Nancy Mandeville Caciola: Afterlives. The Return of the Dead in the Middle Ages, Ithaca / London: Cornell University Press 2016, XVIII + 363 S., 23 s/w-Abb., 4 Kt., ISBN 978-1-5017-0261-7, USD 39,95
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Laurie Brink, O.P. / Deborah Green (eds.): Commemorating the Dead. Texts and Artifacts in Context. Studies of Roman, Jewish, and Christian Burials, Berlin: De Gruyter 2008
Catrien Santing / Barbara Baert / Anita Traninger (eds.): Disembodied Heads in Medieval and Early Modern Culture, Leiden / Boston: Brill 2013
Dominic Olariu: La genèse de la représentation ressemblante de l'homme. Reconsidérations du portrait à partir du XIIIe siècle, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2013
Der Titel dieser Arbeit, "Afterlives", soll doppeldeutig verstanden werden: In diesem Buch werden einerseits Vorstellungen über das Jenseits während der Epoche des Mittelalters, andererseits Überlegungen zum Weiter- oder Überleben heidnischer Vorstellungen in einem christlichen Kontext reflektiert. Dazu gliedert Nancy Mandeville Caciola die Argumentation in drei Abschnitte.
Den ersten davon widmet sie den "universalistischen Diskursen", die vor allem von Intellektuellen getragen worden seien. So stellt das erste Unterkapitel die patristischen Grundlagen der Spätantike dar, die die Autorin mit einem berechtigten Schwerpunkt auf Tertullian und Augustinus bis hin zu Gregor dem Großen und Isidor von Sevilla im frühen Mittelalter nachzeichnet. Das zweite Unterkapitel, das zu den interessantesten des Buches gehört, sammelt medizinische Überlegungen zum Tod und eröffnet ein breites Feld des zeitgenössischen Nachdenkens über die Todeszeichen und die Folgen der Professionalisierung in der Medizin im Hoch- und Spätmittelalter. Hier zeigt sich die besondere Stärke der Arbeit, mit einem breit angelegten Quellenfundus und in umfassender Schau der Forschungsliteratur die gestellte Frage zu beantworten. Dass Nancy Mandeville Caciola dies auch noch in gekonnter Weise und sehr unterhaltsam zu gestalten vermag, sei zusätzlich unterstrichen - auch dies ist bei einem Buch mit dieser genauen Arbeitsweise durchaus nicht üblich. Gerade aufgrund der Berücksichtigung der medizinischen Diskurse erweitert das Buch dann auch die bisherige Forschung insofern, als nun Studien aus unterschiedlichen Feldern in einen Dialog gebracht werden. Dass die im ersten Abschnitt vorgestellten Diskurse allerdings tatsächlich nur von Intellektuellen geführt wurden, überzeugt nicht ganz, ist aber für die weitere Argumentation Mandeville Caciolas nicht unwesentlich, da diese - trotz aller Reflexionen über den gegenteiligen Forschungsstand - letztlich auf der alten Dichotomie von christlichen Intellektuellen vs. heidnisch beeinflusster Volkskultur basiert. Dabei weisen einige ihrer Detailbeobachtungen selbst in eine andere Richtung, etwa wenn bei der Untersuchung der wundersamen Rettung eines Kleinkinds, das in einen Burggraben gestürzt war, dieselben Untersuchungsmethoden und Erwartungshorizonte von Beteiligten aller sozialer Gruppen ganz ähnlich aufgefasst werden (99-104). Vielleicht handelt es sich dabei tatsächlich um eine Diffusion neuer medizinischer Einstellungen in breitere soziale Schichten, aber der Befund bleibt, dass von Intellektuellen angestoßene Diskurse nicht grundsätzlich fern von der Lebensrealität der Mitglieder der mittelalterlichen Gesellschaft stattfanden. Der vorliegende Band jedoch bleibt bei der Meistererzählung einer solchen grundsätzlichen Trennung.
Im zweiten und dritten Abschnitt wird diese perspektivische Vorgabe dann schlagend und verzerrt die Quelleninterpretation. Dies zeigt sich bereits bei der inhaltlichen Aufteilung: Für Nancy Mandeville Caciola steht eine körperliche Auffassung der Toten (Hauptabschnitt 2) der Idee wiederkehrender, aber nicht physischer Geister (Abschnitt 3) gegenüber. Während die erstere Auffassung nördlich der Alpen unter Aufgriff älterer heidnischer, germanischer und slawischer Vorstellungen verbreitet gewesen sei, würde sich der vergeistigte Typ des Wiedergängers vor allem im Mittelmeerraum finden. Den nördlichen Typus des körperlichen Wiederkehrers lässt sie bei Thietmar von Merseburg erstmals handfest auftauchen und verfolgt den Gedanken dann über das Motiv der Wilden Jagd hin zur Diskussion über den Leichnam, die Möglichkeiten seiner dämonischen Wiederbelebung und der veränderten Qualität eines fleischlosen, nur aus Knochen bestehenden Toten. Mögen die Überlegungen zur Herkunft der Motive vor allem aus vorchristlichen Quellen für die Wilde Jagd durchaus berechtigt sein, so kann die grundsätzliche These eines spezifisch nordeuropäischen Typus des Toten, der zudem von der Entwicklung im Mittelmeerraum klar geschieden werden kann, letztlich nicht widerspruchslos stehen bleiben. Um ein Beispiel herauszugreifen: Schon die Episode, die Nancy Mandevielle Caciola als Ausgangspunkt des zweiten Abschnitts dient - die von Thietmar von Merseburg geschilderte nächtliche Messe der Toten, der ein lebender Priester beiwohnt -, weist überzeugender auf die theologische Schulung des Autors als auf die spezifische Situation in Merseburg um 1015 hin. Die Erklärung, dass Thietmar in einem Grenzland zwischen Slawen, Deutschen und Skandinaviern seine Chronik verfasste, so dass sein tatsächlich sehr auffälliges Interesse an Geschichten über die Toten aus der Vermischung der Religionen vor Ort in Sachsen zu erklären sei, scheint in mehrfacher Hinsicht wenig überzeugend: Vor allem findet sich in der genannten Episode gar kein expliziter Hinweis auf die körperliche Wiederkehr der Toten. Im Gegenteil, die autoritative Vorlage für solche Geistergeschichten, die entsprechenden Episoden in den Dialogen von Gregor dem Großen, berichten in ganz ähnlicher Weise, wie Tote den Lebenden ganz physisch im Badhaus zur Hand gehen; der qualitative Sprung ist also nicht überzeugend zu belegen. Es ist bedauerlich, dass das Buch die Gegenüberstellung von nördlichen und südlichen Toten somit überstrapaziert, wo es sich doch an anderer Stelle wohltuend durch seine Kenntnis der Quellen und der Sekundärliteratur auszeichnet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Buch insgesamt den Forschungsstand vor allem aus historischer Sicht zusammenfasst. Bemerkenswert ist die umfassende Einarbeitung der Forschungsliteratur, die auch nicht-englischsprachige, vor allem französische und deutsche Titel berücksichtigt. Die Darstellung bleibt aber letztlich im Urteil konservativ und bedient sich nur eingeschränkt der methodischen Hinterfragung, wie sie etwa die jüngere Archäologie in den Vordergrund gerückt hat. Überhaupt fehlt die Archäologie als wichtiges Feld in den hier vorgestellten Überlegungen. Wird man in der Betonung der auffällig großen Nähe, die zwischen Toten und Lebenden im Mittelalter herrschte, Nancy Mandeville Caciola sicherlich gerne folgen wollen, so gilt das doch nicht für jedes scheinbar unproblematische Statement. Bereits eingangs bemerkt sie: "Death is the ultimate translation of self: seemingly in an instant, it transmutes a person into a thing." (2) Nun wurde der Leichnam im Mittelalter in der Regel gerade nicht als "Ding" verstanden - bereits der Quellenbegriff ("corpus") bezeichnet den toten ebenso wie den lebenden Körper. Mandeville Caciola kennt viele der hier genannten Einwände, doch führen sie ihre Überlegungen nicht in neue Bahnen. Das Buch kann also als weitere Referenz für die angeschnittenen Forschungsbereiche der Reflexion über den Tod und den toten Körper sowie die Erscheinung der Geister im Mittelalter dienen, doch führt es zugleich in ein offenes Forschungsfeld, in dem das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Romedio Schmitz-Esser