Hiltrud Friederich-Stegmann (Hg.): Amalie Prinzessin von Sachsen. Reise nach Spanien 1824 / 1825, Moritzburg: Edition Serena 2021, 458 S., ISBN 978-3-00-070533-5, EUR 54,80
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Die Iberische Halbinsel zählte in der Frühen Neuzeit nicht unbedingt zu den bevorzugten Zielen der Reisenden aus dem übrigen Europa. Eine Ausnahme bildeten lediglich die Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela. Bis weit in das 18. Jahrhundert war daher auch die Anzahl der gedruckten Reiseberichte über Spanien und Portugal, verglichen etwa mit Italien, eher übersichtlich. Das hatte weniger mit der geografischen Entfernung, als vielmehr mit den überlieferten Vorstellungen und den aktuellen Modeerscheinungen im Hinblick auf das Reiseverhalten und die Reiseliteratur zu tun. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts erschienen im Anschluss an den Spanischen Unabhängigkeitskrieg gegen das napoleonische Frankreich neben einer Vielzahl an Memoiren und Kriegserinnerungen nun auch vermehrt Reiseberichte über Spanien und Portugal. [1]
Die Herausgeberin der vorliegenden Edition, Hiltrud Friederich-Stegmann, ist eine ausgewiesene Kennerin der deutschsprachigen Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts über die Iberische Halbinsel [2] sowie der deutschsprachigen Berichte über den Spanischen Unabhängigkeitskrieg. [3] Ebenso ist sie als Übersetzerin des Reiseberichts Christian August Fischers ins Spanische hervorgetreten. [4] Die hier besprochene Edition wird ebenfalls in einer spanischen Übersetzung erscheinen.
Der Bericht über die Reise der Prinzessin Maria Amalia Friederika von Sachsen (1794-1870), gemeinsam mit ihrem Vater Maximilian (1759-1838), nach Italien, Frankreich und Spanien in den Jahren 1824 und 1825 sticht aus unterschiedlichen Gründen aus den zeitgenössischen Publikationen des 19. Jahrhunderts und den späteren Ausgaben von Reiseberichten heraus. Zum einen geben mehrere Familienbesuche in der Toskana und in Spanien einen Eindruck von dem weitgespannten dynastischen Netz des königlich sächsischen Hauses und der Bedeutung der Dynastien auch nach der Revolution und den napoleonischen Kriegen. Es handelte sich also nicht um eine Bildungs- oder Vergnügungsreise. Zum anderen stammen die Aufzeichnungen von einer literarisch versierten Angehörigen des europäischen Hochadels, wobei gerade diese europäische Perspektive hervorzuheben ist. Eine die einzelnen Ländergrenzen überspannende soziale Schicht, die europäische Fürstengesellschaft, war somit auch noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts anzutreffen. Dabei spielte es keine Rolle, ob zu dem besuchten Hof direkte dynastische Verbindungen bestanden, wie die Beschreibung des Aufenthaltes in Paris vom 9. bis 17. Mai 1825 (299-325), einschließlich der Besuche in St. Cloud und Versailles, dokumentiert. Zudem handelt es sich um den Bericht einer Prinzessin, wovon in edierter Form ohnehin nur sehr wenige Beispiele vorliegen.
Der Edition vorangestellt ist eine kurze Beschreibung der im sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden überlieferten Textgrundlage (11). Die erste Handschrift bildet die Grundlage des Textes, die zweite wurde ergänzend hinzugezogen. Sehr wahrscheinlich entstanden beide erst nach 1830, da in ihnen u.a. direkt Bezug auf die Julirevolution dieses Jahres genommen wurde (22). Aufgrund der Detailfülle ist davon auszugehen, dass sie auf anderen, wahrscheinlich nicht überlieferten Aufzeichnungen, die direkt auf der Reise entstanden sind, beruhen - eine übliche Vorgehensweise. Die Editionsrichtlinien sind kurz umrissen (12f.), wobei Rechtschreibung und Interpunktion den aktuellen Regeln angepasst wurden. Diese Entscheidung erleichtert zwar die Lesbarkeit, ist aber für eine textkritische Edition nicht unbedingt üblich. Besonders hervorzuheben ist der kleine Bildteil (14-19), der u.a. sowohl die während des Aufenthaltes in Spanien entstandenen Porträts Prinzessin Amalies und ihres Vaters von der Hand des Hofmalers Vicente López y Portaña aus dem Jahr 1825 (261) sowie von demselben ein Porträt der Königin Josepha aus dem Jahr 1829 enthält. Die Einleitung (21-59) nimmt eine allgemeine Einordnung des Berichts vor, gerade auch im Hinblick auf die gescheiterte Verfassungsbewegung von Cádiz und die Erneuerung der monarchischen Herrschaft 1820-1823 (40-43), allerdings spielen diese Aspekte im Bericht nur eine Nebenrolle. Einen größeren Raum nehmen der Gesundheitszustand König Ferdinands VII. und seiner Gemahlin ein, da die schlechte Verfassung des Königs auch nicht ohne Einfluss auf den Aufenthalt blieb. Eine Kartenübersicht über die Reiseroute (63) erleichtert die Orientierung. Ergänzt und erschlossen wird die Edition durch einen umfangreichen Anhang sowie ein Personen-, Orts- und Sachregister (394-454).
Einige Aspekte des Berichts sind durchaus auffällig, z.T. werden diese in der Einleitung thematisiert. Bemerkenswert ist zunächst, dass sich für den Aufenthalt in Florenz nur die Angaben zur Ankunft und zur Abreise finden (66f.). Besucht wurden hier die beiden Töchter bzw. jüngeren Schwestern, die verwitwete und die amtierende Großherzogin der Toskana. Da es sich nicht um die erste Italienreise Prinzessin Amalies handelte, ist es nicht unbedingt verwunderlich, dass über Florenz bzw. die Reisestationen nur sehr spärlich berichtet wurde. Persönliche Angaben oder familieninterne Angelegenheiten waren ohnehin nicht Gegenstand der Aufzeichnungen. Die Reise nach Norden über Genua und Turin wird dann im Hinblick auf die Beschreibung immer mehr zu einem klassischen Reisebericht. Dazu gehörte auch der Besuch von Sammlungen und Museen. So wurden die Reisenden durch die ägyptische Sammlung in Turin etwa von Jean-François Champollion geführt (78). Besonders ins Auge fällt die vergleichsweise hohe Reisegeschwindigkeit in Italien und Frankreich. Hier wurden oft weit mehr als 100 Kilometern am Tag absolviert. Bei einer Reisegesellschaft, die auf ca. 20 Personen geschätzt wurde, (38/FN 87) eine doch recht beeindruckende Leistung. Auch im 18. Jahrhundert waren solche Tagesleistungen möglich, sie blieben aber eher selten. In diesem Fall wurden sie trotz des höheren Alters des Prinzen Maximilian erreicht, der aber wohl teilweise unter den Reisebedingungen etwas zu leiden hatte. Auffällig ist auch, dass insgesamt wenig zu den Reiseumständen mitgeteilt wird. Es sind dann eher Ausnahmen, wenn auf die kalte Nacht im Kloster auf dem Mont Cenis (79f.) etwas ausführlicher verwiesen wird, auf den Zustand der Verkehrswege in Frankreich und die Fahrweise der Kutscher (89), die obligatorischen Räuber (106) oder die Nutzung eines Dampfschiffes auf der Garonne (285f.). Auf der Iberischen Halbinsel waren dann die zurückgelegten Tagesetappen wieder deutlich kürzer, um die 50 bis 60 Kilometer, was aber mit dem offiziellen Charakter der Reise in Spanien und den zahlreichen Empfängen zu tun gehabt haben dürfte. Gleichfalls bemerkenswert ist die aktuelle Berichterstattung über die Reise in unterschiedlichen Zeitungen (38-40). Während die Berichte der in Madrid erscheinenden Periodika noch im Bereich des Erwartbaren liegen, überraschen doch die vergleichsweise detaillierten Informationen in den deutschsprachigen Zeitungen, die von der Herausgeberin ausführlich in den Anmerkungen nachgewiesen werden. Dieser Aspekt einer sehr zeitnahen Information der Öffentlichkeit über eine fürstliche Reise mit sehr konkreten Angaben unterscheidet sich grundlegend von dem eher auf die Korrespondenz gestützten Informationsfluss des 17. und weiter Teile des 18. Jahrhunderts.
Die Perspektive der Wahrnehmung und Beschreibung der Prinzessin ist stark der Romantik verpflichtet. Im Unterschied zu früheren Autoren gewinnt die Natur, deren Schönheit, aber auch Bedrohlichkeit, zunehmend einen unabhängigen Stellenwert in der Darstellung auch und gerade neben den Beschreibungen von Städten, Kunstwerken, Gebäuden oder Begegnungen. Die bald beginnende publizistische Tätigkeit der Prinzessin ist hier bereits greifbar, wie auch gelegentlich ein gewisser Humor aufscheint. Bemerkenswert ist die Beschreibung der Sammlungen in Madrid. Im 1819 eröffneten Prado entsprach die Hängung der Gemälde den aktuellen Standards, d.h. sie erfolgte nach Ländern bzw. Schulen und wohl auch nach der Chronologie (185-187). Die Interessensgebiete der Prinzessin waren insgesamt sehr weit gestreut und reichten von den Sammlungen und Gotteshäusern über die königlichen Werkstätten, natürlich Musik und Schauspiel bis hin zu den Waschfrauen am Manzanares (203f.).
Insgesamt bereichert die vorliegende sehr lesenswerte und ausführlich kommentierte Edition nicht nur unsere Kenntnis über die Iberische Halbinsel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern auch über die Reiseliteratur und am Rande auch über die sich allmählich wandelnden Reiseumstände. Das Einzige, was der Rezensent vermisst hat, waren ein oder zwei Faksimiles der Handschrift aus den edierten Reisetagebüchern. Gespannt darf man auch auf die Herausgabe der Spanientagebücher des Grafen Karls von Zinzendorf für die Jahre 1765 und 1767 zusammen mit Grete Walter-Klingenstein sein, die in der Literaturliste als "in Vorbereitung" (357) erwähnt wird.
Anmerkungen:
[1] Holger Kürbis: "Spanien ist noch nicht erobert!" Bibliographie der deutschsprachigen Memoiren, Tagebücher, Reiseberichte, zeitgeschichtlicher Abhandlungen und landeskundlicher Schriften über die Iberische Halbinsel im 19. Jahrhundert, Augsburg 2006.
[2] Hiltrud Friederich-Stegmann: La imagen de España en los libros de los viajeros alemanes del siglo XVIII. Prólogo de Carlos Martínez Shaw, San Vicente de Raspeig 2014.
[3] Hiltrud Friederich-Stegmann: Cabrera en las memorias de los prisioneros alemanes, in: Oblidats a Cabrera. El captiveri napoleònic 1809-1814, hg. von Margalida Tur / Gabriel Carrió, Palma de Mallorca 2009, S. 171-194.
[4] Christian August Fischer: Viaje de Ámsterdam a Génova pasando por Madrid y Cádiz en los años 1797 y 1798. Estudio preliminar, traducción, edición y notas de Hilturd Friederich-Stegmann, Prólogo de Carlos Martínez Shaw, San Vicente de Raspeig 2007.
Holger Kürbis