Jenny Baumann: Ideologie und Pragmatik. Die DDR und Spanien 1973-1990 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 142), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, X + 405 S., ISBN 978-3-11-114121-3, EUR 64,95
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Ein DDR-Botschafter als Torero beim privaten Stierkampf: Dieses Umschlagfoto ist nicht die einzige Überraschung des Buches. Bereits sein Thema ist etwas Überraschendes: Die DDR war der erste und auch der einzige kommunistische Staat, der bereits zu Lebzeiten des Diktators Francisco Franco volle diplomatische Beziehungen zu Spanien aufnahm. Und dies, obwohl in keinem Ostblockstaat der "Mythos Spanien", der Mythos des Kampfs der Regierung der Republik und der kommunistisch dominierten Internationalen Brigaden gegen die von Franco geführten aufständischen Truppen, so gepflegt wurde wie in der DDR. Warum Spanien zuerst mit der DDR Botschafter austauschen wollte und nicht z. B. mit Polen, wird nicht klar. Grund dafür ist die völlig desolate Aktenüberlieferung auf spanischer Seite: Wenig befindet sich in den Archiven und das Wenige ist aus verschiedenen Gründen trotz intensiver Bemühungen der Autorin nur sehr eingeschränkt nutzbar. So basiert die Studie zum größten Teil auf DDR-Akten und auf den Berichten der BRD-Botschaft in Madrid.
Auch wenn 1973 "Spanien die treibende Kraft hinter der Annäherung" (86) war, musste die Führung der DDR intern einigen argumentativen Aufwand betreiben, um die alten Spanienkämpfer in ihren Reihen zu überzeugen. Die massivsten Proteste aber kamen von der Kommunistischen Partei Spaniens, die sich verraten fühlte. Ihr Einfluss auf Ostberlin war jedoch schwach, denn sie hatte sich für den Weg des Eurokommunismus entschieden. Einfacher war es für Madrid: Der Protest falangistischer Ultras fiel schwach aus.
Wichtiger noch als die innenpolitischen Konstellationen waren die internationalen Rahmenbedingungen für die beiderseitigen Beziehungen. Erst nach dem erfolgreichen Abschluss der innerdeutschen Verhandlungen Ende 1972 konnte Madrid im Jahr darauf eine Botschaft in Ostberlin eröffnen, ohne die Beziehungen zur Bundesrepublik zu belasten. Und auch für die DDR eröffnete erst die Détente die Chance, mit dem Plazet der Sowjetunion einen weiteren Schritt im Streben nach internationaler Anerkennung tun zu können.
Neben der Hoffnung auf mehr Handel bewegte Spaniens Außenminister López Bravo, der für eine aktive "Ostpolitik" stand, ein taktisches Motiv, als er sich der DDR näherte: Ihm schwebte eine "'Back-up'-Politik im Osten [vor], die als 'Hebel' bei der Integration im Westen [sprich: der EG] dienen sollte." (117)
In der ersten Phase bis 1975 zeitigte die offizielle Verbindung zwischen beiden Antipoden weder politisch noch ökonomisch oder kulturell wichtige Ergebnisse. Im Oktober 1975 brach die DDR die diplomatischen Beziehungen ab, als das bereits in Agonie befindliche Franco-Regime mehrere Gegner der Diktatur hinrichten ließ.
Als die spanische Transición ab 1976 unerwartet schnell die Diktatur überwand, drohte die DDR den Anschluss zu verlieren, denn nun stand sie ohne Botschaft in Madrid da, während die mit ihr befreundeten Regierungen zügig mit Spanien Botschafter austauschten. Deshalb war es jetzt die DDR, welche auf die Wiederaufnahme der Beziehungen drängte. Im April 1977 war es so weit.
Die externen Faktoren, zwischen 1973 und 1975 ein begünstigendes Moment, wurden aufgrund des ab 1979 einsetzenden zweiten Kalten Kriegs zu einem Hindernis. Innerhalb von Spanien aber erlebten die DDR-Diplomaten jetzt erheblich bessere Arbeitsbedingungen. Die Autorin unterscheidet zwischen 1977 und 1990 drei Phasen: "Pragmatische Arbeitsbeziehungen" (369) zur bürgerlichen Regierung von Adolfo Sánchez, die "neutralistische Tendenzen" (ebd.) an den Tag legte, welche die DDR-Botschaft geschickt nutzte. Die zweite Phase begann mit dem Sieg der Sozialisten 1982. Mit Außenminister Fernando Morán, mit Alfonso Guerra, der Nummer Zwei hinter Felipe González in der Partei und in der Regierung, und mit Enrique Tierno Galván, dem populären sozialistischen Bürgermeister von Madrid, identifiziert die Autorin gleich drei wichtige Führungspersönlichkeiten als "DDR-Sympathisanten" (371).
Zugute kam der DDR auch, dass - wie die Autorin mehrfach herausarbeitet - die Kenntnisse vieler Spanier über das Land sehr gering waren, bis hinein in politische und wirtschaftliche Eliten. Die DDR wurde weniger als kommunistischer Staat wahrgenommen denn als ein weiterer deutscher Staat und die positiven Vorurteile über Effizienz, Pünktlichkeit etc. wurden auch auf die DDR projiziert.
1985/86 endeten die für die DDR positiven Rahmenbedingungen. Tierno Galván verstarb und Morán wurde als Außenminister abgelöst. Gegen die Stellung der DDR in Spanien wirkte nun auch Gorbatschows Reformpolitik, der sich Ostberlin verweigerte, worunter das Ansehen des zweiten deutschen Staates litt. Immer häufiger war nun in Spanien Kritik an der politischen Repression und an der Mauer zu vernehmen.
Als Letztere fiel, war Felipe González die einzige der Führungsgestalten auf europäischer Ebene, die sich vorbehaltlos auf die Seite der Bundesregierung stellte. War in der Zeit der Transición González' Freundschaft mit Willy Brandt von immenser Bedeutung für die bundesdeutsche Unterstützung des Demokratisierungsprozesses und konkret des Aufbaus des PSOE gewesen, so spielte nun die noch engere persönliche Beziehung des spanischen Ministerpräsidenten zu Helmut Kohl eine große Rolle.
Umgekehrt waren spanischen Aktivitäten in der DDR bis 1989 erheblich engere Grenzen gesetzt. Auch der kulturelle und wissenschaftliche Austausch war in Wirklichkeit - von wenigen Ausnahmen abgesehen - eine Einbahnstraße: Spanier kamen viel häufiger als umgekehrt Ostdeutsche. Aber auch hier war es dann doch bestenfalls ein Randphänomen, verglichen mit den Kontakten innerhalb Westeuropas.
In der Schlussbetrachtung arbeitet die Autorin noch stärker die Bedeutung "internationaler Faktoren" heraus und kommt zu dem Resümee, dass "die bilateralen Beziehungen zu jedem Zeitpunkt und in besonderem Maße den Konjunkturen des Kalten Krieges unterworfen waren" (beides 375).
Das Buch ist gut geschrieben und strukturiert; die Autorin hat alle verfügbaren Quellen herangezogen, ihre Fragestellungen sind klug erdacht, ihr Urteil ist abgewogen und treffsicher. Alles in allem hat Jenny Baumann das Standardwerk zu den Beziehungen zwischen der DDR und Spanien vorgelegt.
Bernd Rother