Rezension über:

Jacopo Paganelli: Dives episcopus. La signoria dei vescovi di Volterra nel Duecento (= I libri di Viella; 386), Roma: viella 2021, 213 S., eine Kt., 10 s/w-Abb., 13 Tbl., ISBN 978-88-3313-796-4, EUR 26,00
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Rezension von:
Christina Abel
Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Christina Abel: Rezension von: Jacopo Paganelli: Dives episcopus. La signoria dei vescovi di Volterra nel Duecento, Roma: viella 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 6 [15.06.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/06/36062.html


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Jacopo Paganelli: Dives episcopus

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Bei dem hier besprochenen schmalen Band von Jacopo Paganelli, entstanden aus einem an der Universität Pisa abgeschlossenen Dissertationsprojekt, handelt es sich, soviel sei vorweggenommen, um eine beeindruckend dichte, quantitativ ausgerichtete wirtschaftsgeschichtliche Analyse der Ressourcen und Einkünfte der Bischöfe von Volterra in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.

Dies lässt der Titel nicht zwingend erwarten und auch die Einleitung gibt zunächst nur wenig Orientierung: Paganelli beginnt seine Studie mit mehreren Literatur- und Filmprotagonisten des 20. Jahrhunderts, die für den seit dem Mittelalter nachweisbaren Topos des verarmten, zur rationalen Finanzverwaltung unfähigen und immer auf Pump lebenden Adeligen stehen sollen. Dieses "paradigma Saint-Fiacre" (10), auf das der Autor in Anspielung auf eine Romanfigur von Georges Simenon [1] immer wieder referiert, für ihren Untersuchungsgegenstand zu widerlegen, ist das Ziel der Studie. Die Arbeit nimmt dabei mit den Bischöfen von Volterra eine Gruppe an Akteuren in den Blick, die die Forschung tatsächlich lange als selbstverschuldete Verlierer des langen 13. Jahrhunderts kennzeichnete: die weltlichen und kirchlichen Grundherren Nord- und Mittelitaliens, die ihre politische Vorherrschaft aufgrund ihres schlechten Ressourcenmanagements zunehmend an die wirtschaftlich potenten Stadtkommunen verloren hätten. Dieses Forschungsparadigma wurde in den letzten Jahrzehnten erfolgreich hinterfragt, insbesondere durch Laurent Feller, Simone Collavini und Sandro Carocci [2], die in unterschiedlicher Funktion Anteil an der Entstehung der vorliegenden Studie hatten (7). An deren Forschungen knüpft Paganelli an, kann jedoch neue Akzente setzen, die insbesondere aus der außergewöhnlichen Beschaffenheit des patrimonium des Bistums Volterra resultieren, und zwar des wirtschaftlichen wie des dokumentarischen.

Dieses patrimonium stellt Paganelli in der Einleitung (9-38) kurz vor: Herausragendes Element des bischöflichen Herrschaftsbereichs waren die Silberminen von Montieri, die, den Studien von Peter Spufford folgend [3], einen nicht unerheblichen Teil des für den europäischen Geldumlauf benötigten Edelmetalls geliefert haben sollen. Daneben verfügten die Bischöfe über castra unterschiedlicher Größenordnung und politischer Eigenständigkeit, darunter San Gimignano, und wichtige Regalien, wie die Gerichtsbarkeit, die ebenfalls Einkünfte erbrachten. Die sich im Laufe des 13. Jahrhunderts verändernden Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten für dieses patrimonium zeichnet der Verfasser entlang der einzelnen Pontifikate nach. Auch die Überlieferung, die die Ressourcen des Bistums und den Umgang mit diesen Ressourcen mehr oder weniger präzise erkennen lässt, ist durch ihren Reichtum gekennzeichnet: Die Bestände des Archivio Diocesano, des Archivio Capitolare und anderer Institutionen beinhalten für den untersuchten Zeitraum neben ca. 800 Urkunden diverse Verwaltungsschriften, die das eigentliche Kapital der Untersuchung darstellen und die der Verfasser als zusammenhängendes Quellenkorpus erstmals vorstellt.

Die auf diesem Korpus basierende Untersuchung ist in drei große Kapitel unterteilt. Der erste Teil ("La signoria", 39-105) zielt auf eine Aufstellung und Quantifizierung aller dem Bistum aus Herrschaftsrechten zustehenden Geld- oder Naturaleinkünfte und Militär- und Arbeitsdienste. Damit eng verknüpft ist eine Darstellung der sozialen und politischen Strukturen der Gemeinschaften, die der Herrschaft des Bischofs unterstanden und die von komplexen kommunalen Gebilden mit hoher sozialer Stratifizierung bis zu einfachen bäuerlichen Gemeinden reichten. Ein eigenes Unterkapitel ist der Nutzung der Bodenschätze der Region gewidmet: den Salinen und der Alaungewinnung, vor allem aber der Silberförderung und -vermarktung. Die Organisation des Silberabbaus in Montieri erfolgte über Investitionsgemeinschaften, welche sich meist aus 32 Anteilen, den trente, zusammensetzten. An diesen, mit heutigen Aktienfonds vergleichbaren (93) Anteilsfinanzierungen beteiligten sich auch die Bischöfe Volterras, denen zudem über das sogenannte ius corbelli feste Quoten aus den Silbergewinnen aller Abbauunternehmungen zukamen. Untermauert wird die minutiös aus den Quellen herausgearbeitete Sammlung von Einkünften aus Regalien mit verschiedenen Tabellen.

Das zweite Kapitel widmet sich zunächst dem Grund- und Immobilienbesitz und dessen Nutzbarmachung durch Verpachtung, Vermietung und Ausgabe als Lehen ("La gestione fondiaria e le proprietà immobiliari", 107-134). Der bevorzugte Einzug der schuldigen Pachten in Form von Getreide und der marktsensible Verkauf dieser Ressource, der für andere Untersuchungskontexte bereits nachgewiesen wurde, brachten auch dem Bistum Volterra hohe Gewinne aus dem Getreidehandel. Hieran angegliedert ist eine Analyse der personellen Netzwerke, auf die die Bischöfe zurückgriffen, um ihren Besitz zu verwalten und Einkünfte und Ressourcen einzuziehen ("Gli uomini e le reti del dominato", 134-151). Diese nicht in allen Fällen näher fassbaren Amtsträger, Delegierten und Herrschaftsträger, so ein Fazit Paganellis, prägten durch ihre persönlichen Fähigkeiten und Entscheidungen maßgeblich die administrative Praxis und den Grad der Verschriftlichung der Verwaltung des patrimonium, die weniger durch strukturelle Direktiven der Bischöfe bestimmt wurden als durch die Eigeninitiative einzelner Funktionsträger und Notare.

Das dritte Hauptkapitel schließlich versucht sich an einer abschließenden Quantifizierung und Bewertung des bischöflichen Kapitals, dessen ökonomischer Wert in einen politischen übersetzt werden kann. Das Ergebnis dieser Bilanz, deren überlieferungsbedingte Lücken und Unsicherheiten immer transparent gemacht werden, zeigt, dass die Bischöfe von Volterra keineswegs zu den wirtschaftlichen Verlierern des 12. und 13. Jahrhunderts zählten, sondern gegenüber den Stadt- und Kastellkommunen durch den geringeren Druck notwendiger Ausgaben oft sogar im Vorteil waren (160-163, 176-177). Dies zeigt sich auch an den hohen Krediten, die die Bischöfe bei sienesischen Banken und anderen Kreditgebern aufnahmen und die nicht, wie in der Forschung bislang üblich, als Zeichen des wirtschaftlichen Niedergangs zu werten sind, sondern als Beweis des erheblichen materiellen Wertes der bischöflichen Grundherrschaft, der dem Bistum Kreditwürdigkeit verlieh und dadurch finanziellen und politischen Handlungsspielraum ermöglichte (166).

"La non-crisi del dominato vescovile di Volterra" ist das bilanzierende Unterkapitel überschrieben (172-178) - eine Überschrift, die ebenso gut über der nur fünfseitigen Zusammenfassung stehen könnte, die die Ergebnisse der Studie noch einmal rekapituliert. Ein Literaturverzeichnis und ein Orts- und Personenregister schließen den Band ab.

Die Konzentration Paganellis auf die quantitativ erfassbaren Grundlagen der Herrschaft der Bischöfe von Volterra überzeugt: Auf nur 213 Seiten gelingt dem Verfasser eine dichte Analyse der Ressourcen und Einnahmequellen des Bistums, die auf weitgehend unediertem Quellenmaterial beruht und zu nüchtern formulierten, dadurch aber nicht weniger bedeutenden Ergebnissen führt, die über ein rein wirtschaftsgeschichtliches Erkenntnisinteresse hinausgehen. Ergänzt wird die präzise Rekonstruktion aus der Überlieferung durch einen weitsichtigen Überblick über den Forschungsstand auch zu nicht-italienischen Kontexten, der unaufdringlich eingeflochten wird, ohne die Quellen in den Hintergrund zu drängen: Einzig der häufige Rückgriff auf Zitate aus diesen Forschungsarbeiten, um die eigenen Ergebnisse zu formulieren, stört den Lesefluss bisweilen. Dieser minimale Kritikpunkt ändert jedoch nichts daran, dass Paganellis Ansatz einer quantitativ ausgerichteten Analyse der wirtschaftlichen Grundbedingungen von Herrschaft eine weite Rezeption zu wünschen ist.


Anmerkungen:

[1] Georges Simenon: L'affaire Saint-Fiacre, Paris 1932.

[2] Vgl. stellvertretend Laurent Feller: Histoire du Moyen Âge et histoire économique (Xe - XVe siècle) en France, in: Dove va la storia economica? Metodi e prospettive, secc. XIII-XVIII, Atti del convegno (Prato, 18-22 aprile 2010), hg. von Francesco Ammannati, Florenz 2011, 39-60; Simone M. Collavini: I signori rurali in Italia centrale (secoli XII-metà XIV): profilo sociale e forme di interazione, in: MEFRM 123 (2011) 301-318; Sandro Carocci: Signori e signorie, in: Storia d'Europa e del Mediterraneo 8: Il Medioevo (secoli V-XV). Popoli, poteri, dinamiche, hg. von Alessandro Barbero, Rom 2006, 409-448.

[3] Peter Spufford: Money and Its Use in Medieval Europe, New York 1988.

Christina Abel