließlich für den Beitrag von Auffarth selbst aus). Obwohl es sich aufgrund thematischer Überschneidungen an zahlreichen Stellen angeboten hätte, wird in den einzelnen Beiträgen nur selten aufeinander Bezug genommen.
Kritisch hinzuweisen ist zudem auf einige signifikante chronologische, topographische und auch inhaltliche Leerstellen, die nicht thematisiert oder begründet werden. Es mag der Schwerpunktsetzung des Bandes bzw. dem besonderen Fokus auf die (früh-)christliche Gemeinde Korinths geschuldet sein, dass die hohe Kaiserzeit in den Beiträgen oftmals nur am Rande behandelt wird (eine Ausnahme bildet der Beitrag von Svenja Nagel zum Isiskult). Trotzdem lässt sich konstatieren, dass beispielsweise eine eingehende Analyse des Pausanias-Berichts über Korinth mit seinen eingehenden Referenzen auf die spezifisch korinthische Auseinandersetzung mit der griechischen Mythologie den Band zweifellos hätte bereichern können. In der vorliegenden Form ergibt sich eine gewisse Unwucht zugunsten des - natürlich durch die paulinischen Briefe besonders prominenten - zweiten Drittels des 1. Jahrhunderts und der Spätantike. Weshalb jedoch beispielsweise der gesamte Bereich der Isthmia, der mit der religiösen Landschaft der colonia auf zahlreichen Gebieten eng verflochten war, ebenso wie andere extraurbane Heiligtümer und Kulte nahezu vollständig übergangen werden, erschließt sich nicht.
Insgesamt bleibt somit festzuhalten, dass es sich beim vorliegenden Band eher um eine Ansammlung durchaus ergiebiger und anregender Einzelstudien handelt, das zweifellos vorhandene Potential, die Beiträge zu einem kohärenten Ganzen zu verbinden, jedoch leider nicht voll ausgeschöpft wird.
Wolfgang Havener