Philipp Heß: Ein deutscher Amerikaner. Der kosmopolitische Demokrat Hans Simons 1893-1972 (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts; Bd. 24), Göttingen: Wallstein 2018, 379 S., ISBN 978-3-8353-3004-7, EUR 38,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Joachim Detjen: Politische Erziehung als Wissenschaftsaufgabe. Das Verhältnis der Gründergeneration der deutschen Politikwissenschaft zur politischen Bildung, Baden-Baden: NOMOS 2016
Kari Palonen: Politics and Conceptual Histories. Rhetorical and Temporal Perspectives, Baden-Baden: NOMOS 2014
Stephan Schlak: Wilhelm Hennis. Szenen einer Ideengeschichte der Bundesrepublik, München: C.H.Beck 2008
Udo Wengst: Theodor Eschenburg. Biographie einer politischen Leitfigur 1904-1999, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015
Ulrich Baer / Amir Eshel (Hgg.): Hannah Arendt zwischen den Disziplinen, Göttingen: Wallstein 2014
Anliegen der 2016 von Philipp Heß an der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingereichten Dissertation ist es, Leben und Werk eines jener "stillen Lenker, Denker und Koordinatoren" (353) zur Geltung zu bringen, der zwar die (bundesrepublikanische) Geschichte nachhaltig prägte, jedoch "die großen Bühnen stets anderen überließ" (353) und dem die verdiente Würdigung bis dato nicht zuteilwurde. Die Rede ist von dem "Verwaltungsjuristen, Hochschullehre[r] und Bildungsmanage[r]" (7) Hans Simons.
In der Biografie des 1893 in Velbert im Bergischen Land geborenen und 1972 in Yonkers im US-Bundesstaat New York verstorbenen "deutschen Amerikaners" Simons sind "Wissenschaft, Philanthropie und Politik" (11f.) eng miteinander verflochten. In neun chronologisch sortierten und thematisch arrangierten Kapiteln schildert Heß das Leben Simons' in Deutschland (Kapitel I-IV) und den Vereinigten Staaten (Kapitel V-IX). Damit agiert der Verfasser der von Lutz Niethammer und Norbert Frei betreuten Dissertation als "persona non grata" (10), schließlich wollte Simons nicht zum Gegenstand historischer Forschung werden und hatte das Gros seiner persönlichen Unterlagen noch kurz vor seinem Tod vernichtet. Da Heß auf keinen zentralen Nachlass zurückgreifen kann, trägt er sein Quellenmaterial aus zahlreichen deutschen und amerikanischen Archiven zusammen. Er beschränkt sich hierbei nicht auf die Archivbestände der Institutionen, an denen beziehungsweise für die Simons tätig war, sondern zieht auch die Nachlässe von Weggefährten Simons wie Arnold Brecht, Hans Staudinger und Alvin Johnson heran. Zudem führt er Interviews, unter anderem mit Gerhard Simons, dem Sohn Hans Simons' aus erster Ehe.
Heß ist aus mindestens drei Gründen unbedingt darin zuzustimmen, dass die Lebensgeschichte Simons' geschrieben werden musste. Zunächst einmal ist sie das Zeugnis einer "bemerkenswerten Selbstbefreiung aus den politischen Fesseln des eigenen Milieus" (350). Simons wuchs in einem "konservativ-bildungsbürgerlichen, wohlhabenden und weltgewandten Elternhaus" (13) auf. Die Gewalterfahrungen des Ersten Weltkriegs führten dazu, dass er sich "von den ihm anerzogenen Tugenden des stupiden preußischen Befehlsempfängers [emanzipierte]" (18), der Sozialdemokratie zuwandte und zu einem "überzeugten Demokraten" (22) wurde. Zwar empfand auch er die Friedensverhandlungen von Versailles, die er als Generalsekretär der Deutschen Liga für den Völkerbund und als persönlicher Sekretär seines Vaters, des späteren Reichsaußenministers und Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons, "aus nächster Nähe" (28) verfolgte, als "herbe Niederlage" (30) und übte scharfe Kritik an der Struktur des Völkerbundes. Dessen Idee jedoch schien ihm die "einzig erfolgversprechende Möglichkeit einer dauerhaften Friedenssicherung für Europa" (39); er wurde zum "engagierten Theoretiker der Völkerbundidee" (34).
Gingen Hans Simons und sein Vater in der ersten Hälfte der 1920er Jahre noch gemeinsame politische Wege, sollten sie zunehmend "politisch auseinanderdriften" (68). Während sich Walter Simons "nicht davor scheute, eine exponierte Stellung innerhalb der nationalsozialistischen Jurisprudenz einzunehmen" (144), stellte für Hans Simons das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933 "nichts anderes als ein Berufsverbot" (112) dar. Als "Verwaltungsjurist ohne Verwaltung" (106) und "exponierter Sozialist" (116) sah er seine (berufliche) Zukunft nicht in Deutschland. 1934 emigrierte er in die Schweiz, im Jahr darauf in die Vereinigten Staaten. Dort baute er sich gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Eva und seinen beiden Töchtern Regula und Ursula ein neues Leben auf. Dass ihm dies innerhalb kürzester Zeit gelang, ist der zweite Grund, weshalb seine Biografie für die historische Forschung relevant ist: Sie gibt Auskunft über die Bedingungen erfolgreicher Akkulturation.
Wie viele der in die USA emigrierten Juristen hatte auch Simons mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, die die neue Sprache und Kultur wie auch die Nichtanerkennung ausländischer Abschlüsse und die (noch) fehlende amerikanische Staatsbürgerschaft mit sich brachten. Zudem hatte er "nie als reiner Wissenschaftler gearbeitet" (128). Er war vor allem administrativ tätig gewesen und hatte dementsprechend wenig Veröffentlichungen vorzuweisen. Das hatte zur Folge, dass er zwar ein Non-Quota-Visum erhielt, aus der erhofften Anstellung am New Yorker Institute for Public Administration jedoch nichts wurde. Stattdessen bekam er eine Professur für Politikwissenschaften an der New School for Social Research, die er im Februar 1935 antrat; nur zwei Jahre später wurde er zum Vorsitzenden des dortigen Fakultätsrats ernannt.
"Simons war angekommen" (158) - und dies lange bevor die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg eintraten und auf die "mitgebrachten intimen Wissensschätze" [1] von "political scholars" [2] wie ihn angewiesen waren. Heß zufolge lag dies insbesondere daran, dass Simons sich binnen kurzer Zeit "ein in Wort und Schrift nahezu perfektes Englisch" (141) angeeignet hatte. Er verstand die englische Sprache als "Schlüssel zur Akkulturation" (140) und benutzte Deutsch seit seiner Emigration "nur noch sehr selten" (297), bei offiziellen Anlässen gar nicht.
Zudem sah er Amerika "nicht als Exil, sondern als neue Heimat" (190) an. Nach 1945 kehrte er immer nur für kurze Zeit und zudem als Amerikaner nach Deutschland zurück. Zunächst, um als Leiter der Governmental Structures Branch der US-Militärregierung an der Ausgestaltung des Grundgesetzes mitzuwirken. Sodann, um westdeutsche Universitäten, allen voran die Freie Universität Berlin, zu inspizieren und die neu beziehungsweise wieder gegründete Politikwissenschaft zu evaluieren. Für Letzteres war er insbesondere aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Direktor der Deutschen Hochschule für Politik prädestiniert. Bereits in der Weimarer Republik hatte er die Notwendigkeit von politischer Bildung für die Demokratisierung von Politik und Gesellschaft erkannt und ein Konzept entwickelt, das die "Heranbildung politisch gesitteter Menschen" (73) ermöglichen sollte. Auch nach 1945 galt ihm politische Bildung als "unerlässliches Instrument" (235) zur Stabilisierung einer Demokratie.
Wie vielen anderen "political scholars" boten der Wiederaufbau Deutschlands und der Kalte Krieg Simons die Möglichkeit, an Ideen anzuknüpfen, die er bereits in der Zwischenkriegszeit entwickelt hatte. [3] Dies ist zugleich der dritte Grund, weswegen seine Biografie geschrieben werden musste: Sie ist auch die Geschichte einer "international ausgerichtete[n] politischen Bildung, die durch die Professionalisierung der Lehre der politischen Wissenschaft" (65) demokratisierend wirken wollte. Bis 1967 wurde allein die Freie Universität Berlin mit knapp 100 Millionen Mark durch das US-State Department und die Ford Foundation unterstützt. Für Letztere war Simons in den 1960er Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in Indien und Lateinamerika als bildungspolitischer Berater tätig.
Mitunter scheint Heß Simons aus der Gruppe der (zumeist sehr viel bekannteren) "political scholars" wie Ernst Fraenkel herauszuheben, anstatt ihn aus dieser herauszuschälen. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass der Autor glaubt, seine Entscheidung, sich dem Lebensweg eines "organisatorische[n] Lenker[s]" und nicht dem eines "akademische[n] Denker[s]" angenommen zu haben, bedürfe der Rechtfertigung (171). So viel Defensive ist aber gar nicht nötig: Überzeugend gelingt es Heß aufzuzeigen, dass es auch "Lenker" wie Simons waren, die die (bundesrepublikanische) Demokratiegeschichte nachhaltig prägten.
Anmerkungen:
[1] Ernst C. Stiefel / Frank Mecklenburg: Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (1933-1950), Tübingen 1991, 170.
[2] Zum Begriff des "political scholar" siehe Alfons Söllner: Vorwort, in ders.: Political Scholar. Zur Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2018, 7-12.
[3] Vgl. Udi Greenberg: The Weimar Century. German Émigrés and the ideological foundations of the Cold War, New Jersey 2014.
Doris Maja Krüger