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Hans-Christian Petersen: Mehrfachbesprechung: Hans-Jürgen Bömelburg (Hg.): Polen in der europäischen Geschichte. Band 2: Frühe Neuzeit. 16. bis 18. Jahrhundert, Stuttgart: Hiersemann 2017. Einführung, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
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Mehrfachbesprechung: Hans-Jürgen Bömelburg (Hg.): Polen in der europäischen Geschichte. Band 2: Frühe Neuzeit. 16. bis 18. Jahrhundert, Stuttgart: Hiersemann 2017

Einführung

Von Hans-Christian Petersen

Ein Handbuch "Polen in der europäischen Geschichte" erscheint aus mehreren Gründen ein Gebot der Zeit. Einerseits aufgrund der Entwicklung in Polen selbst - in Zeiten, in denen eine nationalkonservative Lesart der 'eigenen' Geschichte zunehmend den Diskurs beherrscht und sich in massiven Eingriffen in die erinnerungspolitische Landschaft niederschlägt [1], kommt einem Grundlagenprojekt, das dezidiert den Anspruch verfolgt, polnische Geschichte als europäische Geschichte zu begreifen, eine eminent gesellschaftspolitische Bedeutung zu. Angesichts der Beschwörung vermeintlich 'ursprünglicher polnischer Eigenschaften' wie der "Polnischen Freiheit" (Polska Wolność) oder der "Polnischen Toleranz" (Polska Tolerancja), die zur Legitimierung einer illiberalen und intoleranten Politik herangezogen werden, ist ein solches Handbuch, das ein Gemeinschaftsprojekt polnischer und deutscher Historiker*innen darstellt, ein wichtiges Signal.

Andererseits bietet das Projekt die Chance, eine eklatante Forschungslücke zu schließen - denn ein solches Grundlagenwerk, vergleichbar dem ebenfalls im Verlag Anton Hiersemann erschienenen "Handbuch der Geschichte Russlands" [2], stellt in der deutschsprachigen Polenforschung nach wie vor ein Desiderat dar. Es handelt sich mithin um ein aufwendiges und anspruchsvolles Unterfangen, das einen entsprechend langen Atem aller Beteiligten erfordert und während dieser Zeit von mehr oder weniger fundamentalen turns und Umbrüchen des geschichtspolitischen und historiographischen Kontexts begleitet wird. Auch hierfür kann das "Handbuch der Geschichte Russlands" als Referenzpunkt dienen, in dessen 25-jährige Entstehungsgeschichte der Zusammenbruch der Sowjetunion fiel. Wie sich diese Wandlungen des Umfelds beim Fortgang des Handbuchs "Polen in der europäischen Geschichte" entwickeln werden, bleibt abzuwarten. Seit vergangenem Jahr liegt jedenfalls - als erstes - der zweite Band des auf vier Bände konzipierten Handbuchs vor. Er deckt die Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert ab, also das, was vor allem vor der Folie westeuropäischer Entwicklungen als "Frühe Neuzeit" bezeichnet wird.

Den Ausgangspunkt für die Entscheidung zu einer multiperspektivischen Einordnung des Bandes - aus insgesamt fünf verschiedenen Blickwinkeln - stellte die Ãœberzeugung dar, dass eine Rezension aus einer bestimmten, national definierten Perspektive, sei sie deutsch oder polnisch, dem grenzübergreifenden Anspruch des Handbuchs wie auch dem vielfach transnational verflochtenen Gegenstand nicht gerecht werden würde. Hinzu kommen neue konzeptionelle Zugänge zur polnischen Geschichte - sei es bei der Betrachtung der Ãœberschneidungen, Verflechtungen und Asymmetrien deutsch-polnischer Erinnerungskulturen [3], sei es in Form einer transnationalen Entgrenzung und Neuvermessung des Konzepts "Ostmitteleuropa" [4], nicht zuletzt mit Blick auf die vielfältigen Interaktionen mit der osmanischen Geschichte [5], womit gleichsam die Frage der Grenzen des Konzepts "Europa" (wieder) aufgeworfen wird, oder sei es in Gestalt der Neukonzeptionalisierung polnischer Geschichte als Migrationsgeschichte [6]. Zugleich gibt es seit Längerem eine rege Entwicklung auf dem Feld der Imperiumsgeschichte, darunter verschiedene Projekte, im Rahmen derer unter anderem das Russländische Reich, das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie aus einer vergleichenden Perspektive in den Blick genommen wurden [7]. Diese drei Großreiche waren auch für die polnisch-litauische Geschichte der Frühen Neuzeit von zentraler Bedeutung (und dies nicht erst mit dem Fluchtpunkt der Teilungen Polen-Litauens am Ende des 18. Jahrhunderts), weshalb sie im Folgenden in Gestalt der Besprechungen von Christoph Augustynowicz (Wien), Stephan Conermann (Bonn) und Jan Kusber (Mainz) Berücksichtigung finden. Hinzu kommen die nicht minder wichtige Perspektive des westlichen Nachbarn, Brandenburg-Preußen, die durch Frank Göse (Potsdam) vertreten ist, sowie, so selbstverständlich wie zentral, eine Einordnung aus Sicht der polnischen und polnisch-litauischen Historiographie, die Maciej Ptaszyński (Mainz/Warschau) übernommen hat. Durch diese Anordnung soll die Verortung Polens in Europa und die Umsetzung dieses Anspruchs in dem nun vorliegenden zweiten Band des Handbuches einer eingehenden und multiperspektivischen Reflektion unterzogen werden.

Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Ekaterina Makhotina / Ekaterina Keding / Włodzimierz Borodziej u.a. (Hgg.): Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; Bd. 131), Göttingen 2015; Monika Heinemann: Krieg und Kriegserinnerung im Museum. Der Zweite Weltkrieg in polnischen historischen Ausstellungen seit den 1980er-Jahren (Schnittstellen - Studien zum östlichen und südöstlichen Europa; 5), Göttingen 2017; Carola Lau: Erinnerungsverwaltung, Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur nach 1989. Institute für nationales Gedenken im östlichen Europa im Vergleich (Kultur- und Sozialgeschichte Osteuropas / Cultural and Social History of Eastern Europe; 6), Göttingen 2017.
[2] Manfred Hellmann / Stefan Plaggenborg / Gottfried Schramm / Klaus Zernack (Hgg.): Handbuch der Geschichte Russlands. 6 Bände in mehreren Teilbänden, Stuttgart 1981-2006.
[3] Hans Henning Hahn / Peter Oliver Loew / Robert Traba (Hgg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. 5 Bände, Paderborn 2012-2015.
[4] Vgl. u.a. Handbuch einer transnationalen Geschichte Ostmitteleuropas. Band I. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg (Transnationale Geschichte; 6). Hgg. von Frank Hadler und Matthias Middell, Göttingen 2017.
[5] Vgl. u.a. Dariusz Kołodziejczyk: Ottoman-Polish Diplomatic Relations, 15th-18th Century: An Annotated Edition of 'Ahdnames and Other Documents, Leiden 2000; Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 65 (2016), H. 2: Themenheft Polnisch-osmanische Verflechtungen in Kommunikation, materieller Kultur, Literatur und Wissenschaft, sowie das seit August 2017 laufende DFG-Schwerpunktprogramm "Transottomanica: Osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken": https://www.transottomanica.de/.
6] Vgl. u.a. Dariusz Stola: Kraj bez wyjścia? Migracje z Polski 1949-1989, Warschau 2010; Peter Oliver Loew: Wir Unsichtbaren. Geschichte der Polen in Deutschland, München 2014; Markus Krzoska: Ein Land unterwegs. Kulturgeschichte Polens seit 1945, Paderborn 2015; Peter Oliver Loew: Wir Unsichtbaren, sowie das bei Claudia Kraft (Siegen) angesiedelte Projekt "Migrationsgeschichte Oberschlesiens. Globale Migration in regionaler Perspektive": https://www.uni-siegen.de/phil/geschichte/lehrstuehle/zeitgeschichte/projekte.html.
[7] Vgl. u.a. Jörn Leonhard / Ulrike von Hirschhausen (eds.): Comparing Empires. Encounters and Transfers in the Long Nineteenth Century (Schriftenreihe der FRIAS School of History; 1), Göttingen 2011; Tim Buchen / Malte Rolf (Hgg.): Eliten im Vielvölkerreich. Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850-1918), Berlin 2015; Frithjof Benjamin Schenk / Martin Aust (Hgg.): Imperial Subjects. Autobiographische Praxis und die Vielvölkerreiche der Romanows, Habsburger und Osmanen, Wien 2015.

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