Dietmar Mieth / Marie-Anne Vannier / Markus Vinzent u.a. (eds.): Meister Eckhart in Paris and Strasbourg (= Eckhart: Texts and Studies; Vol. 4), Leuven: Peeters 2017, XXII + 492 S., ISBN 978-90-429-3230-2, EUR 95,00
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Marie-Anne Vannier (ed.): Judaïsme et christianisme au Moyen Âge, Turnhout: Brepols 2020
Die im belgischen Wissenschaftsverlag Peeters herausgegebene neue Reihe 'Eckhart: Texts and Studies' verfolgt das Ziel, sowohl Meister Eckharts Werke als auch wissenschaftliche Untersuchungen zu seinen Schriften in englischer Sprache herauszubringen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Forschung zu Eckhart in den letzten Jahrzehnten nicht nur an Umfang, sondern auch an Internationalität deutlich zugenommen hat.
Die zur Zeit des Nationalsozialismus begonnene kritische Ausgabe der deutschen und lateinischen Werke von Meister Eckhart im Verlag Kohlhammer steht kurz vor dem Abschluss. Verantwortlich für die deutschen Werke zeichnet seit einigen Jahren der deutsche Germanist Georg Steer (Würzburg), für die jetzt fertig gestellte Ausgabe der lateinischen Werke der italienische Mediävist Loris Sturlese (Lecce). Finanziert wurde das Ganze von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vom italienischen Staat. Mittlerweile liegen auch Übersetzungen in fast allen Sprachen Europas vor. Nicht zu übersehen ist auch die Resonanz, auf die das Werk des dominikanischen Gelehrten in Japan stößt.
Das allgemeine Interesse an Eckhart ( † um 1328) als einer Schlüsselfigur des europäischen Mittelalters ist eng mit seiner Lebensgeschichte verknüpft: Wie konnte es geschehen, dass ein hochangesehener Theologe, der 1311-1313 bereits zum zweiten Mal auf den Lehrstuhl für Theologie für auswärtige Ordensangehörige an der Universität Paris berufen worden war und mehrere hohe Ämter in der Organisation seines Ordens eingenommen hatte, allein aufgrund der Denunziation durch zwei Kölner Ordensbrüder vor Gericht gestellt und schließlich 1329 von der päpstlichen Kurie in Avignon postum verurteilt wurde? Diese Frage stand auch im Zentrum von zwei Tagungen zu Meister Eckhart in Paris und in Straßburg, deren Beiträge nun im vorliegenden vierten Band dieser Reihe publiziert sind.
Die Pariser Tagung vom 28. - 30. Mai 2010 wurde von der Meister-Eckhart-Gesellschaft und dem Max-Weber-Kolleg an der Universität Erfurt veranstaltet. Sie war dem Gedächtnis Marguerite Poretes gewidmet, die ein Jahr vor der Ankunft Eckharts in Paris am 1. Juni 1310 auf der 'Place de Grève' wegen ihres Buches 'Le miroir des âmes simples' den Tod auf dem Scheiterhaufen erlitten hatte. Darüber hinaus sollte der Pariser Kontext von Eckharts Schaffen weiter ausgeleuchtet werden.
Den Anfang macht ein Beitrag von Peter Walter (Freiburg im Breisgau) über Raimundus Lullus (Ramon Llull) und seinen letzten Aufenthalt in Paris (1309-1311). Lullus († 1316) war Mitglied des franziskanischen Dritten Ordens auf Mallorca. Er stand dem mallorquinischen Königshaus nahe und stellte sein weitgespanntes philosophisches Werk in den Dienst der Mission gegen die Muslime. In Paris suchte er als Laie für sein Werk die Anerkennung des französischen Königs und der Universität, die ihm nur mit Einschränkung zuteil wurde. Ob er dort auch Eckhart begegnet ist, wissen wir nicht. Interessante Bezüge zu Eckhart ergeben sich jedoch durch seine Ablehnung der Lehre des arabischen Philosophen Averroes († 1198), mit dessen Aristoteles-Kommentaren sich auch Eckhart befasste.
Weitere Beiträge gelten dem Buch Marguerite Poretes und dessen Nachwirkung im deutschen Sprachbereich. So vergleicht Dietmar Mieth (Tübingen/Erfurt) einige Schlüsselbegriffe des 'Miroir' mit einigen Predigten Eckharts, während Franz Josef Schweizer (Düsseldorf) anderen 'verbrannten' Büchern im Kontext der sog. 'Häresie des Freien Geistes' nachgeht, der er im weiteren Sinne auch den Traktat von 'Schwester Katrei' und die Brüsseler Homines Intelligentiae von 1410/11 zurechnet. Freimut Löser leitet über zur Rezeption Eckharts im 14. Jahrhundert. Er präsentiert zunächst eine vollständige Sammlung von Textstellen, in denen Eckhart selber mit Hochachtung über Paris spricht. Der Eckhart später zugelegte Topos 'Meister Eckhart von Paris' lässt sich Löser zufolge freilich erst in Melker Handschriften dominikanischer Provenienz nachweisen.
Andrés Quéro-Sanchez (Regensburg/Erfurt) untersucht die historischen Bezüge zwischen Meister Eckhart, Marguerite Porete und Gottfried von Fontaines. Gottfried von Fontaines († nach 1305) wird in einer späteren lateinischen Übersetzung des Miroir als einer der Theologen bezeichnet, die deren Inhalt verteidigt haben sollen. Er lehrte als Weltgeistlicher an der Universität Paris und vertrat Quéro-Sanchez zufolge eine fundamental andere metaphysische Position als Eckhart und Marguerite Porete. Aus diesem Grund sei die Annahme, er habe Marguerites Buch 'approbiert' nicht haltbar.
Um die Metaphysik Eckharts geht es auch im Beitrag von Julie Casteigt (Toulouse/Erfurt). Sie fragt darin nach den philosophischen Hintergründen der Verurteilung der in Art. 25 der Bulle In agro dominico (1329) beanstandeten Lehre Eckharts hinsichtlich der Gleichrangigkeit von Gottes- und Nächstenliebe.
Eckharts frühe Lehrtätigkeit an der Universität Paris steht im Zentrum des Beitrages von Markus Vinzent (London/Erfurt). Seine Ausführungen sind als Bestandteil des unter seiner Leitung stehenden Forschungsprojektes des britischen Forschungsrates AHRC am King's College in London zu sehen, das unter dem Titel 'Meister Eckhart and the Parisian University in the early 14th century - Codex Vaticanus Latinus 1086' auch das ganze Umfeld seiner Pariser Lehrtätigkeit in den Blick nimmt. Im vorliegenden Band stellt Vinzent die drei frühesten Textzeugen von Eckharts Tätigkeit in Paris in einer kommentierten zweisprachigen lateinisch-englischen Ausgabe vor.
Den Abschluss des Pariser Teils bildet ein interessanter Aufsatz von Martina Roesner zu Eckharts Eucharistie-Verständnis. Sie betont darin die Neuartigkeit von Eckharts spekulativem Denken, dessen Verständnis der Eucharistie sich deutlich von der Tradition und insbesondere von seinem Ordensbruder Thomas von Aquin abhob. Man darf auf das Erscheinen ihrer Habilitation zum gleichen Thema gespannt sein.
Die zweite Tagung fand im September 2013 in Straßburg statt und wurde organisiert von Marie-Anne Vannier (Metz), der Initiatorin und Leiterin der Forschungsgruppe 'Mystique Rhénane' an der 'Université de Lorraine' in Metz. Sie vertritt in diesem Band die französischsprachige Forschung zu Eckhart, die ihr zufolge in den 1950-1970 ihren Anfang genommen hat und mittlerweile eng vernetzt ist mit den erwähnten Forschungszentren in Deutschland, Italien, Japan, England und den USA. Straßburg gehört neben Erfurt, Köln und Paris zu den Städten, in denen sich Meister Eckhart möglicherweise längere Zeit aufgehalten hat, wobei über Zeitpunkt und Zweck seiner Reise ins Elsass keine sicheren Angaben vorliegen. Die Stadt selber gehörte nach den Ausführungen von Francis Rapp zu den mittleren Städten des Reiches mit einer geschätzten Zahl von 16000 Einwohnern. Ihr Reichtum manifestiert sich im Neubau der Predigerkirche und in der Vollendung der Westseite des Münsters durch Erwin von Steinbach. Eckhart erwähnt die Kathedrale in einer Predigt, was Yves Meessen (Metz) veranlasst, über Eckharts Auffassung von Architektur nachzudenken. Zu den ungelösten Fragen der Forschung gehört auch die Frage, ob und wenn ja, über welche Themen und vor welchem Publikum Eckhart in Straßburg predigte. Diesem Problem sind die Beiträge von Isabelle Raviolo (Metz), Maxime Mauriège (Metz/Köln) und Freimut Löser gewidmet, mit dem Ergebnis, dass man bei einer Reihe seiner deutschen Predigten tatsächlich mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen darf, dass sie aus der Straßburger Zeit stammen. In ihnen werden zentrale Inhalte von Eckharts Ontologie und Christologie angesprochen, die ihm ein Jahrzehnt später in den Kölner Prozessakten zum Vorwurf gemacht wurden. In die Straßburger Zeit Eckharts fällt auch der Prozess des Straßburger Bischofs Johannes I. von Zürich gegen die Brüder und Schwestern des sog. 'Freien Geistes'. Deshalb ist es richtig, das Prozessschreiben des Bischofs vom 13. August 1317 genauer in den Blick zu nehmen. Welche Bedeutung dieser Prozess für die Rezeption Eckharts im 14. und 15. Jahrhundert hatte, wird ersichtlich in den letzten Beiträgen von Jean-Claude Lagarrigue (Metz) und Jean Devriendt (Metz). Lagarrigue untersucht die postume Rolle Eckharts in der Kontroverse zwischen Johannes Wenck von Herrenberg gegen Nikolaus von Kues. Johannes von Wenck, seit 1443 Rektor der Universität Heidelberg, verfasste unter dem Titel 'De ignota litteratura' ein Pamphlet gegen Nikolaus von Kues. Er warf ihm darin vor, in seinem Buch 'De docta ignorantia' Thesen Eckharts übernommen zu haben, und sei deshalb wie Eckhart als Häretiker zu bezeichnen. Devriendt greift diesen Punkt in seiner Analyse des 'Freien Geistes' ebenfalls auf und kommt zum Schluss, dass Eckhart wegen seiner Predigten bereits in Straßburg und nicht erst 1326 in Köln unter Erzbischof Heinrich von Virneburg verdächtigt wurde, einen freigeistigen Pantheismus zu vertreten. Eckhart sei also dem 'Kreuzzug' von zwei befreundeten Bischöfen zu Opfer gefallen und die 'Häresie des Freien Geistes' ein Konstrukt, das in Wahrheit nicht die rheinischen Beginen und Begarden, sondern die Lehre Eckharts im Visier hatte.
Diese These ist entschieden abzulehnen. Richtig ist, dass Eckhart in den Kölner Prozessakten aus dem Jahr 1326 und später auch in der päpstlichen Bulle In agro dominico in die Nähe der 'Häresie des Freien Geistes' gerückt wurde, was die postume Sicht Wencks auf Eckhart erklärt. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass Eckhart bereits in seiner Straßburger Zeit wegen seiner Lehre angegriffen wurde oder in Konflikte mit Bischof Johann I. geraten wäre. Festzuhalten bleibt, dass beide Prozesse, also sowohl der Prozess von 1317 gegen den 'Freien Geist' wie der Prozess gegen Eckhart im Herbst 1326, aufgrund einer Denunziation erfolgte und die jeweils beteiligten Diözesanvorsteher prozessrechtlich ex officio gezwungen waren, das Prozessverfahren zu eröffnen. Devriendt ist auch der Ansicht, dass die Häresie des Freien Geistes nichts mit Amalricus von Bène, dem 1215 verurteilten Pariser Magister zu tun habe, wie vielfach angenommen wird. Er übersieht aber, dass das von ihm zitierte Diktum des Thomas von Aquin über die amalrikanische Häresie an prominenter Stelle die Liste der Glaubensirrtümer des 'Freien Geistes' in der Bulle vom 13. 8. 1317 anführt. Wenn die Häresie des Freien Geistes also als ein Konstrukt anzusehen ist, so sind die 'Erfinder' dieser Konstruktion und die Denunzianten dieser Häresie in Straßburg bestimmt nicht an der bischöflichen Kurie zu suchen, sondern im Kreis von Theologen aus dem Straßburger Dominikanerkloster und möglicherweise bei Eckhart selber, dem aus Paris nach Straßburg gereisten Generalvikar des Dominikanerordens.
Insgesamt geben die anregenden Beiträge des vorliegenden Bandes einen guten Einblick in die gegenwärtigen Debatten und künftigen Ziele der Eckhartforschung. Den Herausgebern ist zu danken, dass es gelungen ist, zwei verschiedene Tagungen inhaltlich miteinander zu verknüpfen und mit ersten Ergebnissen aus dem aktuellen Londoner Projekt 'Meister Eckhart and the Parisian University' zu verbinden. Erfreulich ist die Mehrsprachigkeit des Bandes, die in Zukunft hoffentlich auch für kommende Bände dieser Reihe möglich sein wird.
Martina Wehrli-Johns