Trond Berg Eriksen / Håkon Harket / Einhart Lorenz: Judenhass. Die Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019, 687 S., 22 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-36743-8, EUR 50,00
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Wie lässt sich die Geschichte eines über 2000 Jahre bestehenden Ressentiments schreiben? Wie lässt sich die Geschichte des Judenhasses umfassend darstellen? Die Bücher darüber fokussieren in der Regel auf einen bestimmten Zeitraum. Die meisten Überblickswerke legen den Schwerpunkt auf die Entwicklung des modernen Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert und handeln die vorherigen Epochen eher kursorisch ab.
Die norwegischen Historiker, Håkon Harket, Einhart Lorenz und Trond Berg Eriksen wählen in ihrem Buch "Judenhass. Die Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart" einen anderen Weg. Die drei Wissenschaftler, die bis zu ihrer Emeritierung in Oslo an Universitäten lehrten, diskutieren die Genese der Judenfeindschaft ausführlich über den gesamten Zeitraum. Dementsprechend umfangreich ist ihr Werk.
Das gut 600 Seiten umfassende Buch teilt sich in 32 Kapitel zwischen zehn und 30 Seiten, die jeweils von einem der Verfasser geschrieben wurden. Die norwegische Originalausgabe erschien bereits 2005. Der ansteigende Antisemitismus der letzten Jahre und die damit aktuelle Brisanz der Thematik dürften den Verlag bewogen haben, das Buch 2019 über ein Jahrzehnt nach dem ursprünglichen Erscheinungsdatum von Daniela Stilzebach übersetzen zu lassen. Teilweise wird diese zeitliche Diskrepanz in den Buchkapiteln über die aktuelle Situation deutlich. Die Referenzen dort wurden nur teilweise aktualisiert und bilden vor allem die Debatten der frühen 2000er Jahre ab. Dieses Manko fällt aber nur leicht ins Gewicht, da die Konfliktlinien gleichgeblieben sind. Vielmehr beziehen die Autoren gerade auch hinsichtlich der gegenwärtigen Lage klar Position, ohne die Ambiguitäten auszublenden.
Im Abschlusskapitel über den "neuen Antisemitismus" machen sie zwei Fixpunkte aus: Einerseits die Feindschaft gegen den jüdischen Staat Israel und andererseits den Revisionismus, die Leugnung des Holocaust. In beiden Aspekten würden die herkömmlichen politischen Grenzziehungen verwischt. So zeigen die Autoren anhand der Auseinandersetzung zwischen dem Holocaustleugner David Irving und der Historikerin Deborah Lipstadt sowie anhand des französischen Negationisten Robert Faurisson, wie rechte Ideologen den Völkermord leugnen. Linke Theoretiker gingen in der Regel nicht so weit, das historische Geschehen gänzlich zu bestreiten, beklagten allerdings seine politische Instrumentalisierung durch Israel oder jüdische Gemeinden. Auf diese Weise argumentiere etwa Norman Finkelstein in seinem umstrittenen Buch "Die Holocaust-Industrie" [1]. Noch erschreckender zeige sich die neue Form des Antisemitismus, der nicht nur eine Rückkehr bisheriger antijüdischer Stereotype sei, bei postkolonialen Linken. Bereits seit dem Sechstagekrieg 1967 sei der Antizionismus immer stärker zu einer wichtigen Plattform geworden, um judenfeindliche Ressentiments zu artikulieren. Die UN-Resolution 1975, die den Zionismus als rassistisch verurteilte, sei ein weiterer Schritt in diese Richtung gewesen. Diese Feststellung bedeute nicht, dass jeder Antizionismus automatisch antisemitisch sei, aber die Grenze hin zu offenen Judenfeindschaft würden die Antizionisten allzu häufig überschreiten. So riefen beispielsweise antiisraelische Aktivisten bei der antirassistischen UN-Konferenz 2000 im südafrikanischen Durban bei einer Demonstration "One Jew, One bullet!" Die Autoren kommentieren diesen Vorfall deutlich: "Der Antirassismus war antisemitisch geworden" (568).
Die antijüdischen Ausschreitungen im Zuge der Eskalation des Nahostkonflikts in ganz Europa in den frühen 2000er-Jahren seien ein weiterer Beleg für die Vehemenz des neuen Antisemitismus und seiner Präsenz in gegensätzlichen politischen Lagern von links über rechts bis hin zu den Islamisten.
Ohnehin erlebe die Judenfeindschaft in den muslimischen Ländern seit einiger Zeit starken Auftrieb, obwohl die Abneigung gegen Juden dort traditionell viel geringer gewesen sei als in den christlichen Gesellschaften Europas. Mittlerweile reproduzierten sie jedoch klassische Topoi des Antisemitismus von dem Vorwurf der Brunnenvergiftung bis zu Verschwörungsmythen.
Aufgrund der Langlebigkeit, der Wandlungsfähigkeit und seiner Verbreitung müsse der neue Antisemitismus, wie die Verfasser fordern, "im Namen der Wahrhaftigkeit [...] als das identifiziert werden, was er ist. Ob er unter der Flagge des Christentums, des Islam, des Antizionismus oder des Antirassismus in das 21. Jahrhundert hineinsegelt, er muss bei seinem richtigen Namen genannt werden" (590). Dieser Name sei Judenhass. Der deutliche Appell der Autoren zur aktuellen Situation wiederum sei die Schlussfolgerung aus der 2000-jährigen Geschichte der Judenfeindschaft, die das Buch darlegt.
Die Hunderte von Seiten können hier nur stichwortartig wiedergegeben werden. Beginnend in der Antike und dem Gegensatz zwischen Mono- und Polytheismus sowie dem jüdischen Leben in der Diaspora schildern die Verfasser anschließend den Aufstieg des Christentums mit seinen antijudaistischen Stereotypen. Diese Ressentiments nahmen während der Kreuzzüge und der Pest weiter zu. Sie handeln die Einrichtung von Ghettos ebenso ab wie die ersten Formen der rassistischen Judenfeindschaft im mittelalterlichen Spanien, die auf die Reinheit des Blutes zielte. Martin Luther ist ebenso ein Thema wie Oliver Cromwell, und immer wieder führen die Autoren literarische Beispiele von William Shakespeare bis hin zu skandinavischen Autoren an. Die Situation in Skandinavien, vor allem in Dänemark und Norwegen, vom Mittelalter bis zur Lage während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zieht sich durch das Buch.
Dass politische und wirtschaftliche Affären den Hass gegen Juden regelmäßig anheizten, legen sie anhand der Damaskusaffäre 1840, der Dreyfus-Affäre und des Panamaskandals in Paris im späten 19. Jahrhundert dar. Frankreich war seinerzeit das Zentrum des Antisemitismus in (West-)Europa, bis das Land mit der Entstehung des modernen Antisemitismus von den deutschsprachigen Regionen abgelöst wurde.
Die jüdischen Gegenreaktionen von der versuchten Assimilation bis zur jüdischen Selbstbestimmung, dem Zionismus, diskutieren sie genauso wie die Lage der Juden in Osteuropa. Das breite Spektrum reicht weiter von den berüchtigten "Protokollen der Weisen von Zion" im frühen 20. Jahrhundert bis hin zur Situation jüdischen Lebens in den realsozialistischen Staaten nach 1945.
Der Herausforderung, diese Themenvielfalt abzudecken, stellen sich die Verfasser auf beachtliche Weise. Es gelingt ihnen einerseits die großen Linien des Judenhasses herauszuarbeiten, ohne auf wichtige historische Ereignisse oder notwendige Details zu verzichten. Das Buch ist außerdem nicht mit Fußnoten überladen, wodurch es angenehm zu lesen ist, stellt aber durchaus die wichtigsten historischen Forschungskontroversen dar.
Die Autoren zeigen auf, dass sich der Judenhass in den Jahrtausenden weitgehend unabhängig vom realen Verhalten der Juden (weiter-)entwickelte. Er beruhte seit jeher vor allem auf Projektionen der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft. Die Beschäftigung damit bietet folglich weniger Aufschluss über die Juden als über den Umgang von Nicht-Juden mit ihnen. Dass dieser Umgang ein Gradmesser für die Zivilisiertheit einer Gesellschaft bildet, machen Harket, Lorenz und Eriksen in eingängiger Weise deutlich.
Anmerkung:
[1] Norman G. Finkelstein: Die Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird, 3. Aufl., München 2001.
Sebastian Voigt