Christian Landrock: Nach dem Kriege. Die Nachkriegszeit des Dreißigjährigen Krieges am Beispiel der kursächsischen Stadt Zwickau, 1645-1670 (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 69), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2023, 375 S., 6 Farb-, 7 s/w-Abb., ISBN 978-3-96023-491-3, EUR 55,00
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Die Forschung zum Dreißigjährigen Krieg zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Ungleichgewicht aus, wie an den zahlreichen und teilweise voluminösen Publikationen (u. a. von Georg Schmidt und Herfried Münkler) deutlich wird, die in den letzten Jahren, insbesondere anlässlich der vierhundertjährigen Wiederkehr des Kriegsbeginns 1618 erschienen sind: Dem Kriegsgeschehen, seinen Ursachen und seinem Verlauf wird darin eine ebenso große Aufmerksamkeit entgegengebracht wie der schwierige Weg zum Westfälischen Frieden. Wie es nach 1648 weiterging, welche Probleme sich bei der Umsetzung der Friedensvereinbarungen ergaben und wie mit diesen, insbesondere auf lokaler Ebene, umgegangen wurde, wie überhaupt der Übergang vom Krieg hin zu einem einigermaßen belastbaren Friedenszustand gelang, solche Fragen hat die Forschung bislang vergleichsweise wenig interessiert. Hier positioniert sich die Untersuchung von Christian Landrock, bei der es sich um eine an der Universität Magdeburg entstandene Dissertation handelt. Der Autor versucht darin, den bislang weitgehend für das 20. Jahrhundert reservierten Begriff der Nachkriegszeit auf die Frühe Neuzeit zu übertragen. Diese versteht er allgemein als diejenige Phase, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse noch wesentlich durch die fortdauernde Präsenz des Kriegs und seiner Folgen sowie die damit verbundenen besonderen "Herausforderungen und Chancen" geprägt waren (16). Für die Nachkriegszeit des Dreißigjährigen Kriegs nimmt Landrock in seinem Buch die Verhältnisse in Zwickau als einer mittelgroßen, kursächsischen Territorialstadt in den Blick, die seit 1631 von den Kriegsgeschehnissen und ihren Auswirkungen stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. So verlor Zwickau weit über die Hälfte seiner Bevölkerung, viele Gebäude waren am Ende des Kriegs wüst, und auch die städtische Wirtschaft und vor allem die für Zwickau zentrale Textilproduktion lagen am Boden.
Zunächst diskutiert Landrock in der Einleitung (neben dem Forschungsstand, der Anlage der Arbeit und der Quellensituation) die Frage, inwieweit sich im Zwickauer Fall, aber auch darüber hinaus für den Dreißigjährigen Krieg überhaupt so etwas wie eine Nachkriegszeit bestimmen lässt und wenn ja, wie lange diese dauerte (was gleichbedeutend mit der Frage nach dem Untersuchungszeitraum ist). Dies erweist sich schon deswegen als schwierig zu beantworten, weil es keineswegs klar ist, wann (auch aus Sicht der Zeitgenossen) der Krieg zu Ende ging. Es erscheint plausibel, wenn Landrock für Zwickau bzw. Kursachsen kein Datum, sondern einen Zeitraum ansetzt, der vom Waffenstillstand von Kötzschenbroda 1645 bis zum Abschluss des Nürnberger Exekutionstags 1650 dauerte, mit dem Landrock auch die eigentliche Nachkriegszeit beginnen lässt. Noch schwieriger ist allerdings die Frage, bis wann diese andauerte. Landrock setzt, zumindest für den Zwickauer Fall, einen Zeitraum von rund zwanzig Jahren an und begründet dies damit, dass bis etwa 1670 "bei zahlreichen Vorgängen noch unmittelbare Auswirkungen des vorangegangenen Krieges sichtbar" waren und dieser sowie seine Folgen, gerade in der politischen Kommunikation, die Wahrnehmung der Akteure maßgeblich prägte (48), während im Verlauf der 1660er und 70er Jahre solche direkten Bezugnahmen auf die (Vor-)Kriegszeit zunehmend schwächer wurden.
In seinen mikrohistorisch ausgerichteten Untersuchungen zu Zwickau in der Nachkriegszeit behandelt Landrock drei Themenfelder. Sehr kursorisch fallen die Ausführungen im vierten Kapitel zu den längerfristigen mentalitätsgeschichtlichen und sozialpsychologischen Auswirkungen des Kriegs und zur städtischen Erinnerung an diesen aus. Wesentlich substantieller und umfangreicher sind die Untersuchungen im zweiten und dritten Kapitel. Zunächst geht der Autor der Frage nach, wie versucht wurde, die materiellen und wirtschaftlichen Schäden, die die Stadt während des Kriegs erfahren hatte, zu beheben, also die städtische Bevölkerung wieder zu vermehren, neue Eigentümer:innen für die verlassenen Gebäude und wüsten Grundstücke zu finden und das für die Stadt wichtige Tuchgewerbe neu zu beleben. Insgesamt fällt die Bilanz, nach ein paar ersten vielversprechenden Anfängen unmittelbar nach 1648, aber bescheiden aus. Verantwortlich hierfür war aus Sicht des Autors vor allem die landesherrliche Ebene und deren restriktive Finanzpolitik, da diese maßgeblich dazu beitrug, dass die steuerlichen Belastungen der Untertanen hoch blieben und es auch aufgrund der verbreiteten Verschuldung an Kapital mangelte. Die lokalen Autoritäten und Akteure, insbesondere der Zwickauer Rat, verfügten hier nur über beschränkte Handlungsmöglichkeiten. So blieben die von Zwickauer Seite nach dem Krieg in zum Teil gewaltsamer Weise durchgeführten Versuche, städtischen Privilegien wie dem Bierzwangsrecht im städtischen Umland wieder Geltung zu verschaffen, weitgehend erfolglos.
Im dritten Kapitel wendet sich Landrock Fragen der Migration und sozialen Integration zu. Demnach blieb im Untersuchungszeitraum, wiederum mit Ausnahme der Jahre 1649/50, der Zuzug nach Zwickau relativ gering. Der Stadt fehlte es sowohl an wirtschaftlicher Attraktivität als auch an einer effektiven Ansiedlungspolitik. Entsprechend ließen sich auch nur sehr wenige sogenannte böhmische Exulanten in Zwickau nieder. Im Zentrum des Kapitels stehen allerdings die "Waisen des Mars", also die ehemaligen Soldaten des Dreißigjährigen Kriegs. Rund fünfzig solcher Personen konnte Landrock für Zwickau in der Nachkriegszeit identifizieren. Dem Großteil von ihnen gelang es demnach relativ problemlos, sich in die städtische Nachkriegsgesellschaft zu (re-)integrieren. Viele besaßen oder erwarben das Bürgerrecht, gingen einer (zivilen) Profession nach und waren etwa als Zunftmitglied in die sozialen Strukturen der Stadt eingebunden; etliche verfügten zudem über Grundbesitz. Insgesamt zeichnet sich dieser Personenkreis (auch) für die Zeit nach dem Ende des Kriegs durch ein hohes Maß an Heterogenität mit Blick auf die jeweiligen Lebensläufe und die soziale Stellung, die sie in der Stadtgesellschaft der Nachkriegszeit einnahmen, aus. Sie stellten insofern, auch in der eigenen Selbstwahrnehmung, keine distinkte Gruppe dar, zumal ihre soldatische Vergangenheit kaum einmal eine Rolle spielte und thematisiert wurde. Zudem wurden sie weder als besonderes Problem noch als Gefahr für die soziale Ordnung wahrgenommen. Das Auffälligste an den (Zwickauer) "Waisen des Mars" ist letztlich also ihre Unauffälligkeit.
Auch wenn Landrocks Buch einige formale Unzulänglichkeiten aufweist und das vierte Kapitel etwas oberflächlich geraten ist, so ist es doch schon allein deswegen ein wichtiger Forschungsbeitrag, weil es ein bislang unzureichend beleuchtetes Feld in den Blick nimmt und Fragen wie etwa derjenigen nach der Integration ehemaliger Soldaten in die (städtischen) Gesellschaften nachgeht, über die bislang nur wenig bekannt ist. Insofern ist zu hoffen, dass hierdurch weitere Forschungen angeregt werden - Potential hierfür ist mehr als reichlich vorhanden, gerade auch für stadtgeschichtliche Untersuchungen. Zudem wirft das Buch einige grundsätzliche Fragen auf, insbesondere mit Blick auf die Verwendung des Terminus der Nachkriegszeit. Hier könnten Landrocks Überlegungen einen Ausgangspunkt dafür bieten, um in einer allgemeineren Hinsicht darüber zu diskutieren, welcher konzeptioneller und heuristischer Nutzen dieser Begriff für die Frühneuzeit- und allgemein die Vormoderneforschung zukommen kann, und zwar über den Dreißigjährigen Krieg hinaus: Existiert so etwas wie frühneuzeitliche (vormoderne) Nachkriegszeiten, und wenn ja durch was sind diese ausgezeichnet? Gibt es typische Problemlagen, Umgangsweisen, Wahrnehmungen, Erwartungen, Erfahrungen, Erinnerungen etc., die für diese kennzeichnend sind und die sich etwa von denen des 20. Jahrhunderts unterscheiden?
Philip Hoffmann-Rehnitz