Flavio Eichmann: Krieg und Revolution in der Karibik. Die Kleinen Antillen 1789-1815 (= Pariser Historische Studien; Bd. 112), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2019, 553 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-060585-0, EUR 54,95
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Die Kriege der Revolutions- und Napoleonzeit werden schon länger nicht mehr als exklusiv europäische Angelegenheit verstanden. Zumindest der Sklavenaufstand auf Haiti, die Abschaffung der Sklaverei im französischen Kolonialreich 1794 und ihre Wiedereinführung 1802 dürfen auch in Überblicksdarstellungen nicht fehlen. Trotz dieses bereits um die Jahrtausendwende erwachten Interesses an der globalen Dimension der Kriege zwischen 1792 und 1815, besteht zweifellos noch Forschungsbedarf. Während die Ereignisse auf Haiti umfangreich behandelt wurden, ist über die Entwicklungen in der unmittelbaren Nachbarschaft, den übrigen karibischen Besitzungen Frankreichs, weit weniger bekannt. Hier setzt die Dissertation von Flavio Eichmann an. Der Autor will zum einen über die lokalen Ereignisse (vor allem auf den französischen Hauptinseln Guadeloupe und Martinique) umfassend informieren. Zum anderen versteht er seine - auf eine beeindruckende Zahl von Quellen aus französischen und britischen Archiven gestützte - Studie auch als Beitrag zur Bewertung der Sklavenbefreiung im französischen Kolonialreich.
Im Zentrum der Darstellung stehen die diversen Konfliktlinien, welche die Gesellschaft auf den Kleinen Antillen durchzogen. Plantagenbesitzer verfolgten andere Interessen als die urbane Kaufmannschaft, die weiße Unterschicht grenzte sich von den "freien Farbigen" ab, diese distanzierten sich wiederum von den Sklaven (51-53). Im Zuge der Revolution kam zu diesen Differenzen noch eine ideologische Komponente hinzu: Die Pflanzer gaben sich royalistisch, die Kaufmannschaft republikanisch. Während der Revolutionskriege suchten die Pflanzer Schutz bei der britischen Regierung, weil sie sich davon wirtschaftliche Vorteile versprachen und hofften, dass sich die britische Regierung weniger in ihre Angelegenheiten einmischen würde als die französische. 1794 eroberten britische Truppen Guadeloupe und Martinique, was ihnen die internen Konflikte erleichterten.
Der folgende französische Gegenschlag stand im Zeichen der am 4. Februar 1794 dekretierten Abschaffung der Sklaverei im französischen Kolonialreich. Die Wurzeln der "Abolition" wurden lange "im freiheitlichen Gedankengut der Aufklärung und der Französischen Revolution" gesucht (141), was jedoch zunehmend bestritten wird. Auch Eichmann lehnt diese Lesart entschieden ab. Menschenrechte und Sklaverei seien für viele Zeitgenossen durchaus vereinbar gewesen. Die Abolition sei keinen ideologischen Überzeugungen, sondern "politischen Sachzwängen" geschuldet gewesen (142). Die republikanische Regierung habe kaum Möglichkeiten gehabt, Verstärkungen in die Karibik zu schicken und deshalb notgedrungen darauf gesetzt, die Sklaven durch ihre Befreiung als Soldaten zu nutzen (148). Außerdem hatte die Abolition laut Eichmann eine "bedeutende kolonialherrschaftliche Stoßrichtung": Sie sollte die Pflanzer für ihren "Verrat" bestrafen und als Machtfaktor ausschalten. Letztlich habe es sich dabei schlicht um ein "Herrschaftsinstrument" gehandelt, mit dem Paris die Kontrolle über seine Kolonien zurückgewinnen wollte (149). Zivilkommissar Victor Hugues gelang es mithilfe "befreiter" Sklaven tatsächlich, Guadeloupe zurückzuerobern. Die schwarze Bevölkerung schloss sich jedoch keineswegs begeistert der republikanischen Sache an, sondern musste zwangsrekrutiert werden. Für den Militärdienst ungeeignete Personen hatten "unter Androhung der Todesstrafe" auf den Plantagen Zwangsarbeit zu leisten (160). Bei diesem "Zwangsarbeitsregime" habe es sich um eine "versteckte Sklaverei" gehandelt (190).
Vor diesem Hintergrund konnten Versuche der Republikaner auf Guadeloupe, die Sklaven im britischen Kolonialreich bzw. auf dem britisch besetzten Martinique für profranzösische Aufstände zu begeistern, nur begrenzte Wirkung entfalten. Auch das Ziel, durch die Enteignung der Sklavenhalter die zentralstaatliche Kontrolle über Guadeloupe zurückzugewinnen, scheiterte. Die Plantagenökonomie verfiel und die Insel wurde abhängig von den Einnahmen des antibritischen Kaperkrieges und entwickelte sich zu einem "faktisch autonomen Korsarenstaat" (301). Dieser nahm auf die Interessen des Mutterlandes (etwa Konflikte mit neutralen Mächten zu vermeiden) keine Rücksicht.
Laut Eichmann wollte Napoleon diesem Kontrollverlust entgegenwirken, indem er nach dem Friedensschluss mit Großbritannien 1802 eine diametral entgegengesetzte Kolonialpolitik betrieb: Um Guadeloupe von einem Korsarenstaat wieder in eine Plantagenökonomie zu verwandeln, bemühte er sich um eine "vertrauensbildende Politik gegenüber den Pflanzern" (317) und führte die Sklaverei wieder ein. Diesen Schritt sieht Eichmann - genauso wie die vorausgegangene Abolition - als "herrschaftspolitisches Instrument", mit dem die "Loyalität der kolonialen Eliten" gesichert und die "Kontrolle der Metropole" wiederhergestellt werden sollte (329).
Napoleons Werben um die Sklavenhalter war jedoch zum Scheitern verurteilt, weil diese kompromisslos nach "weitgehender politischer Autonomie und Selbstbestimmung" (356) trachteten, wohingegen der Erste Konsul die zentralstaatliche Kontrolle intensivieren wollte. Seine Politik schwächte die Stellung des "Mutterlandes" in den Kolonien sogar zusätzlich, weil sie die - ohnehin nur partielle - Loyalität seitens der schwarzen Bevölkerung durch brutale Repression zerstörte. 1808/09 konnten britische Truppen daher Guadeloupe und Martinique erneut erobern, ohne dass Pflanzer oder schwarze Nationalgardisten größeren Widerstand leisteten.
Trotzdem wurde 1815 der von Elba zurückgekehrte Kaiser auch in der Karibik zum Hoffnungsträger der mit der restaurierten Bourbonenmonarchie Unzufriedenen. Ludwig XVIII. privilegierte die Pflanzer kompromisslos, wogegen sich einmal mehr die Kaufleute auflehnten. Unterstützt von unzufriedenen Militärs zwangen sie den Gouverneur Guadeloupes, sich zu Napoleon zu bekennen. Viele freie Schwarze und Sklaven unterstützten die bonapartistische Sache, weil sie sich von Napoleons Rückkehr eine "unmittelbar bevorstehende Verbesserung ihrer Situation" erhofften (497). Dies lag wohl daran, dass der Korse im März 1815 den Sklavenhandel im französischen Kolonialreich untersagt hatte. Eine "Wiederbelebung jakobinischer Kolonialpolitik" (sprich eine erneute Abschaffung der Sklaverei) habe jedoch für Napoleon nie zur Debatte gestanden (483). Im August 1815 machten britische Truppen der bonapartistischen Episode auf Guadeloupe ein Ende. Die "royalistischen Pflanzer" triumphierten und erhielten in den 1820er-Jahren von der Bourbonenmonarchie die "lange erhoffte politische Selbstverwaltung" (501).
Damit schließt sich der Kreis, schließlich war in Eichmanns Interpretation die "Reichweite des Staates" das eigentliche Konfliktthema in den Kleinen Antillen, nicht der Kampf für oder gegen die Sklaverei. Eventuell fällt die Darstellung in diesem Punkt zu einseitig aus. Die schwarze Bevölkerung erscheint vor allem als Spielball zynischer Machtinteressen. Dass ihr Schicksal der Revolutionsregierung von 1794 ebenso gleichgültig war wie Napoleon, arbeitet der Autor absolut überzeugend heraus. Aber das schließt nicht aus, Freigelassene und Sklaven als eigenständige Akteure stärker zu gewichten. Die künftige Forschung zu den Revolutionskriegen in der Karibik wird hier vielleicht die Akzente etwas anders setzen. Sie hat sich aber auf jeden Fall mit Eichmanns Standardwerk auseinanderzusetzen.
Sebastian Dörfler