Miltiades B. Hatzopoulos: Ancient Macedonia (= Trends in Classics - Key Perspectives on Classical Research; Vol. 1), Berlin: De Gruyter 2021, 254 S., 4 Farbabb., ISBN 978-3-11-071864-5, EUR 24,95
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Detlev Kreikenbom / Karl-Uwe Mahler / Patrick Schollmeyer u.a. (Hgg.): Augustus - Der Blick von außen. Die Wahrnehmung des Kaisers in den Provinzen des Reiches und in den Nachbarstaaten. Akten der internationalen Tagung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom 12. bis 14. Oktober 2006, Wiesbaden: Harrassowitz 2008
Miltiades Hatzopoulos, 1944 in Athen geboren, hat die moderne Erforschung Makedoniens von Anfang an begleitet und mitbestimmt. Seine unzähligen Bücher und Aufsätze [1] verbinden den Strang der Makedonienforschung, der vom historisch-geographischen Ansatz Nicholas Hammonds ausgeht, mit dem vom Interesse an Polybios herrührenden in der Tradition Frank Walbanks und nutzen die Möglichkeiten, die neue Inschriftenfunde bieten, dieser Jungbrunnen der Altertumswissenschaft. Von Beginn der modernen Makedonienforschung vor etwa 70 Jahren an war das Gelände ideologisch vermint. So tat es not (und tut es immer noch), sich nicht nur als skrupulöser Forscher hervorzutun, sondern ebenso als streitbarer Kämpfer. Letzterer Rolle entspringt das anzuzeigende Buch.
Es würde viel Platz brauchen aufzulisten, was das unter dem zweifelhaften Reihentitel "Trends in Classics" erschienene schmale Werk mit dem unscheinbaren und fast anmaßenden Titel "Ancient Macedonia" alles nicht ist. Lediglich um ein naheliegendes Fehlverständnis auszuräumen: es handelt sich vor allem nicht um einen Überblick, eine "kurze Geschichte Makedoniens", ein Handbuch o.ä. [2] Laut eigener Aussage des Autors ist das Buch ein "critical reappraisal of research on Macedon" anhand ausgewählter Themen von allgemeinem Interesse. Man sollte die Gattung, der der Band zuzurechnen ist, also wohl als Forschungsbericht bezeichnen, auch wenn Forschungsberichte für gewöhnlich selten Buchumfang annehmen. In der Einleitung erklärt Hatzopoulos weiterhin, warum der Band die archaische, klassische und hellenistische Zeit bis zur römischen Eroberung behandle, die Zeit als römisches Protektorat und römische Provinz jedoch ausschließe. Zudem arbeitet er hier die konstitutiven Besonderheiten des von den Argeaden geschaffenen makedonischen Staats heraus und erläutert die ganz eigentümliche Kombination von archaischen und modernen Elementen, die ihn ausmachten.
Der Band besteht vor allem aus drei Hauptkapiteln: "The Land: Where was Macedonia?", "Who were the Macedonians", und "Personalities", gefolgt von einem Appendix "Were the Macedonians visited by heaven-sent madness" und einer kurzen "Conclusion". Der Anhang besteht aus wenigen Abbildungen, einem Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur und einem hervorragenden und beispielhaft aufgebauten Index, dessen Umfang von 33 Seiten im Verhältnis zu 178 Textseiten allein ihn schon zu einem integralen Bestandteil des Werks macht und die Funktion, Forschungsgeschichte nachvollziehbar zu machen, ganz wesentlich unterstützt.
Forschungsgeschichte ist keine Fortschrittsgeschichte. Wäre dem so, dann würde das jeweils neueste wissenschaftliche Produkt zu einem Thema das einzige sein, das man bräuchte. Im Fall der Erforschung Makedoniens sehen wir beispielhaft und wie in einem Brennglas, wie sich wissenschaftliche Erkenntnis vollzieht, da man im Grunde erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des anschließenden griechischen Bürgerkrieges Makedonien vor Ort erforschen und über Spekulationen anhand von Herodot und Thukydides hinauskommen kann. Dabei prallen dann die unterschiedlichsten Voreingenommenheiten und politischen Agenden aufeinander, und schnell bilden sich "wissenschaftliche" Fronten, die, wie Hatzopoulos zeigt, im Grunde unauflösbar sind. In dem Band geht es also auch um Erkenntnistheoretisches, wenn auch nicht im Vordergrund.
Im Vordergrund beschäftigt sich das geographische Kapitel mit der Schwierigkeit zu bestimmen, wo Makedonien eigentlich sei. Beginnend mit dem Beispiel der Entdeckung und Identifizierung der beiden Hauptstädte Aigai und Pella folgen Erörterungen zur Art der makedonischen Expansion und zur Gliederung des makedonischen Herrschaftsbereichs unter Philipp II. Hatzopoulos komprimiert hier zum einen, was er anderenorts ausführlicher geschrieben hat, zum anderen verfolgt er einige Sonderfälle makedonisch beherrschten Territoriums (Paionien, Perrhaibien, Magnesia, Tymphaia, Paravia, Atintania, Derriopos), die sich nicht in ein Schema fügen. Das Bevölkerungs- und Institutionenkapitel zeigt anhand von Selbstbezeichnungen, Sprache, Kulten, Gebräuchen und Institutionen, wie und warum besonders über die Frage, wie sich die Makedonen in die Reihe der griechischen Stämme und Völker eingliedern lassen, heftigste Kontroversen ausgebrochen sind und sich die Lager hier völlig unversöhnlich gegenüberstehen, einschließlich der paradoxen Diskussion darüber, ob die Makedonen überhaupt Griechen seien. Während es dann im Persönlichkeitenkapitel um kontroverse Fragen zu Philipp II. und Alexander III. geht, vor allem um die beiden Fragen, wer im Grab II in Aigai/Vergina bestattet liege und wann sich Alexander III. entschlossen habe, zum Nachfolger der achämenidischen Könige zu werden, dient der Appendix zu einer Auseinandersetzung mit Polybios und dem, was er an den Makedonen alles nicht verstanden habe. Hier bekräftigt Hatzopoulos seine Position, die Makedonien als Bundesstaat mit einem König statt einer Bundesversammlung an der Spitze sehen will.
Hatzopoulos ist Partei in den Forschungs- und Streitprozessen, die das Buch beschreibt. Wenn Ernst Badian und Eugene Borza die Gegner sind, dann werden keine Gefangenen gemacht, und das Ganze liest sich bisweilen sogar durchaus vergnüglich. [3] Bei den meisten der behandelten Kolleginnen und Kollegen, mit denen ja Hatzopoulos durchweg persönlich bekannt sein dürfte, geht es allerdings nicht ins Persönliche, sondern die großen Kontroversen stehen im Mittelpunkt, die zu den gänzlich verschiedenen Deutungen führen. Insbesondere das Unterkapitel zu den Institutionen ist ein Lehrstück darüber, was es anrichten kann, wenn man die Inschriften nicht angemessen beachtet.
Bleibt schließlich die Frage, an wen sich das Buch richtet. Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, die Abrechnung eines verdienten Forschers mit seinen Gegnern gehe nur ihn selbst und diese Gegner etwas an. Aber bei aller gnadenlosen Brutalität dem Badian-Green-Borza-Komplex gegenüber ist das Buch doch auch ein feines und subtiles Lehrstück über Funktion und Stellenwert altertumswissenschaftlicher Forschung und Methode. Natürlich verficht Hatzopoulos seine Positionen, das vermeidet die in von Unparteiischen geschriebenen Forschungsberichten fast immer zum Einschlafen zwingende Blutarmut. Aber ganz abgesehen davon, ob man diese Positionen nun teilen mag oder nicht, wünscht man dem Band nicht nur an Makedonien interessierte Leser.
Anmerkungen:
[1] Einige wichtige liegen jetzt gesammelt vor; der Titel nimmt die drei Quellen auf, aus denen sich die wissenschaftliche Produktivität Hatzopoulos' speist: Miltiade B. Hatzopoulos: Découvrir la Macédoine antique: le terrain, les stèles, l'histoire, Paris 2016.
[2] Etwas Derartiges hat der Autor bereits im Jahr 2006 mit der vorzüglichen kleinen Monographie "La Macédoine: Géographie historique - Langue - Cultes et croyances - Institutions" vorgelegt, die unverständlicherweise noch nicht in Übersetzungen vorliegt.
[3] Wem Badian und Borza als Kommentatoren und Rezensenten ihrer Kollegen vertraut sind, dem ist klar: es trifft nicht die falschen.
Frank Daubner