Noel E. Lenski / Catherine M. Cameron (eds.): What Is a Slave Society? The Practice of Slavery in Global Perspective, Cambridge: Cambridge University Press 2018, XVII + 508 S., ISBN 978-1-107-14489-7, USD 135,00
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Géza Dávid / Pál Foder (eds.): Ransom Slavery Along the Ottoman Borders. Early Fifteenth - Early Eighteenth Centuries, Leiden / Boston: Brill 2007
Mario Klarer (Hg.): Verschleppt, Verkauft, Versklavt. Deutschsprachige Sklavenberichte aus Nordafrika (1550-1800). Edition und Kommentar, Wien: Böhlau 2019
Die globalgeschichtlich orientierte Sklavereiforschung steckt zurzeit in einer Sackgasse. Zum einen können die bisher vorgeschlagenen Definitionen des semantisch stark aufgeladenen Begriffes "Sklaverei" nicht mehr befriedigen. Zum anderen fehlt für den Vergleich von Gesellschaften, in denen das Phänomen der Sklaverei eine Rolle gespielt hat (und spielt), ein wirklich überzeugendes Tertium comparationis. Einer der wichtigsten Versuche, Vergleichskriterien zu entwickeln, stammt von dem amerikanischen Althistoriker Moses Finley. In mehreren Arbeiten, die von einem 1968 publizierten Aufsatz für die Encyclopedia of World Sociology bis hin zu seiner großen Monography "Ancient Slavery and Modern Ideology" (1983) reichen, hat er ein Modell entwickelt, in dem er "Sklavengesellschaften" (slave societies) von "Gesellschaften mit Sklaven" (societies with slaves) unterscheidet. In einer "Sklavengesellschaft" seien, so Finley, mindestens 20 Prozent der Bevölkerung versklavt. Zudem spielten sie die Hauptrolle bei der Produktion von wirtschaftlichem Überschuss. Schließlich müssten Sklaven in einer Gesellschaft wichtig genug sein, um einen nachhaltigen kulturellen Einfluss ausüben zu können. Insgesamt, so lautet bisher die einhellige Forschungsmeinung, erfüllten nur fünf (westliche) Gesellschaften diese Kriterien: das antike Griechenland und Rom, das moderne Brasilien, die Karibik und der Süden der Vereinigten Staaten.
Bemerkenswerterweise ist dieses - im Grunde recht schlichte - Modell in der Folgezeit von vielen ForscherInnen übernommen worden und hat Eingang in zahlreiche Standardwerke gefunden. 2013 haben dann der Altphilologe und Historiker Noel E. Lenski und die Anthropologie Cathrine M. Cameron diese weitgehend unkritische Rezeption der Finleyschen Thesen zum Ausgangspunkt für einen Workshop genommen, den sie unter dem Titel "What Is a Slave Society? An International Conference on the Nature of Slavery as a Global Phenomenon" an der University of Boulder, Colorado durchführten und der die Grundlage für den vorliegenden Sammelband bildet. Alle KollegInnen mussten dabei in ihren Fallstudien die Frage beantworten, ob und wenn ja, warum sie Finleys Modell immer noch nützlich finden. Das ist sehr geschickt, denn auf diese Weise erhält der Band eine Kohärenz, die man in ähnlichen Publikationen häufig vermisst. Um die Vortragenden (und dann später die BeiträgerInnen) darüber hinaus zum Nachdenken anzuregen, hat Lenski zusätzlich einige grundlegende Überlegungen formuliert. ("Framing the Question: What Is a Slave Society?", 15-60) Lenski geht vor allem auf zwei seiner Meinung nach äußert problematische Bereiche ein: einerseits seien die Annahmen von Finley ausgesprochen ethnozentrisch, andererseits verkürze ein binäres Modell auf vollkommen unzulässige Weise die große Vielfalt menschlicher Gemeinschaften. Zur Entkräftigung der Behauptung, dass es allein fünf "slave societies" in der Geschichte gegeben habe, macht sich Lenski auf die Suche nach weiteren Gesellschaften, die die notwendigen Kriterien erfüllen. Es gelingt ihm (durchaus plausibel), fünf weiter Fälle zu identifizieren: Karthago, die Sarmaten, die indigenen Gesellschaften an der nordwestlichen Küste Amerikas, das Sokoto-Kalifat und das Königreich Dahomey.
Im Anschluss an diesen Abschnitt äußert Lenski weitere grundlegende Bedenken gegenüber der weiteren Verwendung von Finleys Modell. Es betone letztlich viel zu sehr Ähnlichkeiten von Gesellschaften und blende essentielle Unterschiede einfach aus. Ferner basiere es auf Überlegungen, die allein westliche politische, gesellschaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Strukturen im Blick hätten. Hinzu komme, dass an keiner Stelle genau erklärt werde, was man eigentlich unter "Gesellschaft" verstehen möchte. Lenski will aber nicht nur kritisieren. Er entwirft aus diesem Grund ein eigenes Modell. In einem ersten Schritt, und damit kommen wir auf das erste Dilemma der Sklavereiforschung zurück, entwickelt er aus den bisher vorgelegten Versuchen, "Sklaverei" konzeptionell zu fassen, eine, wie ich finde, sehr überzeugende neue Definition: "Slavery is the enduring, violent domination of natally alienated and inherently dishonored individuals (slaves) that are controlled by owners (masters) who are permitted in their social contexts to use and enjoy, sell and exchange, and abuse and destroy them as property." (51) Lenskis Idee ist es, "Sklavengesellschaften" auf einer Skala zu verorten, die misst, bis zu welchem Grad die einzelnen Punkte in dem durch die Definition vorgegebenen Ideal erreicht werden.
Ich bin nicht sicher, ob das von Lenski skizzierte Modell der Weisheit letzter Schluss ist, zumal es sich nur auf die "Sklavengesellschaften" kapriziert und die "Gesellschaften mit Sklaven" unberücksichtigt lässt. Man könnte auch überlegen, ob nicht generell starke asymmetrische Abhängigkeiten den Vergleichspunkt bilden könnten. Damit könnten auch Phänomene wie Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft integriert werden. Aber Lenskis Überlegungen stellen auf jeden Fall eine sehr bedenkenswerte Alternative zu Finleys am Ende doch sehr schematischen und vereinfachenden Argumentation dar. Es ist sehr sympatisch, dass Lenski und Cameron dieses neue Modell keinem vorschreiben wollen. Eher verstehen sie es als eine Einladung zu "inquiry, discussion, and potential dissent" (2).
Interessanterweise fallen die Antworten, die die AutorInnen des Sammelbandes auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit der binären Aufteilung von Gesellschaften in "slave societies" einerseits und "societies with slaves" andererseits geben, recht unterschiedlich aus. Tendenziell tun sich ForscherInnen, die zu nicht-europäischen Gesellschaften arbeiten (Nord- und Lateinamerika vor 1492, Korea, Islamische Welt, Teile Afrikas, Südostasien), etwas schwerer damit, Finleys eurozentrisch geprägten Kategorien bedenkenlos zu übernehmen. Grundsätzlich ist es jedoch ein wenig bedauerlich, dass eigentlich alle BeiträgerInnen keinerlei Bezug auf Lenskis Neuansatz nehmen. Zudem entwerfen einige AutorInnen eigene neue Modelle. Diese Überlegungen sind spannend zu lesen und von akademischem Nutzen, fallen aber somit ein wenig aus dem Rahmen von Lenskis und Camerons methodischen Vorüberlegungen.
Die einzelnen Artikel, die hier nicht alle aufgezählt werden sollen, decken ein breites Spektrum von Gesellschaften ab. Dabei handelt es sich um die gerade genannten Fälle sowie um die fünf "Sklavengesellschaften", die allerdings von Catherine Cameron noch um einige interessante Beispiele ergänzt werden ("The Nature of Slavery in Small-Scale Societies", 151-158). Die Aufteilung der Fallstudien ("Acient and Late Antique Western Societies", "Non-Western Small-Scale Societies", "Modern Western Societies" und "Non-Western State Societies") mag auf den ersten Blick plausibel klingen, doch scheint mir dabei die auffällige Pfadabhängigkeit der beiden monotheistischen Kulturbereiche Islam und Christentum, die aus der Spätantike heraus entstanden sind, zu kurz zu kommen.
Alles in allem arbeitet dieser Sammelband ausgezeichnet die Notwendigkeit einer Neubewertung der Dichotomie von "Sklavengesellschaften" und "Gesellschaften mit Sklaven" heraus. Das Buch insgesamt, das durch die kluge Einleitung von Lenski konzeptionell zusammengehalten wird, aber auch die einzelnen Artikel stoßen nicht nur eine wichtige und zeitgemäße Debatte in der Sklavereiforschung an. Sie sind auch exzellente Mikrostudien für verschiedene Kulturen aus unterschiedlichen Epochen. Die große Breite an Fallbeispielen macht diesen Band auch zu einem unschätzbaren Nachschlagewerk für diejenigen Fachleute, die sich dafür interessieren, interdisziplinär zu vergleichen.
Jeannine Bischoff