Reinhard Johler (Hg.): Hatzfeld. Ordnungen im Wandel, Timișoara: Cosmopolitan Art 2020, 413 S., ISBN 978-606-988-052-4, EUR 33,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Ganz in der Nähe meiner Budapester Wohnung befindet sich die Zsombolyai utca (Hatzfelder Gasse). Hinzu kommt ein das Interesse weckender Zufall: Meine Vorfahren mütterlicherseits - Banater Schwaben - lassen sich in Tschakowa (ung. Csák, rum. Ciacova) bis zum späten 18. Jahrhundert urkundlich verfolgen, in der Nachbarschaft von Hatzfeld, Gegenstand des hier anzuzeigenden Bandes.
Äußere Anlässe für die (leicht verspätet erschienene) Publikation waren das dreißigjährige Jubiläum des Tübinger Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL) 2017 und vor allem das 250-jährige Jubiläum der Gründung von Hatzfeld im Jahr 2016. Wie aus der Einführung von IdGL-Direktor Reinhard Johler hervorgeht, gibt es heute Hatzfeld im Grunde zweimal: "Hatzfeld existiert derart im heutigen Jimbolia [...] und in der 1981 in Deutschland gegründeten, um den wechselseitigen Austausch [...] sehr bemühten Heimatortsgemeinschaft weiter. [...] Hatzfeld steht [...] stellvertretend für die ganze, in sich sehr heterogene und inzwischen ausgesprochen multilokale 'donauschwäbische Welt'". (8) Dementsprechend - und wohl auch, um für eine möglichst breite Rezeption zu sorgen - ist den einzelnen Beiträgen jeweils eine kurze Zusammenfassung in englischer, rumänischer, serbokroatischer und ungarischer Sprache angefügt.
Der Band bewältigt erfolgreich den Spagat, eine einerseits höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügende, andererseits gut lesbare Aufsatzsammlung zu bieten, sodass auch ein nur eher allgemein an diesem Teil des südöstlichen Mitteleuropa interessierter Leser auf seine Kosten kommt. Das Buch liefert zudem die perfekte Ergänzung zu der Publikation 'Das Landgut von Hatzfeld' von 2016. [1] Während dort die - nach heutigen Begriffen - Standort- und Regionalentwicklungspolitik der Familie Csekonics, seit 1790 Pächter bzw. seit 1800 Eigentümer der ausgedehnten Grundherrschaft Hatzfeld, im Mittelpunkt steht, spielt hier die Großgemeinde bzw. Kleinstadt selbst die Hauptrolle.
Hatzfeld verdankt seine Gründung der zweiten, 1763 durch Maria Theresia begonnenen Welle der "Impopulation" des 1718 von der osmanischen Herrschaft befreiten und seither unmittelbar von der ungarischen Hofkammer verwalteten Banats. Das schiere Überleben der deutschen Siedler im ersten Winter nach ihrer Ankunft grenzt an ein Wunder - Assoziationen mit der Ankunft der pilgrim fathers in Nordamerika drängen sich durchaus auf. "Mit Hatzfeld war eine Mustergemeinde geplant", wie Mária Fata in ihrem Beitrag schreibt (69). Für die zunächst rund 400 Familien wurde eine streng geometrisch angelegte Doppelsiedlung errichtet, bestehend aus den ursprünglich getrennten Dörfern Landestreu und Hatzfeld, die - räumlich betrachtet - entlang einer Symmetrieachse gespiegelt waren und kurz nach der Gründung auch administrativ zusammengelegt wurden. Der als Stadtplaner tätige Rezensent kann nicht verhehlen, dass er sich eine etwas ausführlichere Darstellung der räumlichen Struktur gewünscht hätte. Die soziale Struktur konnte sich, wie aus dem Beitrag hervorgeht, mithilfe der übergeordneten staatlichen und kirchlichen Autoritäten, die Übergriffen der beiden offensichtlich überforderten örtlichen Führungsfiguren - des katholischen Pfarrers und des Oberamtmanns - wirksam begegnen konnten, erstaunlich schnell stabilisieren.
Karl-Peter Krauss liefert nicht nur eine präzise demografische Analyse von Hatzfeld im 18. und 19. Jahrhundert, sondern belegt diese auch verblüffend detailliert anhand der Schicksale einzelner Familien. Infolge der hohen Erwachsenensterblichkeit in der ersten Zeit nach der Ansiedlung kamen durch Wiederverheiratung von verwitweten Personen regelrechte Patchwork-Familien zustande - eine innovative Erkenntnis des Beitrags. Josef Wolff beschäftigt sich mit dem Umstand, dass die ursprünglich nahezu homogen deutsche Bevölkerung von Hatzfeld heute fast ebenso homogen eine rumänische Identität hat, sodass nach einer Phase der ethnischen Diversität eine "Umkehrung der Homogenität" (so auch der Titel des Beitrags) eingetreten ist. Im 19. Jahrhundert entfaltete sich in Hatzfeld eine beträchtliche Bevölkerungsdynamik, deren Überschuss zu einer im späten 19. Jahrhundert einsetzenden Auswanderung nach Amerika führte. Bei der Gründung zählte Hatzfeld 1543 Einwohner und erreichte 1981 einen Höchststand von über 15 000 Personen, bedingt auch durch die im sozialistischen System forcierte Industrialisierung. 1930 - als Hatzfeld bereits zu Rumänien gehörte - wurden bei der Volkszählung 10 873 Personen erfasst, von denen immer noch 70,85 Prozent die deutsche Bevölkerungsmehrheit bildeten. 1966 hielten sich die deutsche und die rumänische Bevölkerungsgruppe mit je etwa einem Drittel die Waage. 2011 ist die Bevölkerung auf 10 808 Personen zurückgegangen, von denen nur noch 310 Personen (2,9 Prozent) als Deutsche gezählt wurden. Ein bestimmter historischer Zusammenhang hätte im Beitrag von Mathias Beer ("Grenzerfahrungen. Kriegsenden in einer südosteuropäischen Kleinstadt") durchaus eine ausführlichere Würdigung anstelle eines als Fußnote auf Seite 362 versteckten Hinweises verdient: "Anders als in den anderen Staaten Ostmitteleuropas gab es am Ende des Zweiten Weltkriegs keine Vertreibung und Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus Rumänien", wobei die Deportationen in die Sowjetunion und in die berüchtigte Baragan-Steppe dennoch erhebliche Verluste verursacht haben. Der Rückgang des deutschen Bevölkerungsanteils von Hatzfeld ist laut Wolff "ab 1980 auf die deutsche Aussiedlung und nach der Jahrtausendwende auf die zunehmende Arbeitsmigration nach Westeuropa zurückzuführen". (141) Wieso Beer durchgehend mit dem Terminus "grenzwertige Erfahrungen" (340) operiert, will sich dem Rezensenten nicht so recht erschließen, das mag aber auch daran liegen, dass dieser das Wort "grenzwertig" eher im Kontext einer ironischen alltagssprachlichen Verwendung kennt. Die mehrfachen Wechsel der staatlichen Zugehörigkeit (bis 1918/20 zu Ungarn, bis 1923/24 zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen und danach zu Rumänien) haben den Bürgern von Hatzfeld nicht nur große materielle Opfer, sondern auch beträchtliche mentale Anpassungen abverlangt, die Beer glänzend in einer Anekdote auf Seite 333 wiedergibt.
Aus dem Beitrag von Olivia Spiridon, der ein breites Panorama der spätestens ab Mitte des 19. Jahrhundert erstaunlich vielfältigen Zivilgesellschaft mit ihren Vereinen, Casinos und sonstigen Aktivitäten entfaltet - auch dies eine für den Rezensenten neue Erkenntnis -, sei hier nur die Hatzfelder Zeitung (1888-1941) hervorgehoben, in deren Geschichte sich auch der Richtungskampf zwischen traditionell-katholisch und völkisch, später nationalsozialistisch orientierten Redakteuren widerspiegelt. Möge gerade dieser geistig wie in seinen handfesten Auswirkungen tragische Aspekt der Geschichte von Hatzfeld als Lehre für ein gedeihliches Zusammenleben dienen - die Lektüre des Bandes insgesamt sei herzlich empfohlen.
Anmerkung:
[1] Mária Szilágyi / Anica Draganic: Domeniul de la Jimbolia. Moşia din Banat a familiei Csekonics / Das Landgut von Hatzfeld. Banater Großgrundbesitz der Familie Csekonics / A Zsombolyai uradalom. A Csekonicsok bánsági nagybirtoka, Székesfehérvár 2016.
János Brenner