Christoph Kampmann / Angela Marciniak / Wencke Meteling (Hgg.): "Security turns its eye exclusively to the future". Zum Verhältnis von Sicherheit und Zukunft in der Geschichte (= Politiken der Sicherheit | Politics of Security; Bd. 3), Baden-Baden: NOMOS 2018, 421 S., ISBN 978-3-8487-4463-3, EUR 89,00
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Wencke Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung. Preußische und französische Städte und Regimenter im Krieg, 1870/71 und 1914-19, Baden-Baden: NOMOS 2010
Horst Carl / Rainer Babel / Christoph Kampmann (Hgg.): Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert. Bedrohungen, Konzepte, Ambivalenzen, Baden-Baden: NOMOS 2019
Dass die Welt weder durch den Zusammenbruch des Sowjetkommunismus noch durch die bisherige kapitalistische Globalisierung sicherer geworden ist, ist eine triviale Erkenntnis. Umso wichtiger erscheint es, das komplexe Phänomen Sicherheit auch geschichtswissenschaftlich genauer unter die Lupe zu nehmen. Der vorliegende Sammelband, der im Haupttitel ein Zitat Jeremy Benthams von um 1830 wiedergibt, nimmt sich dieses Anliegens aus unterschiedlichen Perspektiven an. Die Einleitung der Herausgeber*innen erklärt, gestützt auf breite Rezeption bereits erarbeiteter Ergebnisse, "die Frage nach den wechselseitigen Bezügen und Bedingtheiten, durch die Zukünfte und (Un-)Sicherheiten in der historischen politischen Kommunikation miteinander verknüpft waren, und nach der denk- und handlungsleitenden Dynamik bei der Aushandlung von Sicherheit und Zukunft" zum zentralen Erkenntnisinteresse der insgesamt 13 Beiträge (10). Die Operationalisierung dieses Interesses solle in drei Untersuchungsdimensionen erfolgen: "1) Semantik und Epistemologie von Sicherheit und Zukunft; 2) Akteure und Sicherheits- und Zukunftshandeln; 3) Bedrohungskommunikation und Versicherheitlichung (securitization)" (14).
Die mit diesem Ansatz und Programm einhergehenden begrifflich-konzeptionellen Klärungen markieren ein für die Geschichtswissenschaft vergleichsweise hohes Abstraktionsniveau, überzeugen aber durchweg. Achim Landwehrs Grundsatzbeitrag zum eminent paradoxalen Verhältnis von Zukunft, Sicherheit und Moderne unterzieht erwartungsgemäß das etablierte neuzeitlich-modernisierungstheoretische Narrativ beißender Kritik und gipfelt in der entscheidenden Feststellung: "Der größte Horror all der Verantwortlichen in Sachen politischer Sicherheit ist [...], dass sich überhaupt noch etwas verändern könnte. Der politische Traum hingegen [...] besteht in einem impliziten Wunsch, der Sicherheit einerseits gewährleisten soll, der aber aufgrund seiner Unmöglichkeit zugleich jede Sicherheitsphantasie permanent unterläuft: die Zeit stillzustellen" (54). Angela Marciniak bringt politisch-ideengeschichtlich bis zur Gegenwart ausgreifende Gedanken zum Bedingungsverhältnis von Sicherheit und Utopie in die Debatte ein, wobei sie auch auf Bentham Bezug nimmt. Steffen Henne und Christian Wenzel vergleichen lehrreich Endzeitdiagnosen der Französischen Religionskriege und des Kalten Krieges. Christoph Kampmann formuliert am Schluss seiner zielsicheren Analyse gefahrenpräventiv-sicherheitsbezogener Dynastiepolitik an Beispielen des 16. Jahrhunderts fünf wegweisende Thesen, von denen insbesondere die letzte sehr relevant erscheint: Prävention wurde keineswegs erst in der berühmt-berüchtigten 'Sattelzeit' erfunden und kann keinesfalls gar als "Signum der Moderne" gelten (158). Hinsichtlich des Augsburger Religionsfriedens von 1555 verdeutlicht Sascha Weber, dass dieser nur dadurch zustande kommen konnte, dass "sich stärker von Friedenssehnsucht und politischem Pragmatismus" - und damit diesseitigen Sicherheitskonzeptionen - "geprägte Zeit- und Zukunftsvorstellungen gegenüber konkurrierenden, von endzeitlichem Denken bestimmten Entwürfen" durchsetzten (181). Hannes Zieglers anschließende, faszinierende These, dass "die in den Jahren seit 1608 an vielen Orten und in vielen Texten stattfindende Berechnung der Zukunft entlang von Sicherheitskriterien den Konfessionskrieg [gerade] denkbar gemacht und letztlich [sogar, W.E.J.W.] heraufbeschworen hat" (190], sollte im Hinblick auf die Rolle der Geistlichen aller beteiligten Konfessionen weiter vertieft werden.
Marie-Christin Stenzels völkerrechtsgeschichtliche Studie, mit der sich der Focus des Bandes auf die Neuere Geschichte erweitert, arbeitet einen bisher eher vernachlässigten Aspekt des Sicherheits- und Zukunftsentwurfs des Wiener Kongresses 1814/1815 heraus: die Positionierung der Staaten nicht mehr als völkerrechtliche Einzelsubjekte, sondern als kooperative Gemeinschaft mit gemeinsamer Verantwortung. Tobias Bruns kann in vielen Hinsichten überzeugend die Jahre 1878/79 als "sicherheitskulturelle Wende" in der Geschichte des deutschen Kaiserreiches, nicht unbedingt darüber hinausgehend in der deutschen Geschichte, darlegen. Einen zentralen konkreten Sicherheitsaspekt, nämlich die Sicherheit vor Seuchen in der medizinisch-politischen Debatte wieder vor allem im Kaiserreich, nehmen sich Malte Thießen und Andrea Wiegeshoff vor.
Larry Frohmans Ausführungen zu den Grundlagen, Logiken und Paradoxien des in den 1970er Jahren aufkommenden präventiven Überwachungsstaates muten teilweise eher noch essayistisch an, werfen aber eine Reihe definitiv weiterführender Fragen auf. Die letztliche Unvereinbarkeit der Auffassung des Nuklearreaktors einerseits als menschheitsgeschichtlich unvergleichliche "Ermöglichungsmaschine", andererseits als apokalyptische "Vernichtungsmaschine" (346 u.ö.) entwickelt souverän Anna Veronika Wendland. Ihr folgt nicht weniger überzeugend Elke Seefried mit ihrer Darlegung der Wurzeln des ökologisch-politischen Nachhaltigkeitsdiskurses - Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung als Erweiterung von Sicherheit - im Kontext der Globalisierung. Abschließend nimmt Wencke Meteling analytisch unbeirrt und geboten kritisch die seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert vehement vertretene ökonomisch-politische Konzeption unter die Lupe, dass Zukunftssicherung im Wesentlichen Standortsicherung bedeute und unter dem daraus abzuleitenden Signum der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der ganz anderweitig sichernde Sozialstaat möglichst zurückzuschneiden sei.
Auf die aus den Einzelbeiträgen zu destillierenden übergreifenden Befunde gehen bereits die Herausgeber*innen in ihrer Einleitung ein. Gerade weil die profunde Kollektion so zu seltener Systematik vorstößt, könnte sich der beeindruckte Leser zumindest zwei Ergänzungen wünschen; nämlich einerseits - hoffentlich ohne marxistischer Leichenfledderei geziehen zu werden! - einen Beitrag zur historisch ja eben auch wirksam gewesenen sozialistisch-kommunistischen Auffassung und Umsetzung von Sicherheit und Zukunft, und andererseits Ausführungen zum Komplex digitalisierte Prävention, Datenverarbeitung und Zukunft.
Wolfgang E. J. Weber