Marian Bertz: Thomas von Fritsch (1700-1775). Ein sächsischer Reformpolitiker im Ancien Régime (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 71), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2024, 390 S., 17 Farb-Abb., ISBN 978-3-96023-585-9, EUR 55,00
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Als betagter Privatmann blickt der Karten spielende Thomas von Fritsch in Johann Eleazar Schnenaus Gemälde der Familie Fritsch (261) seit 250 Jahren amüsiert auf den Betrachter herab. Dass es sich bei ihm um eine Schlüsselfigur des sächsischen Staatswesens im 18. Jahrhundert handelt, veranschaulicht auf beeindruckende Weise Marian Bertz' Monografie. Auch wenn gerade im Blick auf das Ende der augusteischen Epoche, die Zeit um den Frieden von Hubertusburg (1763) zum sächsischen Rétablissement in jüngster Zeit einige kleinere Untersuchungen erschienen sind [1], so blieb die Forschung dennoch der sächsischen Landesgeschichte eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem zentralen politischen Akteur schuldig. Diese Lücke schließt nun der Band von Marian Bertz, der Fritschs Lebensweg und seine Erfolge als Reformpolitiker geschickt verknüpft.
Die Monografie ist in sieben Kapitel gegliedert: Nach der knappen Einleitung (9-16) folgen weitgehend chronologisch aufgebaute Abschnitte über Fritschs Familie und seine Jugendjahre (17-27), seinen erstmaligen Eintritt in den sächsischen Staatsdienst (29-60), die Tätigkeit als Reichspfennigmeister (61-72), seine Rolle als Rittergutsbesitzer und Privatmann (73-122) sowie ein geschichtstheoretischer Exkurs zum frühneuzeitlichen Sachsen zwischen Absolutismus und Reformabsolutismus (123-142). Anschließend folgt mit der Behandlung von Fritschs Rückkehr in den Staatsdienst und seinem Wirken im Rahmen des sächsischen Rétablissement (143-330) das umfangreichste Kapitel, bevor der Autor - wiederum sehr knapp - zu einem Fazit (331-336) gelangt.
Aus einer Leipziger Buchhändlerfamilie stammend und bereits dort mit Ideen der Frühaufklärung in Berührung gekommen, gelingt Fritsch bis zu seinem 45. Lebensjahr eine beachtliche Karriere. Anhand der Schilderung seiner Tätigkeit als Reichspfennigmeister, einem Amt, das aufgrund seiner historischen Bedeutung und der verlorenen Aktenlage wenig dokumentiert ist (72), verwebt Bertz geschickt Reichsgeschichte und kursächsische Politik.
Hervorzuheben ist das fünfte Kapitel, in dem ausführlich diplomatische, politische und ökonomische Aspekte in Kursachen während des Siebenjährigen Krieges analysiert werden. Anhand der preußischen Besetzung Sachsens im Siebenjährigen Krieg, der Beschießung Dresdens 1760 und des damit einhergehenden persönlichen Leids und der finanziellen Nöte, die Fritsch erlitt, kommen paradigmatisch die schwere Kriegslast, die Sachsen und seine Einwohner erfuhren, zum Tragen. In dieser Zeit veröffentlichte er auch das für sein späteres Handeln gleichsam die philosophische Grundlage bildende Buch "Zufällige Betrachtungen in der Einsamkeit". Überzeugend folgt eine Untersuchung von Fritschs umfangreichem Korrespondenznetzwerk, das über zentrale politische und diplomatische Akteure in Sachsen und darüber hinaus beispielsweise auch bis in die aufgeklärten Pariser Salons hineinreichte.
Ein zentraler Aspekt der Studie ist Fritschs Schaffen im kursächsischen Staatsdienst ab 1762. Dieses war zunächst eng mit dem sogenannten Jungen Hof unter Friedrich Christian verbunden. Bertz geht im siebten Kapitel auf Fritschs reformerisches Wirken und seine Rolle als Leiter der Restaurationskommission ein. Mit seinen Denkschriften legte er zahlreiche Gestaltungsvorhaben vor, die vor allem die wirtschaftliche Ertüchtigung des Landes und die Wiederherstellung eines geordneten Staatshaushalts zum Ziel hatten. Interessant erscheinen hier auch Fritschs Bemühungen um die (Wieder)Ansiedlung ausländischer Wirtschaftsakteure, beispielsweise in Leipzig, auch über Konfessionsgrenzen hinweg. Marian Bertz betont, dass vor allem dank Fritschs umfassender Vorarbeit die Restaurationskommission in den Bereichen Volkswirtschaft, Staatsschuldenwesen, Städtewesen, Handel, Manufakturwesen und Justizwesen schnell Fahrt aufnehmen konnte.
Erhellend ist auch Bertz' Auseinandersetzung mit der politischen Korrespondenz Fritschs mit dem Geheimrat Ferdinand Ludwig von Saul. Die selbstbewusste Darstellung seines eigenen Wirkens beim Aushandeln des auch für Sachsen günstigen Hubertusburger Friedens ermöglicht neue Einsichten in den Antagonismus zwischen Fritsch und dem sächsischen Premierminister Brühl. Denn beide verstanden es, sowohl ihre Konkurrenz als auch die Kooperation jeweils für sich zu nutzen.
Schließlich widmet sich der Autor der Frage, ob Fritschs Wirken und das Rétablissement eine Zeitenwende einläuteten oder die Reformen "nur kosmetischer, oberflächlicher Natur" (310) gewesen seien. Günstig hätte sich erweisen können, diese Frage schon deutlich früher zu platzieren, um die Person Fritschs von Anfang an als Vertreter zwischen aufstrebendem Bürgertum und Adel, als Profiteur der Alten Ordnung und zugleich Protagonist des aufklärerischen Rétablissement zu beleuchten. Bertz' Antwort ist eindeutig: Fritschs Bestreben war nicht das Umkrempeln und die Zerrüttung mittels durchaus radikaler Ideen in der Reformkommission, sondern die Wiederherstellung und Stabilisierung der Alten Ordnung mit modernen, vornehmlich ökonomischen Ideen.
Kleinere Schwächen hat Marian Bertz' Studie in theoretischer Hinsicht. Er widmet sich - das ist schlüssig und notwendig - der Absolutismusdebatte, um Fritschs Handlungsspielräume auszuloten. Dabei erläutert er zwar ausführlich Für und Wider dieses Konzepts, bleibt eine differenzierte Begründung für dessen eigene Verwendung aber schuldig. Ludwig XIV. (124) und August II. (131) seien "absolutistische" Landesherren; eine Auffassung, die von der Forschung seit einigen Jahren infrage gestellt wird. Eine einleitende Forschungsdiskussion fehlt ebenso wie an dieser Stelle der grundlegende Sammelband von Lothar Schilling [2] und ein sinnvoller Vergleich mit französischen Hofchargen. [3] Gleichwohl liefert der Autor die nötigen Argumente, die gegen ein "absolutistisches" Regime in Sachsen sprechen, um sich in seinen Ausführungen dann doch immer wieder auf diesen Begriff zu stützen. Ein Grund sei das Fehlen einer überzeugenden, griffigen Alternative; ein Problem, dem er indes schon gemäß dem Untertitel seiner Studie (Ancien Régime) Abhilfe verschaffen könnte. Auch die Alte Ordnung meint etwa Herrschaftsverdichtungen sowie symbolische und kommunikative Dimensionen von Herrschaft ohne Absolutheit für sich in Anspruch zu nehmen. Trotz dieser Kritik leuchtet für die Zeit des Rétablissement überzeugend sein Gebrauch des Begriffs des Reformabsolutismus ein, der sich mehr ökonomischen und weniger philosophisch-abstrakten Ideen verpflichtet sieht (130).
Obwohl die syntaktische Einbindung vieler Quellenzitate in den Text nicht immer dem raschen Lesefluss dient, liefert Bertz eine anregende, ideenreiche und längst überfällige Auseinandersetzung mit Thomas von Fritschs Leben und Wirken zwischen Rittergut, Kurfürstentum und Reich. Die Monografie besticht durch ihre klare Struktur sowie die detaillierten Quellenanalysen. Sie stellt eine wertvolle Bereicherung für die landesgeschichtliche Forschung zum Rétablissement dar, ihr bleibt eine breite Rezeption zu wünschen.
Abgerundet wird die sehr lesenswerte, quellengesättigte Studie von zwei Bildteilen, einem Anhang mit fünf zentralen Denkschriften aus Fritschs Feder, einem Personen- und einem Ortsregister.
Anmerkungen:
[1] Uwe Fiedler (Hg.): Die Gesellschaft des Fürsten. Prinz Xaver von Sachsen und seine Zeit, Chemnitz 2009; Dietmar Enge (Hg.): Prinz Xaver von Sachsen. 250 Jahre Administrator von Sachsen und Besitzer von Zabeltitz, Zabeltitz 2020.
[2] Lothar Schilling (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz, München 2008.
[3] Leonhard Horowski: Die Belagerung des Thrones. Machtstrukturen und Karrieremechanismen am Hof von Frankreich 1661-1789, Ostfildern 2012, bes. 32-54.
Christian Gründig