Stefanie Stallschus: Im Zwischenraum der Bilder. Der Film als Experimentalfeld der Pop Art (= Berliner Schriften zur Kunst), München: Wilhelm Fink 2016, 264 S., 56 s/w-Abb., ISBN 978-3-7705-5539-0, EUR 34,90
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Mit den so attraktiven wie oft trivialen Bildwelten der boomenden Konsumindustrie und Massenmedien hat die Pop Art nicht nur traditionelle Kunstformen revolutioniert. Zahlreiche Künstler schon jener Nachkriegsjahre machten sich parallel zu ihrer Malerei auch direkt massenmediale Bildgebungsverfahren, Reproduktionstechniken und Formate zu eigen, angefangen beim Siebdruck bis hin zum Film. Mithin sind die Wurzeln der in der Gegenwartskunst omnipräsenten Bewegtbilder verzweigter, als es der derzeitige Fokus auf das von kunsthistorischer Seite entdeckte Expanded Cinema suggerieren mag. Stefanie Stallschus' Studie zum "Film als Experimentalfeld der Pop Art" erweitert die Sicht auf das lange vor der Videokunst virulente Interesse bildender Künstler an bewegten Bildern, indem sie gerade nicht die Entgrenzung oder gar den Ausstieg aus dem Bild in den Mittelpunkt stellt. Unter der Leitfrage des Arbeitens mit und am Bild dient ihr stattdessen diese auf den ersten Blick althergebrachte und weite Kategorie dazu, die Künstlerfilme jener Zeit nicht länger als randständige Experimente, sondern im engen Bezug mit dem übrigen bildkünstlerischen Werk zu begreifen und als eine dritte Filmavantgarde neben der politischen und formalästhetischen zu rehabilitieren. Zugleich verspricht sie kunsttheoretische Einsichten in die nach 1945 keineswegs mehr antithetischen Bildbegriffe von Kunst und Massenmedien. Mit dem Film hält schließlich ein avanciertes Bildverständnis Einzug, das Prozessualität, Wiederholung sowie eine Verschiebung vom singulären Bild auf dessen Kontextualisierung einschließt und auf die Kunst zurückwirkt. Drittens erlaubt die Frage nach dem Bild, den Einfluss von Medien und Konsum auf die Wunschproduktionen und Begehrensstrukturen der sich rasant modernisierenden Nachkriegsgesellschaft zu erfassen. So zielt die Studie darauf ab, die Pop Art als Seismograf für eine von Bildern durchsetzte soziale Wirklichkeit und einen gewandelten Kulturbegriff zu erörtern.
Ihrer Leitfrage geht Stefanie Stallschus in sechs Fallstudien zu Eduardo Paolozzi, Bruce Conner, Gianfrancho Baruchello, Mario Schifano, Andy Warhol und Martial Raysse anhand exemplarischer Werkanalysen nach. Obwohl einige dieser Künstler neben Film später auch Video verwendeten, erscheint die Zäsur Ende der 1960er-Jahre sinnvoll, schließlich ändert sich mit der Videokunst - wie zu Recht angemerkt - der Praxis- und Theorierahmen wesentlich. Mit ihrer Auswahl erschließt Stallschus schwer zugängliche Filmarbeiten etwa von Gianfrancho Baruchello und Mario Schifano. Und bekanntere Beispiele wie Conners A movie oder Warhols Screen Tests werden durch die an der Bildkonzeptualisierung ausgerichtete Zusammenschau mit anderen Werkformen des jeweiligen Künstlers neu perspektiviert. Das Analyse-Instrumentarium ist flexibel genug für so unterschiedliche Arbeiten wie die animierten Collagen von Paolozzi, Foundfootage-Filme bei Conner und Baruchello oder Warhols statische Porträtfilme, Raysses Reenactments und Schifanos 35mm-Filmtrilogie. Zugleich lässt sich damit präzise aufzeigen, wie bildkünstlerische, filmische und raumbezogene, performative Werke jeweils ineinandergreifen. Diese gattungsübergreifende Kohärenz sieht Stallschus jenseits eines geschlossenen Werkbegriffs in der Bearbeitung verwandter Problemstellungen im Sinne George Kublers begründet. Daneben stützt sie sich auf das oft vage Konzept der Aneignung, das hier aber durch eine inhaltliche, formale, technische und konsumistische Ebene spezifiziert für die künstlerischen Verfahrensweisen mit Film ertragreich wird.
Die ersten drei Beispiele gelten den noch zu wenig erforschten Korrelationen zwischen Collage, Assemblage und Film. So wird unter Stallschus' Perspektive Paolozzis Werk als gleichrangiger Umgang mit diversen Reproduktionstechniken und Präsentationsformen auf Basis des Sammelns vorgefundener Bilder beschreibbar: Seine Filme führen nicht nur die assoziative Lesart der Collagen vor. Beide eint eine modulare Rekombination von Bildern, was vom Film auf Künstlerbücher und Grafikserien zurückwirkt. Bruce Conners frühe Collagen hingegen konfrontieren eine modern-abstrakte Autonomieästhetik mit einer rückseitigen Flut massenmedialer Bilder, die typologisch geordnet der rhythmischen Reihung von Foundfootage in A movie entsprechen. Wiederholung legt jeweils die Bedeutungsproduktion durch Kontexte frei, weswegen Stallschus hier vom Bild als Mittel der Dekonstruktion spricht. Zudem erkennt sie in Conners Umgang mit Reproduktionen eine Theatralität, die eine Brücke zu seinen konzeptuellen Selbstinszenierungen - wie ein gefaktes illustriertes Interview für eine Kunstzeitung - schlägt. Gianfranco Baruchellos Assemblagen wiederum nutzen diagrammatische Anordnungen von Bildfragmenten und Zeichen im Rekurs auf mentale Prozesse. Dieselbe Verfahrenslogik macht Stallschus in seinen gefilmten Aktionen aus, die mit abstrakten Handlungen ihrerseits kognitiven Schemata ähneln. Im Filmprojekt Verifica Incerta mündet diese offene Struktur in eine zerstreuende Montage aus Spielfilmfragmenten als alternative Erzählweise.
Bei Mario Schifano entwickelt sich das intermediale Zusammenspiel auf Basis des Projektionsbildes, das zunächst Gemälde von ausschnitthaften Werbeschriftzügen erstellen hilft. Parallel dazu mischt Schifano gefilmte Straßenreklame mit massenmedialen Bildzitaten, sodass interpikturale Bild-im-Bild-Strukturen nicht nur Wirklichkeit und Repräsentation, sondern auch den Raum hybridisieren. Eine solche räumliche Diffusion konstatiert Stallschus sowohl in Schifanos Aufführungspraxis, sofern die Kurzfilme in Konzert-Happenings aufgehen, als auch innerfilmisch, wie im ersten Langfilm mit invasiven Medienbildern im Privaten. Im zweiten Teil werden Zitate aus Godard-Filmen sowie Schifanos Dreh an dessen Set als Standbilder bzw. Film-im-Film projiziert und Spielszenen als Inszenierung demontiert. Diese demonstrative "Gemachtheit" der Bilder führt Stallschus zu der These, dass Medienbilder hier als Produkte sozialer Interaktion in ihrer Handlungsdimension zutage treten und sich die räumliche Diffusion partizipativ erweitert. Entsprechend deutet sie Schifanos Integration des multidirektional-synästhetischen Fernsehens in seine Kurzfilme, Filmtrilogie und abfotografierte übermalte Fernsehbilder als aktive Aneignung der Fernsehrezeption durch Re-Repräsentation.
Im Kapitel zu Andy Warhol betont Stallschus neben der Verräumlichung vor allem die Vergegenwärtigung des Bildes, was die drucktechnisch monumentalisierten Verbrecherfotos der Thirteen Most Wanted Men ebenso belegen wie die filmisch verflüssigten Fotoporträts der Screen Tests. Zusätzlich erweisen sich Warhols Siebdrucke über serielle Ordnungen, differentielle Wiederholung und Bildrauschen eng mit seinen Filmen verbunden. Diese in der Factory selbst gedrehten Bilder interpretiert Stallschus als Verkopplung des filmischen Raums mit dem Alltag, sodass Bild- und Realraum erneut ineinander übergehen. Folgerichtig inszeniert Warhol ganze Erlebnisräume wie das EPI, die nicht nur die Aufführung, sondern die Produktion der Bilder zum spektakulären Ereignis machen. Martial Raysse' Arrangements von Konsumprodukten schließlich offenbaren im Sinne des Nouveau Réalisme noch stärker das warenästhetische Oszillieren zwischen Ding und Bild. Treffend beschreibt Stallschus diese Strategie als Reifikationen zweiter Ordnung, da der Künstler die an Waren und Werbebilder gehefteten Mythen wieder in eine konkrete Dinglichkeit und begehbare Szenerien übersetzt. Während Raysse Gemälde mit Alltagsobjekten oder kleinen Filmprojektionen erweitert, verbindet sein Kurzfilm Jésus-Cola Szenerien und Requisiten früherer Arbeiten mit Reenactments von Werbeclips und Medienereignissen wie einem Weltraumausflug oder Interview mit André Malraux. Dies deutet Stallschus als Inversion der in Waren- und Medienwelt wirksamen Mitmach- und Rollenspiel-Mechanismen zur aktiven spielerischen Option. Raysse' Ansätze bündeln sich für sie daher im "Bild als eine[r] inverse[n] Welt" (217), dessen abstrahierte Wunschträume ins Soziale zurückwirken.
Insgesamt untermauern die sechs Fallstudien die Kernthese der Untersuchung, derzufolge der Film "wie ein Metamedium" für die "Relationen von Bildern, Medien und Dispositiven" (225) und das Bild als "Vermittlungskategorie zwischen verschiedenen Gattungen und Medien [...], zwischen visuellen Kulturen und sozialen Realitäten" (230) fungiert. Der parallele Aufbau der Einzelstudien ist überaus stringent und leserfreundlich, gleicht bei aller anschaulichen Beschreibung und detailgenauen Analysen indes in der Summe die Beispiele etwas an. Im Fazit stellt die Vermittlung zwischen differentiellen visuellen Ordnungen und die Vereinigung verschiedener performativer Kunstpraxen deren gemeinsamen, naturgemäß recht allgemeinen Nenner dar. Komplementär zum Einstieg über die Berner Ausstellung 12 Environments mit dem Filmprogramm der Galerie Claude Givaudan hätte es sich gelohnt, auch solche Kontextualisierungen sowie die angedeuteten historischen Filiationen, Abgrenzungen zu und Schnittmengen mit zeitgleichen Filmexperimenten (von Fluxus, anderen Nouveau Réalistes mit ihren Schriftfilmen oder den ganz unerwähnten deutschen Vertretern der Pop Art) zu resümieren. So scheinen diese Aspekte nur partiell mit Hinweisen etwa auf Paolozzis Rezeption der französischen Filmavantgarde oder auf Jean Cocteau als Mittler zwischen Raysse und Kenneth Anger sowie über die sorgfältig recherchierten Aufführungsformen auf, die die diversen institutionellen Verortungen der Arbeiten gebührend reflektieren. Ihre zentrale Argumentation aber rundet Stefanie Stallschus überzeugend ab mit dem Vorschlag, die Künstlerfilme analog zu den filmtheoretischen Implikationen des Experimentalfilms als angewandte Bildtheorie zu verstehen. Und auch der weiterreichenden Schlussfolgerung, dass es sich hierbei nicht nur um frühe künstlerische Filmexperimente, sondern um Vorläufer der Medienkunst generell handelt, kann nur zugestimmt werden.
Annette Urban