Rezension über:

Janick Marina Schaufelbuehl / Marco Wyss / Valeria Zanier (eds.): Europe and China in the Cold War. Exchanges Beyond the Bloc Logic and the Sino-Soviet Split (= New Perspectives on the Cold War; Vol. 6), Leiden / Boston: Brill 2019, XII + 242 S., ISBN 978-90-04-38559-7, EUR 115,00
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Rezension von:
Daniel Leese
Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Leese : Rezension von: Janick Marina Schaufelbuehl / Marco Wyss / Valeria Zanier (eds.): Europe and China in the Cold War. Exchanges Beyond the Bloc Logic and the Sino-Soviet Split, Leiden / Boston: Brill 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 10 [15.10.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/10/35044.html


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Janick Marina Schaufelbuehl / Marco Wyss / Valeria Zanier (eds.): Europe and China in the Cold War

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Die Dezentrierung etablierter Perspektiven auf die europäisch-chinesischen Beziehungen zur Zeit des Kalten Kriegs ist erklärtes Ziel des vorliegenden Sammelbandes, der auf einer Tagung aus dem Jahr 2016 basiert. Damit schließt er sich dem generellen Forschungstrend an, die Fixierung auf Blockkonfrontation oder Großmachtpolitik zu durchbrechen und so Staaten der vermeintlichen Peripherie, transnationalen Netzwerken und nicht-staatlichen Akteuren ein größeres Gewicht zukommen zu lassen. Zeitlich liegt der Schwerpunkt der zehn Beiträge auf den 1950er und 1960er Jahren. Vereinzelt wird der Bogen aber auch bis in die späten 1980er Jahre gespannt.

Der Band ist in drei Teile gegliedert, die teils geographischen, teils thematischen Zuschnitt haben. Der erste Teil ist mit "Unexplored Relations between Western Europe and China" überschrieben. Mit Österreich, der Schweiz und Griechenland stehen dort drei europäische Länder im Mittelpunkt, die mit Blick auf das jeweilige Verhältnis zur Volksrepublik China nur selten gebührende Aufmerksamkeit erhalten haben. Dass sich hier in der Tat neue Perspektiven auftun können, zeigt insbesondere Ariane Knüsel in ihrem sehr lesenswerten Beitrag über die Rolle der Schweiz. Dieses "dark horse" der europäisch-chinesischen Beziehungen war bis Anfang der 1960er Jahre ein zentraler Knotenpunkt für diplomatische und wirtschaftliche Kontaktanbahnung mit Westeuropa, aber auch für geheimdienstliche Aktivitäten und die Verteilung von Propagandamaterial. Im Fall Österreichs und Griechenlands wird der Konflikt zwischen Hoffnungen der Wirtschaftseliten auf florierende Handelsbeziehungen und der komplexen nationalen und internationalen politischen Situation nachgezeichnet. Interessant sind dabei auch die Verweise auf den Einfluss und die Verstrickungen von individuellen Akteuren in Österreich beziehungsweise das vollständige Fehlen von China-Expertise in Griechenland bis weit in die 1970er Jahre.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit "Transnational Networks, Propaganda and People-to-People Relations". Es geht also um Akteure jenseits der offiziellen diplomatischen Kanäle, um Kulturdiplomatie und nicht zuletzt die Politik der Einheitsfront. Hierzu zählten etwa die jeweils länderspezifischen "Freundschaftsgesellschaften". Am Beispiel Frankreichs und der Schweiz wird herausgearbeitet, wie unterschiedlich der Begriff der "Freundschaft" im Lauf der Zeit inhaltlich konnotiert wurde. Zwei weitere Kapitel handeln vor allem von den jeweiligen Eindrücken von China, die Vertreter der Kommunistischen Partei Italiens sowie Teilnehmer an von der Chinesischen Kommunistischen Jugendliga organisierten Reisen mitbrachten. Von besonderer Aktualität ist das Kapitel von Chi-Kwan Mark über den Umgang mit pro-kommunistischer Presseagitation in Hongkong. Am Beispiel der pro-chinesischen Proteste der Jahre 1952 und 1967 zeigt er, wie die britische Kolonialregierung versuchte, den kommunistischen Einfluss mittels Rechtsverordnungen wie der "Sedition Ordinance" einzudämmen, ohne eine direkte Konfrontation mit Beijing zu riskieren. Die damals sehr breit gefassten Straftatbestände wie "raising discontent" sind kürzlich wieder reaktiviert und gegen jene gewendet worden, die gegen das neue chinesische Sicherheitsgesetz protestierten. Die Überlappung unterschiedlicher Formen der Repression regt daher zu einer vertieften Beschäftigung mit dem Erbe des Kalten Kriegs an.

Der dritte und letzte Teil konzentriert sich auf das Zusammenspiel von nationalen Interessen und Ideologie in den Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und ausgewählten osteuropäischen Staaten. Die Kapitel 8 und 9 nehmen die ökonomischen Interessen und Hoffnungen der Tschechoslowakei sowie Polens hinsichtlich des Aufbaus langfristiger Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China in den Blick. Dabei erwies sich vor allem das erste Joint Venture, die sino-polnische Handelsschifffahrtsgesellschaft Chipolbrok als beständig und erfolgreich. Margaret Gnoinska gelingt es überzeugend, die konkreten Aushandlungsprozesse im Detail nachzuzeichnen. Gleichzeitig verweist sie darauf, dass die entsprechenden Quellen auch einen Einblick in gänzlich andere Fragestellungen erlauben. So zählten Chipolbrok-Bedienstete zu den wenigen Ausländern, die selbst in der Kulturrevolution noch Reiseerlaubnisse erhielten, um den Gütertransport auch weiterhin abwickeln zu können. Somit lieferten sie beinahe auf Tagesbasis Augenzeugenberichte über die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Städten wie Tianjin oder Guangzhou.

Das abschließende Kapitel von Chen Tao fällt etwas aus dem Rahmen. Es beschäftigt sich mit den Bestrebungen der Nationalen Volksarmee, vom chinesischen Modell der Massenlinie zu lernen. Um das Verhältnis zwischen Offizieren und Soldaten zu verbessern, ordnete DDR-Verteidigungsminister Stoph 1959 an, dass Offiziere oder Offiziersanwärter nach chinesischem Modell für mehrere Wochen im Jahr entweder als einfache Soldaten oder als Bedienstete in Staatsunternehmen dienen sollten. Nur ein Jahr später wurde das Experiment vor dem Hintergrund des sino-sowjetischen Bruchs, aus Geldmangel sowie aufgrund interner Kritik abgebrochen. Was den Beitrag auszeichnet, ist die Tatsache, dass er sich nicht nur auf das jeweilige europäische Quellenmaterial stützt, sondern auch zahlreiche chinesische Archivquellen einbezieht und so den Aspekt der Interaktion und gegenseitigen Wahrnehmung noch präziser herausarbeiten kann. So war die chinesische Seite etwa alles andere als beeindruckt von den militärischen Kenntnissen und der Kampfmoral der DDR-Offiziere.

Der Beitrag deutet an, dass mit Einbeziehung des entsprechenden chinesischen Quellenmaterials den Zielen des Bandes nach Multiperspektivität und Dezentrierung noch besser hätte Rechnung getragen werden können. Wie die Herausgeber zu Recht festhalten, unterliegt der Archivzugang in der Volksrepublik China derzeit strengen Restriktionen. Dennoch ist hier gerade bei vermeintlich "nicht-sensiblen" Themen, die zumeist im Vordergrund dieses Bandes stehen, noch deutlich mehr Spielraum vorhanden. Insgesamt bietet der Band eine Reihe interessanter Denkanstöße, um die Komplexität der Beziehungen zwischen Europa und China auszuloten.

Daniel Leese