Damien Carraz: Un commandeur ordinaire? Bérenger Monge et le gouvernement des hospitaliers provençaux au XIIIe siècle (= Ecclesia militans; Vol. 8), Turnhout: Brepols 2020, 528 S., 23 Abb., ISBN 978-2-503-58978-7, EUR 85,00
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Tanja Broser: Der päpstliche Briefstil im 13. Jahrhundert. Eine stilistische Analyse der Epistole et dictamina Clementis pape quarti, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018
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Der Protagonist dieses Buches, Bérenger Monge, war sicherlich kein Angehöriger des popolo minuto, kein Menocchio und auch kein Meister Niklaus, aber auch kein Angehöriger der noblesse princière. Insofern hat Damien Carraz hier zwar einen Johanniter herausgegriffen, der ausweislich der quantitativen Menge der Überlieferung einigermaßen prominent war, aber irgendwo in dem Niemandsland angesiedelt war, das sich dem Historiker über strukturelle Untersuchungen hinaus gar zu oft verschließt.
Bérenger Monge, ein Angehöriger eines stadtsässigen Rittergeschlechts, zeichnete sich durch eine ausdrückliche Langlebigkeit aus und hatte also Gelegenheit, kraft seines Amtes als Komtur von Manosque (1249) und Aix (1246) der Historikerzunft etwas zu geben, mit dem sie arbeiten kann. Der Protagonist könnte bis zu 94 Jahren alt geworden sein (74); jedenfalls verschwindet er 1300 aus der Dokumentation, kann aber noch ein wenig weitergelebt haben. Für Carraz' Ansinnen ist weiterhin wichtig, dass zwischen den Niederlassungen Aix und Manosque deutliche Unterschiede auf mehreren Ebenen bestanden: Aix war eine vor allem geistlich orientierte Einrichtung, während in Manosque der innerweltliche Charakter des Ordens mit seinen wirtschaftlichen und administrativen Implikationen Vorrang hatte. Darüber hinaus, man möchte fast spekulieren: aus diesem Grunde, ist die Überlieferung zu Bérenger Monge in Manosque sehr viel dichter als in Aix, so dass sich allein schon daher der Eindruck einstellt, dass Bérenger sich vor allem in dem Nebenzentrum der Grafschaft Forcalquier aufgehalten hat.
Diesem langlebigen, mittleren Standes angehörenden Komtur widmet Damien Carraz nun also keine Science-Fiction, sondern "histoire-fiction" (79). Um das näher zu erläutern: Carraz entscheidet sich für eine biographische Herangehensweise, wobei, wie üblich für das Gros vormoderner Menschen, weite Lücken in der Überlieferung bestehen, selbst wenn sie in Relation außerordentlich dicht ist. Die Lücke zwischen vorhandenem (und sinnvoll erreichbarem) Quellenmaterial und dem Wunsch nach einer geschlossenen Erzählung wird sich nicht immer zur Zufriedenheit schließen lassen, worauf Carraz sowohl in den einleitenden Worten (12-13) als auch erneut gegen Ende (446-447) hinweist. Um der Einzelperson in einem Kontext gerecht werden zu können, scheint es ihm notwendig, die Schwelle zur Kollektivbiographie zu überschreiten (12, 442). Das macht sich dann auch im gesamten Buch bemerkbar: Ausgehend von den familiären Wurzeln, den organisatorischen und baulichen Strukturen einer Komturei und der umgebenden Stadt bis hin zur Einbettung des Wirken eines Komturs im Rahmen von Gesamtkirche, Königreich, Orden und Negotium Terrae Sanctae werden immer wieder Parallelen gezogen, Präzedenzfälle herangezogen und Plausibilitäten angeführt, so dass Bérenger Monge manches Mal fast schon ins Hintertreffen zu geraten scheint. Das zu kritisieren bedeutete aber, wissen zu wollen, wie man es besser machte: Eine nackte Aneinanderreihung der urkundlichen Erwähnungen wäre wohl kaum lesbar und böte überdies vermutlich nur geringen Erkenntnisgewinn.
Carraz organisiert also seine "histoire-fiction" im Wesentlichen in drei Abschnitte - lässt man das einleitende Chapitre liminaire außer Acht: Bérenger Monge wird in seine sozialen Felder eingeordnet, als Verwalter vorgestellt und auf seine 'Ausstrahlung' hin befragt.
Der erste Abschnitt greift die familiäre Herkunft ebenso auf wie die ersten belegbaren Schritte (sicherer Erstbeleg 1239). Die gesicherten wie die plausiblen Kontakte in der Region dienen Carraz als Erklärung für die weiteren Gründungen und Förderungen der Johanniter durch etwa Béatrice von Savoyen. Das Arbeitsumfeld im weiteren Sinne, also herrschaftlicher Haushalt, Familia, symbolisches Kapital und schlicht die umgebenden Ämter werden vorgestellt. Es ist vor allem dieser erste Abschnitt, in dem sich der zusätzliche Strang der Kollektiv-Biographie bemerkbar macht.
Darauf aufbauend greift der zweite Abschnitt sowohl Spuren der Verwaltung als auch des Wirtschaftslebens der Komtureien auf, wobei zunehmend auch die Frage aufkommt, ob und inwiefern städtebauliche und andere Maßnahmen mit Bérenger in Verbindung gebracht werden können. Die - außerordentlich lange - Amtszeit Bérengers fällt auch in die Zeit, in der einerseits Städte zunehmend nach Selbstverwaltung streben, andererseits das Königtum die Entwicklung einer Bürokratie vorantreibt. In diesem Spannungsfeld musste sich also ein Johanniter-Komtur bewegen, besonders wenn er, wie im Falle von Manosque, das merum et mixtum imperium innehatte.
Nachdem im zweiten Abschnitt vor allem das Wechselspiel mit den 'Kommunen' Aix und Manosque im Fokus stand, werden im dritten Abschnitt die weiteren Kreise vorgestellt: Der Komtur musste sich ebenso mit dem ausgreifenden Staat der Kapetinger wie auch der Gesamtkirche auseinandersetzen. Damit werden im dritten Abschnitt Untersuchungen zur politischen Austarierung der Sphären zusammengeführt mit solchen, die nach deutscher Forschungsgewohnheit in das Gebiet der Memoria-Forschung fielen.
Carraz stellt behutsam und transparent Hypothesen auf und gliedert, wann immer möglich, nach den zwei Ämtern, die Bérenger lange Zeit parallel innehatte: Aix und Manosque. Die Einleitung ist wie bei so vielen französischen Arbeiten so elegant gelungen, dass auch die Erörterungen des Forschungsstandes und der Quellenlage angenehm lesbar sind. So wird, beispielsweise, letztere zugleich eine Überlieferungsgeschichte. Eng mit der Überlieferungsgeschichte verbunden ist die Geschichte der Schriftproduktion des Ordens, die gleichfalls, wenn auch nicht unter diesem Titel, aufgegriffen wird. Letztlich finden die Historischen Hilfswissenschaften somit auch hier ihren Platz, werden nur manchmal in etwas modischere Gewänder gehüllt, wenn etwa die Siegel unter dem Aspekt der Individuation behandelt werden (145-152).
Ich hoffe, es ist bis hierher deutlich geworden: Die Arbeit berührt eine Vielzahl unterschiedlicher Forschungsfelder mit ihren eigenen Traditionen und aktuellen Themen. Somit mag für manch einen Spezialisten für sein Feld wenig Neues zu finden sein, in der Gesamtheit indes tritt der 'durchschnittliche' Komtur in seinen verschiedenen Kontexten besser in Erscheinung - und damit zugleich eine historische Gestalt weit unterhalb der für die Vormoderne biographisch leichter zu fassenden Personen fürstlichen und königlichen Ranges. Hingewiesen sei noch auf den Online-Anhang, in dem weitere Anhänge, nicht zuletzt Abbildungen, abgerufen werden können.
Andreas Kistner