Andreas Zeising: Radiokunstgeschichte. Bildende Kunst und Kunstvermittlung im frühen Rundfunk der 1920er bis 1940er Jahre, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018, 677 S., 145 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50979-8, EUR 100,00
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In den 1980er-Jahren löste das vom Hessischen Rundfunk produzierte "Funkkolleg Kunst" eine Welle der Begeisterung und einen Proteststurm zugleich aus. Die Reihe, die zunächst von Werner Busch und später von Monika Wagner verantwortet wurde, erreichte etwa 180.000 Zuhörerinnen und Zuhörer. Während dieser Publikumserfolg von vielen als Indiz dafür gewertet wurde, dass die akademische Kunstgeschichte Breitenwirkung entfalten kann, sofern sie dazu bereit ist, die Hörsäle zu verlassen und die Kanäle der popular culture zu nutzen, bemängelten renommierte Vertreter des Faches wie Gottfried Böhm die zu starke methodische Reduktion auf einen funktionsgeschichtlichen Ansatz. Die kritischen Kunsthistoriker nach 1968, die einst gegen die Verarmung der Kunstgeschichte angetreten seien, schrieb Böhm, verabreichten nun Topfgerichte aus einer Küche, "die erklärtermaßen über ein einziges Rezept" verfüge. [1] Initiator Werner Busch hingegen haderte vor allem mit der 'Blindheit' des Mediums Radio: "Wir werden permanent über Gegenstände der Anschauung sprechen, ohne sie vor uns zu haben." [2] Zur Lösung des Problems wurden alsbald Studienbegleithefte gedruckt.
Den wenigsten Teilnehmerinnen und Teilnehmern am "Funkkolleg Kunst" dürfte damals bewusst gewesen sein, dass die 'Volksnähe' der Kunstgeschichte, ihre Hinwendung zur Soziologie und ihre Fähigkeit, in einem Medium vermittelnd tätig zu werden, das sich per se der reproduktionstechnischen Visualisierung von Kunst verweigert, bereits in der Weimarer Republik intensiv diskutiert worden war. Andreas Zeising, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Siegen, hat diese Wissenslücke geschlossen, indem er eine Habilitationsschrift verfasste, die nun in einer 675 Seiten starken, gut lesbaren Veröffentlichung vorliegt. Unter dem Titel "Radiokunstgeschichte. Bildende Kunst und Kunstvermittlung im frühen Rundfunk der 1920er bis 1940er Jahre" gibt Zeising differenzierte Einblicke in eine bislang weitgehend verborgen gebliebene Medienpraxis der Kunstgeschichte.
Dabei war die Quellenlage nicht gerade ermutigend. Der Bestand an Tondokumenten, die das Deutsche Rundfunkarchiv aus der Frühzeit des Radios archiviert hat, ist kaum der Rede wert. Zeisings Rekonstruktion einer "Kunstgeschichte ohne Bilder" muss also notgedrungen lückenhaft ausfallen. So entschied er sich dazu, dem Sound, der vor langer Zeit verhallt ist, dort nachzuspüren, wo sich bis heute Sedimente in Form von Texten ablagern. Infolgedessen ist seine medienarchäologische Studie weniger ein Beitrag zum acoustic turn als vielmehr eine Auswertung der Redemanuskripte, die während der Weimarer Republik den Rundfunkkontrollgremien zur Freigabe vorgelegt werden mussten. Sie ausfindig zu machen, war ein mühsames Unterfangen. Sofern noch vorhanden, schlummern sie in den Nachlässen der einstmals Vortragenden, sind also in alle Winde zerstreut. Umso verdienstvoller ist es, dass Zeising das zutage geförderte Material minutiös in einem 82 Seiten starken Anhang verzeichnet und eine 20-seitige Dokumentation der aussagefähigsten Materialien angefügt hat. Zudem fanden Sendepläne und Programmzeitschriften, die Rückschlüsse auf die Sendeinhalte zulassen, Berücksichtigung. "Problematisch bleibt", merkt der Autor methodenkritisch an, "dass das auszuwertende Material überwiegend die Perspektive der Akteure wiedergibt, selten diejenige der Rezipienten" (26).
Die Emphase, mit der das Radio als Zeichen einer fortschreitenden Mechanisierung seitens der Mitglieder der Novembergruppe und der "Künstler-Ingenieure" der Weimarer Zeit begrüßt wurde, macht Zeising nachvollziehbar, indem er Oskar Schlemmers Sender-Empfänger-Modell, wie es sich in der "Mappe für Walter Gropius" aus dem Jahr 1924 überliefert hat, dem Kapitel "Rundfunk zwischen Utopie und Kontrolle" voranstellt. Der "Funkerspuk" der Novemberrevolution - das Nachrichtenwesen war vorübergehend zum Spielball revolutionärer Splittergruppen geworden - hatte zur Folge, dass das Radio in Deutschland aus Furcht vor Missbrauch von Anfang an rigiden staatlichen Kontrollen unterworfen war. Statt eines "Kommunikationsapparats", wie ihn Bertolt Brecht 1930 in seiner "Radiotheorie" einforderte, wurde ein autoritär gelenktes "Verbreitungsinstrument", ein "Laut-Sprecher" installiert. Kunsthistoriker fanden sich daher alsbald in der ungewohnten Rolle wieder, volksbildend tätig zu werden, indem sie eine anonyme unsichtbare Masse belehrten, die zu Hause an den Radioapparaten saß. Um ein Übermaß sowohl an Unterhaltung als auch an Propaganda auszuschließen, wurden Kulturbeiräte damit beauftragt, die Aufsicht über Sendungen aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Volksbildung zu übernehmen. "Als erster Kulturbeirat konstituierte sich im März 1927 derjenige der Berliner Funk-Stunde. Er bestand aus insgesamt neun Personen unter dem Vorsitz von Wilhelm Waetzold, dem Generaldirektor der Berliner Museen." (45)
Am Beispiel des Programms von Rundfunksendeanstalten, die in Frankfurt am Main, München, Köln, Berlin und Wien ansässig waren, zeigt Zeising dezidiert auf, dass nicht nur Museumsleiter wie Georg Swarzenski, Direktoren von Kunsthochschulen wie Fritz Wichert nebst Hochschullehrern wie Hans Tietze, sondern auch intellektuelle Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Journalismus wie Wilhelm Fraenger, Alfred Kuhn und Max Osborn liebend gern die Chance ergriffen, im Radio für Kunst und Museen zu werben. Methodisch innovativ waren ihre Radiobeiträge in den seltensten Fällen. Sie orientierten sich an kanonischen 'Meisterwerken', spürten den Intentionen der Künstler nach, monologisierten wie im Hörsaal - und hielten am Format des Diavortrags fest. Folgerichtig beklagten sie das Manko, keine Fotoreproduktionen zeigen zu können. Um Hörern, "die über keine Vorbildung und damit ein entsprechendes Bildgedächtnis verfügten" (65), auf die Sprünge zu helfen, wurden Bildmappen gedruckt.
Die Formate änderten sich, als Künstler wie Arthur Segal und William Wauer den Rundfunk als ideales Instrument zur Selbstvermarktung entdeckten, während Paul Westheim und Helmut Jaro Jaretzki Atelierbesuche wie Homestories aufbereiteten und soziologische Komponenten ins Spiel brachten. Sie trugen dazu bei, das Radio als ein Medium zu etablieren, das durch seinen Live-Charakter und seine lautmalerischen Komponenten Erfahrungshorizonte aufspannen und so zum Verständnis der Gegenwartskunst beitragen kann. Schon ab 1930 wurden die progressiven Tendenzen der akustischen Kunstvermittlung mehr und mehr zurückgedrängt. Radioprogramme wurden in Dienst genommen, um "nationalkulturelle und regionale Eigenarten, mithin ein Bewusstsein für Heimat und Brauchtum zu vermitteln" (237). So fand das 1933 neu geschaffene Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda den Boden bereitet, um gegen eine "Gelehrtenästhetik" der "Systemzeit" zu polemisieren und Kunsthistoriker im Radio fortan als "Mittler einer wahren Volkskunst" einzusetzen. Mit seinem Parforceritt durch die von 'großen Männern' dominierte Radiokunstgeschichte gelingt es Zeising mit Bravour, die Kunstgeschichte und ihre Methoden als eine Mediengeschichte in einem konfliktbeladenen realpolitischen Raum begreiflich zu machen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Irene Below: The Blind Man - Nachlese zum Funkkolleg Kunst, in: kritische berichte 14 (1986), Nr. 3, 56-70, hier 57.
[2] Werner Busch: Curriculae und inhaltliche Konzeption des Funkkollegs 'Kunstgeschichte', in: visodata 83, hg. v. Staatsinstitut für Bildungsforschung und Bildungsplanung, München 1983, 341-349, hier 344.
Annette Tietenberg