Caterina Mordeglia / Agostino Paravicini Bagliani (eds.): Poison. Knowledge, Uses, Practices (= Micrologus Library; 112), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2022, VIII + 412 S., ISBN 978-88-9290-122-3, EUR 62,00
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Julia Seeberger: Olfaktorik und Entgrenzung. Die Visionen der Wienerin Agnes Blannbekin, Göttingen: V&R unipress 2022
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Von "Arsen und Spitzenhäubchen" über Umwelttoxine, Hexenkessel an Halloween, bis hin zu Alkoholintoxikationen zu Volksfesten, Popmusik (Just like a Pill - Pink), die toxischen Drogenrausch mit nicht weniger toxischer Liebe gleichsetzt, und populärwissenschaftlichen Büchern zu Giften von Arsen bis Zyankali: [1] Toxine und die Angst, an ihnen zu versterben, sind konstante, kulturübergreifende thematische Dauerbrenner.
Vom 10.-12. Dezember 2019 fand deshalb an der Trienter Universität die Konferenz "Poison. Knowledge, Uses, Practises (Europe-Islam)" statt, auf der der vorliegende dreisprachige Sammelband beruht. In einundzwanzig Beiträgen nähern sich die Autoren und Autorinnen interdisziplinär dem Thema von der Antike bis in die Neueste Geschichte.
Luciano Canfora beleuchtet die Todesumstände der römischen Konsuln Aulus Hirtius und Gaius Vibius Pansa im Kontext der Schlacht von Modena. Gift spielte dabei eine wichtige Rolle, da der Arzt Pansas der Wundvergiftung bezichtigt wurde. Francesco M. Galassi führt dieses Thema paleopathologisch fort und analysiert den Tod des Pansas vor dem Hintergrund zeitgenössischer Medizinliteratur, wobei ihm eine gekonnte Gratwanderung, in der Analyse keine retrospektive Diagnose zu stellen, vollendet gelingt und er das Wissen um transdermale Absorption toxischer Substanzen für die Zeitgenossen Pansas widerlegt, der antike Arzt somit als entlastet gelten kann.
Die Komödien des Plautus werden von Federica Boero terminologisch nicht zuletzt auch auf ihre Genderaspekte hin untersucht. Während Frauen unterstellt wurde, Gifte einzusetzen, um Männer zu verzaubern, wurde der Begriff des Giftmischers als Beleidigung für Männer aus der Unterschicht eingesetzt.
Spuren der Gifttraktate "Theriaka" und "Alexipharmaka" des Nikandros aus Kolophon in der lateinischen Literatur verfolgt Sandro La Barbera von Vergil bis hin zu Quintus Serenus.
Mit Giften in Komödien Senecas des Jüngeren setzt sich Caterina Mordeglia auseinander. Sie konstatiert, dass die nichtletalen Gifte bei Seneca einerseits Medea charakterisierten, andererseits die ehelichen Beziehungen symbolisierten.
Die Rezeption und Tradition biblischer Gifte bei Augustinus und in der Hagiographie nimmt Sandra Isetta in den Blick und verdeutlicht dabei, dass hagiographische Werke vor allem die Heilung von Vergiftungen betonen.
Prävention von Vergiftungen sind das Thema bei Agostino Paravicini Bagliani, der die Römische Kurie und das Ritual der praegustatio ab dem 13. Jahrhundert beleuchtet. Diese sei bis ins Jahr 1968 eingesetzt worden, um die päpstliche Autorität innerhalb der Römischen Kirche zu bekräftigen.
Die weibliche Giftmischerin als aus der Antike stammender Topos, der in der Literatur des Mittelalters fortbestand und letztlich in der Frühen Neuzeit in der weiblichen Hexe kulminierte, untersucht Marina Montesano.
Michel Pastoreaus Untersuchungsgegenstand sind die mittelalterlichen Bestiarien und die in ihnen als giftig deklarierten Tiere, die er in Vierfüßler, Schlangen, Würmer und Amphibien scheidet. Neben dem giftigen Tier als auf Geheiß des Teufels handelnde Kreatur wendet er sich auch der Vorstellungswelt der Physiologie der Tiere zu, die ihre Gifte entweder in einem gewöhnlichen Organ oder in einer nicht näher bezeichneten, speziellen Drüse produzierten.
Sinnesgeschichtlich nimmt Francesco Santi die lateinischen Termini und ihre Beziehung zwischen Sound und Gift in den Fokus seiner Untersuchung, die onomatopoetisch eingesetzt wurden, um zu zeigen, dass die Luft selbst giftig werden konnte, wenn von Dämonen die Rede war - wogegen dann spezielle Gesänge als akustisches Antidot eingesetzt wurden. Gabriele Ferrario stellt Moses ben Maimons Gifttraktat als Handbuch der Selbstbehandlung mit ökonomischen Gedanken zur medizinischen Behandlung vor.
Dass zwischen Giften in der höfischen Literatur Frankreichs im Spätmittelalter und dem Gelehrtenwissen der Zeit kein Zusammenhang besteht, zeigt Frank Collard.
Die Verbindung zwischen Pest und Gift in medizinischen Traktaten des Spätmittelalters untersucht Danielle Jacquart, und findet oft unklar eingesetzte Begrifflichkeiten, wobei der Terminus der venositas mit unserem Begriff der Virulenz zu korrespondieren scheint. Anzumerken ist, dass wesentliche Traktate zur Pest, die von Ärzten verfasst wurden (bspw. Guy de Chauliac) nicht im Corpus enthalten sind.
Kulinarisch wird es im Beitrag von Bruno Laurioux, der zwischen Suppe, in der sich Gift befindet, und Gift, die die Cuisine bildet, unterscheidet. Der Beitrag zeichnet sich durch einen außerordentlichen Quellenreichtum aus und greift auch die Herstellung von Medikamenten auf.
Die Kontrastierung von Hexerei und Sakrament im Hexenhammer zeigt Walter Stephens auf.
Lawrence M. Principe geht nochmals auf die Pest und die Anfänge der Alchemie und Medikamente ein.
Francesco Brenna beschäftigt sich Literaturwissenschaftlich mit der Metapher "Honig zu Gift umwandeln" im 16. und 17. Jahrhundert in Italien. Wissenschaftsgeschichtlich stellt Nuno Castel-Branco die beiden Forscher Nicolaus Steno und Francesco Redi vor, aus deren gemeinsamer Arbeit zu den Giften von Schlangen und Skorpionen sich eine Freundschaft entwickelte. Gifte in Richard Wagners Götterdämmerung und Tristan und Isolde werden von Guido Paduano in den Blick genommen. Dass Gifte auch in der Neuesten Geschichte die Mächtigen, von Hitler bis Erdogan, beschäftigen und wie der Angst durch Vorkoster und chemische Analysen beigekommen wurde und wird, zeigt Marco Ansaldo.
Der interdisziplinäre Ansatz des Bandes ist ausgesprochen überzeugend und gewährt eine enorme Bandbreite auch der methodologischen Zugänge zum Thema, die in allen Beiträgen beeindrucken. Der Band ist eine, um im allerbesten Sinne auch im kulinarischen Sprachgebrauch zu bleiben, Reduktion auf das Maximale, begeistert auch durch seine ausgesuchte Quellenvielfalt, wobei er stets auch für nicht medizinhistorische Leser verständlich bleibt. Dass die Leser des Buches neben Italienisch, Französisch und Englisch bei den Quellenzitaten auch Latein, Griechisch, Deutsch und Arabisch lesen können müssen, betont den originären geisteswissenschaftlich-internationalen Charakter des Bandes.
Anmerkung:
[1] Ben Hubbard: Gift. Die Geschichte der Giftmörder und Gifte von Arsen bis Zyankali, Wien 2023.
Monja Schünemann