Nils Freytag: Mehrfach-Besprechung: Christopher Clark: Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt. Einführung, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 1 [15.01.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
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Von Nils Freytag
Pünktlich zum 175. Jubiläum hat der australisch-britische (mit irischen Wurzeln, wie wir in dem Buch nebenbei erfahren) Historiker Sir Christopher Clark eine umfangreiche Gesamtdarstellung zu den Revolutionen von 1848/49 vorgelegt, die sich ebenso an ein größeres Lesepublikum richtet wie an die Fachwelt. Das Buch ist vergangenes Frühjahr zunächst in englischer Sprache und im Herbst dann in einer deutschen Übersetzung erschienen. Einer breiteren Öffentlichkeit haben Clark seine Bücher zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs und zur Geschichte Preußens bekannt gemacht; für sein Preußen-Buch erhielt er als bisher einziger nicht-deutschsprachiger Historiker 2010 den Preis des Historischen Kollegs, den sogenannten Deutschen Historikerpreis. [1] Dem Fernsehpublikum dürfte er darüber hinaus als anregender Moderator verschiedener historischer Doku-Reihen vertraut sein.
Mit seinem neuen Buch hat sich der vielfach geehrte Professor für Neuere Europäische Geschichte am St Catharine's College in Cambridge, einiges vorgenommen, denn es geht ihm vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen der Zeitgenossen um nichts weniger als um eine konsequent europäische Neuakzentuierung des Aufstandsgeschehens 1848/49, das weitreichende globale Folgen zeitigte und das erst die Nachgeborenen - darunter vor allem Historiker:innen - nationalisiert hätten. Auch deshalb hebt Clark immer wieder auch auf die globalen Folgen der Ereignisse ab und betont wohl auch daher, dass 1848/49 die Sicht- und Handlungsweisen aller Akteure nachhaltig verändert habe. Und nicht zuletzt wagt er sich zugleich an eine wissenschaftliche Neuvermessung der wohl ewig aktuellen und spannenden Frage nach Erfolg oder Scheitern der Revolutionen, auf die es keine einfache oder eindeutige Antwort geben kann.
In bewährter Tradition widmet sich das FORUM der Januarausgabe unseres Rezensionsjournals dieser wichtigen Neuerscheinung mit mehreren Besprechungen, leuchtet ihre Stärken und Schwächen aus und geht der Frage nach, inwiefern Christopher Clark die (selbst gestellten) Herausforderungen bewältigt hat. Wir konnten für diese Mehrfachbesprechung - in alphabetischer Reihenfolge - mit Andreas Fahrmeir, Susanne Kitschun, Dieter Langewiesche und Wolfram Siemann vier ausgewiesene Fachleute zur Geschichte der Revolutionen von 1848/49 gewinnen, die das in jeder Hinsicht gewichtige Buch (1164 Seiten und bald 1,5 kg) aufmerksam und kritisch gelesen haben und ihre je eigenen "Sehepunkte" beitragen.
Den bereits vorliegenden, überwiegend positiven publizistischen Stimmen werden damit ausgewogene fachwissenschaftliche Urteile zur Seite gestellt, und - so viel sei verraten - man merkt den Besprechungen an, dass alle Beteiligten das auf ungewöhnlich breiter und in mehrfacher Hinsicht auch auf neuer Quellenbasis fußende Buch mit Gewinn und Freude gelesen haben. Inwiefern es den drei Rezensenten und der Rezensentin dabei gelungen ist, unterschiedliche "Sehepunkte" auf das Buch zu gewinnen, bleibt wie immer Ihrer Lektüre überlassen.
Anmerkung:
[1] Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947. Aus dem Englischen von Richard Barth, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer, München 2006. Ders.: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, München 2013.