Jürgen Bärsch: Liturgie im Prozess. Studien zur Geschichte des religiösen Lebens, Münster: Aschendorff 2019, 554 S., ISBN 978-3-402-24587-3, EUR 49,00
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Die Liturgie der Kirche ist nicht starr und unwandelbar, sondern hat sich in allen Epochen der Kirchengeschichte aus verschiedenen Gründen transformiert. Diese Einsicht und Überzeugung des Eichstätter Liturgiewissenschaftlers Jürgen Bärsch, dass eben "Liturgie im Prozess" sei, zieht sich wie ein roter Faden durch seine zahlreichen Publikationen. Von dieser Beobachtung geleitet, haben die drei Herausgeber anlässlich des 60. Geburtstages ihres akademischen Lehrers 20 Aufsätze und Vorträge zusammengetragen, die diese Erkenntnis liturgiehistorischer Forschung exemplarisch und zugleich in herausragender Weise demonstrieren sollen.
Im Folgenden können nicht alle Aufsätze detailliert besprochen werden, weshalb - um die epochenübergreifende Anlage des Bandes abzubilden - je ein Aufsatz der insgesamt fünf Kapitel näher ausgeführt werden soll.
Das erste Kapitel stellt in drei Aufsätzen "Wege der Liturgiegeschichtsforschung" (13-115) vor und hebt sich von den vier dezidiert liturgiehistorischen Teilen durch den programmatischen Charakter der Aufsätze ab. Bärschs Überlegungen aus dem Jahr 2017 zu "Liturgiegeschichte im Wandel. Bemerkungen zu Aufgaben und Wegen der historischen Erforschung des Gottesdienstes in der deutschsprachigen katholischen Liturgiewissenschaft" (13-31) zeichnet zum einen die Entwicklung liturgiehistorischer Forschung vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nach. Dabei kann er deutlich zeigen, dass die historische Erforschung der Liturgie durch die Liturgiewissenschaft selbst in einem Prozess war und ist, bei dem nicht nur neue Quellen, sondern auch neue Methoden herangezogen wurden bzw. werden. Zum anderen fordert er seine eigene Disziplin mit Nachdruck dazu auf, sich im Diskurs mit den benachbarten Disziplinen sowohl aktiv einzubringen und zu positionieren als auch die eigenen Methoden von diesem interdisziplinären Dialog zu überdenken bzw. weiterzuentwickeln. Diese Forderung bleibt jedoch unkonkret, weshalb es begrüßenswert gewesen wäre, wenn er zu diesem wichtigen und richtigen Anliegen einige (aktuelle) Methoden und Theorien der Geschichtswissenschaft als konkrete Perspektive für die liturgiehistorische Forschung vorgeschlagen hätte. Die verschiedenen turns (material turn, spatial turn etc.) sowie die große Debatten der Global History, der Postcolonial oder Gender Studies der vergangenen Jahre können nach Meinung des Rezensenten auch für die Liturgiewissenschaft ergebnisreiche Forschungsansätze darstellen, um sowohl bekannte als auch neu gehobene Quellen zu analysieren.
Ein Beispiel, dass Bärsch - bewusst oder unbewusst - mit solchen Ansätzen operiert, wird im zweiten Kapitel geliefert, wo sich sechs Aufsätze der "Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter" (117-247) widmen und vor allem sein 2018 gehaltener Vortrag "Farbige Paramente. Textilien und ihre farbliche Gestaltung in der Liturgie des Mittelalters" (159-183) Aspekte des material turn thematisiert. Die im Laufe des liturgischen Jahres in der Kirche der Germania sacra verwendeten Farben werden in ihrer Symbolik erschlossen. Bärsch verweist dabei resümierend auf die Heterogenität der Paramentenformen und -farben, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausbildeten und - dies kann wohl ergänzt werden - die Pluralität und Diversität der mittelalterlichen Frömmigkeit und Liturgie abbilden.
Das "Gottesdienstliche Leben in der Barockzeit" (249-339) steht im dritten Kapitel mit insgesamt vier Aufsätzen im Fokus. Bärschs umfangreiches Wissen in diesem Bereich wird beispielsweise anhand der Frage "Ritengenetik oder Kulturgeschichte? Prolegomena zur liturgiehistorischen Erforschung des barockzeitlichen Gottesdienstes" (249-273) deutlich. In diesem 2018 erstveröffentlichten Aufsatz untersucht Bärsch in einer "fragmentarische[n] Durchsicht" (266) Räume und soziale Gruppen der Liturgie zur Zeit der sogenannten Konfessionalisierung. Die kulturelle Prägung der Barockliturgie mit all ihren Dynamiken in der Entwicklung kirchlicher Riten, die Bärsch herausarbeitet, ist ein wichtiger Befund für aktuelle Debatten der Konfessionalisierungsforschung, die vor allem auch den vom Frankfurter Kirchenhistoriker Günther Wassilowsky entworfenen kulturwissenschaftlichen und symbolhistorischen Ansatz der "Katholischen Konfessionskultur" untermauert.
Ein zeitlicher Sprung erfolgt dann in Kapitel IV, in dem die Dynamik des Wandels anhand der "Liturgischen Erneuerung im 20. Jahrhundert" (341-452) veranschaulicht wird. Die Bedeutung der Liturgischen Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts als Aufbruch und Erneuerung der Kirche und ihres Gottesdienstes zu verstehen, verdeutlicht Bärsch in seinem 2015 veröffentlichten Beitrag anhand des Zitates des Zweiten Vatikanischen Konzils: "... ein Hindurchgehen des Heiligen Geistes durch seine Kirche" (341-352). Bärsch zeigt dabei, dass die liturgische Erneuerung im 20. Jahrhundert auch das römische Lehramt prägte und keineswegs - wie oftmals noch in der Forschungsliteratur anzutreffen - ein deutschsprachiges Reformereignis ist. Dass Liturgie gerade in Reformsituationen im Prozess ist, wird deutlich. Dieser Prozess ereignet sich, wie Bärsch historisch aufarbeitet, jedoch nie im luftleeren Raum, sondern schöpft aus den Quellen des benediktinischen Mönchtums und wird entschieden von den kirchlichen und gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst.
Der Sprung in die Gegenwart vollzieht sich dann im fünften und letzten Kapitel, das mit drei Aufsätzen die "Liturgiegeschichte im Interesse der Gegenwart" (453-546) behandelt. Gegenwärtige Praktiken des religiösen und gottesdienstlichen Lebens mit Blick auf die Geschichte kritisch zu prüfen und zu hinterfragen, sei Aufgabe der Liturgiewissenschaft. Dabei müsse besonders die Spannung "Zwischen Liturgie und »Volksfrömmigkeit«" (517-546) reflektiert werden, wie Bärsch am Beispiel der Heiligenverehrung in Mittelalter und Barockzeit ausführt. Seine historische Analyse der Heiligenverehrung durch die Jahrhunderte sowie seine Beobachtungen zu derselben in der Gegenwart machen eindrucksvoll deutlich, dass Liturgiewissenschaft Geschichte und Gegenwart in den Dialog bringen muss, um für die Zukunft gegebenenfalls einen Prozess des Wandels anzustoßen. Dass dies nur im verantworteten Rückgriff auf die Vergangenheit mit wissenschaftlicher Schlag- und Argumentationskraft gelingen kann, zeigt das évre des Eichstätter Liturgiewissenschaftlers in herausragender Weise.
Mit Blick auf die Nutzungs- und Rezeptionsfreundlichkeit ist positiv zu vermerken, dass die Herausgeber zu Beginn jedes Aufsatzes die Erstveröffentlichung des dann folgenden Beitrags benennen und nicht erst irgendwann am Ende des Bandes. Zudem verfügt der Band, was nur noch selten bei Festschriften der Fall ist, über ein Sachregister (547-554).
Die Herausgeber, die aus einer langen Publikationsliste wichtiger Aufsätze von Jürgen Bärsch auswählen konnten, haben eine konzeptionell stimmige Anthologie erstellt, die einen guten Überblick zu liturgiehistorischen Themen der verschiedenen Jahrhunderten und Epochen ermöglicht. Denjenigen, die in den Bereichen oder an den Schnittstellen von liturgie- und kirchenhistorischer Forschung arbeiten, sei stets ein Blick in die Publikationen Jürgens Bärsch empfohlen. Dass nun in einem Sammelband einige dieser wichtigen Forschungen thematisch klug gebündelt wurden, bleibt das Verdienst seiner Schüler Marco Benini, Florian Kluger und Benedikt Winkler.
Joachim Werz