Aris Radiopoulos: Die griechischen Reparationsforderungen gegenüber Deutschland. Archivdokumente des griechischen Außenministeriums, Berlin: Metropol 2022, 602 S., ISBN 978-3-86331-646-4, EUR 36,00
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Als "Besatzung, die nicht vergeht", könnte das finstere Kapitel der nationalsozialistischen Okkupation in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs bezeichnet werden. Daraus resultierende Fragen, vor allem die Reparationsforderungen der griechischen Regierungen gegenüber der Bundesrepublik und der sogenannte Besatzungskredit, bewegen die griechische Innenpolitik und Öffentlichkeit seit den 1950er Jahren und sind ein (Belastungs-)Thema für die bilateralen deutsch-griechischen Beziehungen.
Das ins Deutsche übertragene Buch von Aris Radiopoulos möchte den griechischen Standpunkt zu den deutschen "Schulden" darlegen. Unter "Schulden" versteht der Autor Entschädigungen für Privatleute, Reparationen an den griechischen Staat und Restitution von Kulturgütern. Als Botschaftsrat im griechischen Außenministerium, der während der Euro-Krise in der griechischen Botschaft in Berlin gedient hat, ist Radiopoulos ein guter Kenner der Materie. Das Vorwort, geschrieben vom Juristen und ehemaligen griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos (2015-2020), unterstreicht die Seriosität der Publikation und verleiht ihr einen offiziösen Charakter.
Das Buch, das keine wissenschaftliche Monografie ist, gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil fasst Radiopoulos die Entstehung und Entwicklung der griechischen Reparationsforderungen zusammen, beginnend mit der Pariser Reparationskonferenz 1945 und dem Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953. Den Schlusspunkt setzt er in den Jahren der Euro-Krise, als das deutsch-griechische Verhältnis unter gegenseitigen Anschuldigungen und Vorwürfen stark gelitten hat. Dieser Teil dient als Einführung in die Thematik des zweiten Teils und soll Klarheit darüber verschaffen, wieso griechische Amtsträger auf Reparationsforderungen beharren. Für sie sei das primär eine Frage der moralischen Gerechtigkeit und nicht der Zahlen, schlussfolgert der Autor.
Im zweiten Teil werden dann 112 griechische Dokumente präsentiert, die im Archiv des griechischen Außenministeriums verwahrt werden. Diese Quellensammlung stellt - wie auch dem Untertitel des Buches zu entnehmen ist - den Hauptteil der Publikation dar. Die drei ersten Dokumente stammen noch aus der Besatzungszeit (1941-1944); die restlichen 109 betreffen die Zeit zwischen 1945 und 1996, insbesondere aber die 1950er Jahre. Die Absicht des Autors ist es, die Quellen "sprechen zu lassen", sodass deutsche Leserinnen und Leser sich ihre eigene Meinung bilden und die Argumentation der griechischen Seite nachvollziehen können, die auf Reparationsforderungen nicht verzichtet habe und diese stellen werde, "wenn sie den geeigneten Zeitpunkt für gekommen hält" (11).
Beeindruckend ist der Arbeitsaufwand von Radiopoulos allemal. Untersucht wurden circa 100.000 Seiten Archivmaterial (Korrespondenz, Vermerke, Rechtstexte, Briefe, Verhandlungs- und Sitzungsprotokolle, Entschädigungsanträge). Die Auswahl der Quellen, die streng chronologisch geordnet sind, dient laut dem Autor der besseren Einordnung der Themen und soll ein einheitliches Bild ergeben. Doch was sagen die ausgewählten Quellen aus? Im Zentrum des Buchs stehen die deutsch-griechischen Gespräche über die Reparationen, die zeitweise mit bilateralen wirtschaftlichen Angelegenheiten verknüpft waren, etwa Ende der 1950er Jahre. Deutlich wird vor allem, dass keine griechische Regierung auf Reparationsforderungen verzichtet hat, auch nach dem "Zwei-plus-vier-Vertrag" vom 12. September 1990 nicht. Gleichwohl wird auch die ablehnende Haltung der Bundesrepublik erkennbar, die vor der Wiedervereinigung stets auf den zukünftigen Friedensvertrag mit den Alliierten hinwies und nach der Wiedervereinigung die Reparationsfrage für zeitlich überholt hielt. Zudem machten deutsche Staatsträger ihre griechischen Gesprächspartner auf den wirtschaftlichen Beitrag der Bundesrepublik im Rahmen der EU und der NATO aufmerksam, von dem schließlich auch Griechenland profitiert habe. Darüber hinaus hoben sie die bilaterale Unterstützung Griechenlands durch (West-)Deutschland auf finanziellem und technischem Sektor hervor.
Immerhin gab es 1960 eine Einigung, als die Bundesrepublik 115 Millionen Mark als Entschädigung für die Opfer der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft in Griechenland zahlte. Diese Gelder betrafen allerdings nur die "weltanschaulichen" Opfer des Nationalsozialismus - hauptsächlich die griechischen Juden. Die Opfer der durch Wehrmacht und SS verübten Vergeltungsmaßnahmen oder die in deutsche Konzentrationslager verschleppten Griechen fielen nicht in diese Kategorie. Hier sehen die griechischen Regierungen den "Stein des Anstoßes" - im Zusammenhang mit der Tatsache, dass kein deutscher Staatsangehöriger für Kriegs- und NS-Verbrechen in Griechenland von einem bundesdeutschen Gericht je verurteilt wurde. Noch 1995 bezeichnete die deutsche Botschaft in Athen "Vergeltungsaktionen" wie im Fall von Distomo als "Maßnahme im Rahmen der Kriegführung" gegen die Partisanen (207), was griechischerseits als Verunglimpfung der Opfer angesehen wurde.
Hinzu kamen als weiteres Thema finanzielle Leistungen des griechischen Staates während der Besatzungszeit, die über die üblichen Besatzungskosten hinausgingen. Der "Besatzungskredit" wurde auch von ehemaligen Repräsentanten der deutschen Besatzungsmacht in Griechenland anerkannt. So schrieb der frühere "Reichsbevollmächtigte für Griechenland", Dr. Günther Altenburg, dem Auswärtigen Amt, dass die griechischen Forderungen in der Sache des "Besatzungskredits" nicht völlig unbegründet seien (183). Griechenland besteht auf der Rückzahlung des "Kredits", der zwischen Repräsentanten der Reichsregierung, der italienischen Regierung und der griechischen Kollaborationsregierung 1942 vereinbart worden ist (Dok. 2 und 3) und aus griechischer Sicht immer noch Gültigkeit besitzt.
Wie ist der "gordische Knoten" zu lösen? Radiopoulos zufolge muss sich die Bundesrepublik der "Schuldfrage" stellen. Zudem soll die breite deutsche Öffentlichkeit über die Geschichte Griechenlands während der Besatzungszeit informiert und für die Opfer der Kriegsverbrechen in Distomo, Kalavrita und anderswo sensibilisiert werden. Initiativen und Aktivitäten wie deutsch-griechische Jugendbegegnungen seien zwar begrüßenswert, befreiten aber die Bundesrepublik nicht von ihrer Pflicht, Entschädigung für die Opfer der Besatzungsherrschaft in Griechenland zu leisten, so das Fazit des Autors. Dies sei erforderlich, um eine wirkliche Versöhnung herbeizuführen und die Vergangenheitstraumata endgültig hinter sich zu lassen.
Für Historikerinnen und Historiker, die sich mit Entschädigungsfragen nach dem Zweiten Weltkrieg befassen, ist das Buch eine wahre Fundgrube. Die Dokumente verraten viele Details über den Ablauf der deutsch-griechischen Verhandlungen nach 1949 sowie die Motive und Dilemmata führender Akteure auf beiden Seiten. Ein breites Publikum wird das Buch wohl nicht erreichen können, da es enormes Wissen über die Zeit der Okkupation sowie die Entwicklung der deutsch-griechischen Beziehungen nach 1949 voraussetzt und die Dokumente schwer zu lesen sind. Radiopoulos' Absicht aber scheint eher zu sein, in erster Linie Expertinnen und Experten sowie diplomatische Kreise zu erreichen. Unabhängig davon gelingt es ihm zweifellos, die griechischen Standpunkte und auch die innergriechischen Auseinandersetzungen über die Reparationsfrage, die von deutscher Seite mit Argusaugen beobachtet wurden, zu erhellen und einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die griechischen Reparationsforderungen zu leisten.
Vaios Kalogrias