Armin Kohnle / Manfred Rudersdorf (Hgg.): Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung. Band 1: 1513-1517, bearb. von Stefan Michel, Beate Kusche und Ulrike Ludwig unter Mitarbeit von Vasily Arslanov, Alexander Bartmuß und Konstantin Enge, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017, 566 S., eine Kt., ISBN 978-3-374-04960-8, EUR 84,00
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Verschiedene Projekte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig haben sich in der Vergangenheit große Verdienste bei der Erschließung und der Edition obrigkeitlicher Dokumente aus der Reformationszeit erworben. Erinnert sei an die Edition der "Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen" und an die "Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen". An diese Tradition knüpft das im Jahr 2014 begonnene Editionsprojekt "Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung" an.
Standen bei den zurückliegenden, genannten Editionsvorhaben stets die politischen und diplomatischen Handlungsweisen und Positionierungen von Fürsten der albertinischen Linie des Hauses Wettin im Zentrum des Interesses, so rückt jetzt mit der Kirchenpolitik der Kurfürsten Friedrich III., dem Weisen, und Johann dem Beständigen erstmals die Politikgestaltung der ernestinischen Linie in den Fokus. Damit wird eine entscheidende Forschungslücke geschlossen. Handelte es sich bei dem ernestinischen Kurfürstentum Sachsen doch keineswegs nur um den Ausgangspunkt reformatorischen Gedankenguts in Deutschland, da Martin Luther in Wittenberg wirkte, sondern zudem um das nach der Ständeordnung des Reichs politisch bedeutsamste Fürstentum, in dem die Reformation umgesetzt wurde.
Wie geplant konnte Ende des Jahres 2017 der erste Band der dreibändig konzipierten Edition vorgelegt werden. In ihm werden Dokumente aus den Jahren 1513 bis 1517 präsentiert. Der Band erschließt somit Quellen zur kirchenpolitischen Agenda der ernestinischen Kurfürsten vor der Reformation und vermittelt einen exquisiten Einblick in deren Kirchenpolitik. Einer der besonderen Reize des Editionsprojekts liegt gerade darin, über die drei zu erwartenden Editionsbände hinweg die politischen und juristischen Veränderungen bzw. Kontinuitäten innerhalb der Kirchenpolitik der Ernestiner vor dem Hintergrund der Reformation anhand von Originaldokumenten nachvollziehen zu können. In diesem Zusammenhang sei grundsätzlich angemerkt, dass eine umfangreiche Bereitstellung von Quellenmaterial aus den Kanzleien, wodurch nicht nur die Verschiedenartigkeit der politischen und juristischen Umsetzung der Reformation in den unterschiedlichen Territorien des Reichs eindrücklich dokumentiert würde, im Vergleich zu Werk- bzw. Briefeditionen von Theologen der Reformation bislang jedenfalls deutlich zu kurz gekommen ist.
Der Band wird mit einem Vorwort der Herausgeber eröffnet, in dem diese die Entstehung des Projekts und seine Verortung in der Wissenschaftslandschaft skizzieren. Es folgt eine vorzügliche Einleitung des Arbeitsstellenleiters, die die landeskundlichen Hintergründe kurz, aber detailliert beschreibt und den Nutzer über die Spezifika der wettinischen Territorialverhältnisse und die Kirchenpolitik des Hauses am Vorabend der Reformation orientiert. Dies gelingt umso anschaulicher, da im Rahmen der Einleitung zwei Karten (14f. und 26f.) zum Abdruck gelangen, die eigens für die Edition erstellt wurden. Darüber hinaus wird die Leserschaft hier bereits über Themenschwerpunkte der ernestinischen Kirchenpolitik zwischen 1513 und 1517 (Allerheiligenstift Wittenberg, Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit, Beziehungen zu den mitteldeutschen Bischöfen und Domkapiteln, Reliquien- und Heiltumssammlung, Klosterpolitik, 23-28) informiert und der Bearbeitungszeitraum der Edition erläutert. Den Ausgangspunkt stellt das Jahr der Mutschierung (1513) dar, d.h. der "Aufteilung von Verwaltungsaufgaben und territorialen Zuständigkeitsbereiche bei Beibehaltung des Gesamtbesitzes" (18) zwischen den beiden Brüdern Friedrich und Johann. Der Bearbeitungszeitraum endet mit dem Tod Johanns des Beständigen im Jahr 1532. Sinnvoll durchbrochen wird diese Chronologie durch den Abdruck des Testaments Friedrichs aus dem Jahr 1493 (51-55), der Hofratsordnung der beiden Brüder aus dem Jahr 1499 (55-61) sowie durch die erstmalige Publikation des Privilegs von Papst Julius II. zur Sammlung von Reliquien (61f.) aus dem Jahr 1507, da so Veränderungen und Kontinuitäten im Selbstverständnis Friedrichs, der ernestinischen Verwaltungsordnung und des Umgangs mit der Heiltumssammlung im Wittenberger Allerheiligenstift noch deutlicher veranschaulicht werden können.
Nach der Einleitung werden die Editionsrichtlinien und Editionsgrundsätze erläutert. Jedem Schriftstück voran steht eine Beschreibung, die mit einem "Kopfteil" beginnt, in dem - soweit bekannt - Verfasser und Adressat, Ausstellungsort und Ausstellungsdatum genannt werden.
Es folgt ein "Regest", in dem die Quelle in Sinnabschnitte gegliedert und deren Inhalte kurz wiedergegeben werden. Anhand von vor, in oder nach dem Regest angebrachten Verweisen auf die weitere Korrespondenz der entsprechenden Verfasser oder Adressaten bzw. auf Schriftstücke, auf die direkt Bezug genommen wird oder die inhaltlich weiterführend sind, können Prozesse, Problemstellungen und Diskussionen nachvollzogen werden, die die kursächsische Kirchenpolitik in dieser Zeit längerfristig beschäftigte.
Durch die Bereitstellung von "Regesten" leistet die Edition überdies deutlich mehr als eine reine Beschäftigung mit der Kirchenpolitik, wie dies der Titel des Bandes vermuten ließe. Denn die Edition zieht Schriftstücke heran, die in anderen Kontexten (z.B. den jährlich zweimal stattfindenden Zusammenkünften der ernestinischen und albertinischen Räte in Schneeberg) entstanden (vgl. Nr. 4, 14, 17, 118, 126, 132, 214, 215, 286, 404, 410, 411, 447, 484, 486, 492, 529, 602, 657). Es gelingt mit der Edition daher, auch Themen nachzuvollziehen, die für die ernestinische Kanzlei von hoher politischer Bedeutung waren und nicht speziell die Kirchenpolitik betrafen. Konkret gesprochen bedeutet dies z.B., dass sich mithilfe der Edition die Chance ergibt, das Verhältnis zwischen den rivalisierenden wettinischen Linien neu auszuleuchten bzw. einen Einblick in diplomatische Vorgehensweisen und politische Strategien im 16. Jahrhundert zu vermitteln (z.B. Nr. 608 u.ö.).
Die Beschreibung schließt mit einer "Formalbeschreibung" ab, in der der Umfang des Dokuments, Archivsignatur, etwaige weitere Überlieferungen (Konzepte usw.) sowie vorhandene Editionen benannt und ggf. Hinweise zur Quellenkritik und Datierung gegeben werden. Zum Abdruck wird "bei verschiedenen genetischen Stufen die letzte zu ermittelnde Fassung" (35) gebracht. Damit soll erreicht werden, dass "der Text den Inhalt des Dokuments so wiedergibt, wie in sein/e Verfasser in der letztgültigen Form verstanden wissen wollte/n." (ebd.) Die Editionsregeln sehen für deutsche und lateinische Texte eine Normalisierung entsprechend des Lautwerts vor. Dies erhöht zweifelsohne die Nutzbarkeit und damit auch den Adressatenkreis der Edition.
Nach einem Verzeichnis der Siglen der benutzten Archive und Bibliotheken (37) sowie einem Abkürzungs- (39-41) und einem Quellen- und Literaturverzeichnis (43-47) kommen 658 Schriftstücke im "Quellenteil" (51-539) zum Abdruck. Die Dokumente können aufgrund des Umfangs der Quellenbasis freilich nicht alle vollständig im Wortlaut wiedergegeben werden. So gelangen sie teils als Regesten, teils als Teil-, teils als Volledition zum Druck. Die Bewertungsgrundlage ist bei dieser Einteilung die Bedeutung und Aussagekraft des Schriftstücks für die Kirchenpolitik der beiden ernestinischen Kurfürsten.
Die schon in der "Einleitung" benannten Themenschwerpunkte lassen sich im Quellenteil keineswegs nur an der reichen Korrespondenz zwischen den beiden Fürsten und ihren Räten einerseits sowie mit anderen Fürsten und deren Berater andererseits intensiv studieren. Es lassen sich vielmehr die "großen Themen" anhand von kleinen, in den Bereich der Alltagsgeschichte zu verortenden Angelegenheiten schlaglichtartig beleuchten. Exemplarisch sei hier auf die Dokumente zur Eheangelegenheit der Barbara Ott verwiesen. Diese beschäftigte die ernestinische Kanzlei vor dem Hintergrund der Versuche zur Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit (Nr. 94, 96, 107, 108, 274, 294, 610).
Ein Orts- und Personenregister runden den Band ab, der einen gelungenen und mit Blick auf die noch ausstehenden drei Bände des Editionsprojekts einen sehr verheißungsvollen Beginn darstellt.
Jan Martin Lies