Karen Hagemann / Donna Harsch / Friederike Brühöfener (eds.): Gendering Post-1945 German History. Entanglements, New York / Oxford: Berghahn Books 2019, XI + 395 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-1-78920-191-8, USD 130,00
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Der von den amerikanischen Historikerinnen Karen Hagemann, Donna Harsch und Friederike Brühöfener in englischer Sprache veröffentlichte Sammelband "Gendering post-1945 German History" beackert ein sehr spannendes, von der historischen Forschung aber bisher weitgehend vernachlässigtes Feld. Wie die Herausgeberinnen einleitend konstatieren, ist die deutsch-deutsche Geschichte zumeist "gender-blind" geschrieben worden und auch die Frauen- und Geschlechtergeschichte hat sich nur wenig mit der Systemkonkurrenz im geteilten Deutschland nach 1945 befasst. Dieser Forschungslücke nehmen sich die Herausgeberinnen erkenntnisgewinnend an. Wie im Untertitel "entanglements" bereits angedeutet, bildet Christoph Kleßmanns Ansatz der "asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte" sowohl den Ausgangspunkt als auch den Leitfaden des Bandes, der bestrebt ist, diesen für die hier unternommene Geschlechtergeschichte des Kalten Krieges fruchtbar zu machen. So stehen sinngemäß sowohl die Verflechtungen und Transfers als auch die Konvergenzen und Unterschiede zwischen den Geschlechterordnungen (Normen, Praktiken, Narrative) der beiden deutschen Staaten im Vordergrund der Betrachtung.
Besonders gelungen ist die Gesamtkonzeption des Bandes, der aus fünf Teilen und 16 Kapiteln besteht. Die ersten drei Kapitel (Teil 1) ordnen die darauffolgenden Beiträge (Teil 2 bis 5) konzeptionell und historiographisch ein und bieten somit einen geschlechtssensiblen Überblick über die einschlägigen Forschungsentwicklungen der letzten Jahrzehnte. Erwähnenswert ist außerdem der lobenswerte Umstand, dass die Forschungsarbeiten von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern in dieser Publikation besonders zur Geltung kommen.
Im ersten Abschnitt besprechen Karen Hagemann und Donna Harsch (Kapitel 1) die historische Randstellung von Frauen und deren alternative Protest- und Partizipationsformen in beiden politischen Systemen. Sie zeigen, wie die staatlichen Geschlechterpolitiken und insbesondere die differierende Auslegung von Geschlechtergleichheit - die aufoktroyierte Emanzipation in der DDR und das Leitbild der Hausfrauenehe in der Bundesrepublik - dem sozialistischen wie dem kapitalistischen Deutschland als Legitimationsbasis gegen den jeweils anderen Staat diente. Im Anschluss daran setzt sich Jennifer Evans mit der verflochtenen Sexualitätsgeschichte Ost- und Westdeutschlands auseinander (Kapitel 2). Sie legt ihrerseits dar, wie alltägliche Geschlechterverhältnisse, sexuelle Praktiken und queere Verhaltensweisen auch abseits normativer Moral- und Wertvorstellungen die Familien-, Bevölkerungs- und Sozialpolitik beider Staaten allmählich veränderten. Gängigen Interpretationen zum Trotz relativiert sie die Bedeutung der "sexuellen Revolution" der 68er und betrachtet sie lediglich als Beschleuniger eines Liberalisierungsprozesses, der schon in den 1950er Jahren einsetzte. Das veranlasst sie zum Appell, konventionelle Periodisierungen und Zäsuren geschlechtsbezogen zu überdenken. Erica Carter fokussiert ihren Beitrag (Kapitel 3) auf die Verflechtungen der Medien in der Bundesrepublik und der DDR. Der medialen Wirkmacht auf der Spur fragt sie nach den Geschlechtsstereotypen, die von Presse und Fernsehen konstruiert und vermittelt wurden. Zwar seien die Mediensysteme diametral verschieden gewesen, doch habe es in der deutsch-deutschen Medienlandschaft und -rezeption auch Resonanzen sowie Kontakt- und Grauzonen gegeben, in denen Medienartefakte grenzüberschreitend zirkulieren und die öffentlichen Geschlechterdiskurse prägen konnten.
Anhand von drei Fallstudien, dem Mythos der Trümmerfrauen (Leonie Treber), dem Ringen um das Bürgerliche Gesetzbuch (Alexandria Ruble) und dem Vergleich beider Gesundheitssysteme (Donna Harsch), verdeutlicht der zweite Teil (Kapitel 4 bis 6), wie sehr Geschlechtsstereotype die im Kalten Krieg aufeinander kollidierenden Ideologien durchdrangen und wie prägend Abgrenzungs- und Nachahmungseffekte für die Arbeits- und Gesundheitspolitiken in Ost- und Westdeutschland waren.
Der dritte Teil (Kapitel 7 bis 10) nimmt unterschiedliche zivilgesellschaftliche Ermächtigungskämpfe und -räume von Frauen unter die Lupe. Neben relativ "klassischen" Beiträgen zu den Frauen in der Autonomen Frauenbewegung (Sarah E. Summers) oder in basisdemokratischen Bewegungen (Belinda Davis), beleuchten zwei Beiträge auch weniger bekannte Widerstands- bzw. Selbstbehauptungspraktiken von Frauen gegen gesellschaftliche Vorurteile oder staatliche Willkür: Tiffany N. Florvil schildert etwa die feministisch-lesbischen, antirassistischen und transnationalen Ansprüche von afrodeutschen Feministinnen in der Bundesrepublik; Kathryn C. Julian hingegen betrachtet den "leisen Widerstand" von katholischen Nonnen gegen staatliche Interventionsmaßnahmen in der DDR. Alle Beiträge regen dezidiert dazu an, den Feminismus-Begriff weiter zu fassen und über den Tellerrand der Frauenbewegung hinaus auch andere zivilgesellschaftliche Protestformen von Frauen, etwa in Gewerkschaften, Parteien, Medien, Kirchen und sonstigen Organisation in den Blick zu nehmen.
Von geteilten patriarchalen Traditionen und heteronormativen Beharrungskräften in beiden Staaten zeugt der vierte Teil. Zum einen lotet jener die Defizite im politischen Umgang mit der häuslichen Gewalt aus (Jane Freeland), zum anderen untersucht er die Weimarer Kontinuitätslinien der Schwulenbewegung nach dem Krieg (Clayton J. Whisnant) und verweist auf die Diskriminierungen, denen sich Homosexuelle in der Bundeswehr auch nach deren Entkriminalisierung ausgesetzt sahen (Friederike Brühöfener).
Der sich mit den Medien befassende fünfte Teil beleuchtet im ersten Beitrag die Agency und die zonenübergreifenden Kooperationsmöglichkeiten von Journalistinnen in der unmittelbaren Nachkriegszeit (Deborah Barton). Die zwei letzten Beiträge (Jennifer Lynn und Brittany Lehman) befassen sich mit der Konstruktion von essentialisierten sexistischen und rassistischen Klischees in der Presse und zeigen, wie die medial transportierten Topoi der "modernen Frau" oder des "Orientalen" gesellschaftlich vorherrschende Geschlechtsnarrative forcierten.
Nicht alle Beiträge sind systematisch "verflochten", manche betrachten nur Westdeutschland. Das wird fairerweise aber gleich in der Einleitung konzediert, bedauert und mit dem Verweis auf empirisch noch zu eruierende Themenfelder verknüpft. Dennoch wird der Band seinem Anspruch, die gängige Historiographie zu erweitern und die Zeitgeschichte, in Anlehnung an Julia Paulus, Eva-Maria Silies und Kerstin Wolff (2012), als Geschlechtergeschichte zu fassen, völlig gerecht: Angewandt auf den Kalten Krieg zeigt er auf eindringliche Art und Weise, wie allgegenwärtig und wirkmächtig das Geschlecht als Ordnungskategorie in allen Bereichen des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens im geteilten Deutschland war. Mit seinem anregenden Ansatz, seiner analytisch prägnanten Form und den vielfältigen thematischen Schlaglichtern bietet er ein gut überschaubares und hochinteressantes Panorama der Zeit nach 1945.
Valérie Dubslaff