Mark Hewitson: Absolute War. Violence and Mass Warfare in the German Lands, 1792-1820, Oxford: Oxford University Press 2017, XVII + 297 S., 4 Kt., 4 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-878745-7, GBP 65,00
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Mark Hewitson: The People's Wars. Histories of Violence in the German Lands, 1820-1888, Oxford: Oxford University Press 2017, XVII + 567 S., 6 Kt., 18 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-956426-2, GBP 85,00
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Christa-Irene Klein: Elite und Krise. Expansion und "Selbstbehauptung" der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945-1967, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020
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Es ist nicht leicht, die Argumentationslinie Mark Hewitsons zu beschreiben. Das liegt auch daran, dass er sein Vorhaben, "the transition to and from 'civilized' warfare" (Bd. 1, 10) in Deutschland zwischen dem späten 18. und der Mitte des 20. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen hat. Ein drittes Buch steht aus. Zunächst zum ersten. Wie ist es aufgebaut, wie wird argumentiert?
Es geht um die Bedeutung von Gewalt im Krieg. In seiner Schlussbilanz - mit ihr zu beginnen ist ratsam, um den roten Faden zu erkennen - grenzt er sich erneut von der gesamten Forschung ab. Bei aller Vielfalt stimme sie doch in einem überein: Es gehe ihr um den Zusammenhang von nationalen Bindungen (oder deren Fehlen) und Krieg. Er hingegen zeige, dass die damaligen Zeitgenossen oft ihr nationales Engagement von ihren Einstellungen zum Krieg getrennt hätten. Bindungen zwischen nationalen Haltungen und Krieg seien, sofern sie vorhanden waren, oft von sekundärer Bedeutung gewesen. Genau dies ist jedoch eine Kernaussage zumindest eines erheblichen Teils der neueren Forschung. Sie frage so beharrlich nach Beziehungen zwischen Krieg und Nationalismus, weil sie darauf angelegt sei, die alten nationalen Mythen vom Befreiungs- oder Freiheitskrieg zu widerlegen. Dabei würde die wichtigere Frage verdunkelt, wie sich die Vorstellungen von Krieg und Frieden in der Öffentlichkeit als Folge der Kriegserfahrungen verändert haben.
Die neuere Forschung ist jedoch nicht entstanden, um die alten nationalen Mythen zu widerlegen. Die Entmythologisierung war vielmehr ein gewichtiger "Beifang" lokaler und regionaler Forschung, die sich in detaillierter Quellenanalyse auf die damaligen Lebenswelten einer breiten Bevölkerung eingelassen hat. Ein zentrales Ergebnis lautet: Der Krieg wurde keineswegs vorrangig in nationaler Sicht wahrgenommen. Die nationalen Deutungen einer schmalen Bildungsschicht, die das Bild der Kriege in der napoleonischen Ära so lange geprägt haben, fand diese Forschung in den Lebenswelten etwa im deutschen Südwesten oder in Hamburg nicht bestätigt. Was Hewitson als neu ausflaggt, stimmt hier mit dem Forschungsstand überein.
Das Buch beginnt mit einer Einführung in "Theories of War and Violence". Die gegenwärtige Forschung, die historische Kontinuität in der Kriegführung stark mache und die Relevanz nationaler Motive abschwäche, sei ebenso irreführend wie die Fixierung früherer Historiker auf die Überzeugung, man habe es mit nationalen Befreiungskriegen zu tun. Bei ihm dagegen stehe im Mittelpunkt, wie die Menschen Kriegsgewalt und Tod in ihrem täglichen Leben erfahren und diese Erfahrungen verarbeitet und erinnert haben. Genau dies ist jedoch das Zentrum der neueren Forschung. Ute Planert, auf deren Quellenforschung er sich oft stützt, führt er immer wieder als Gegenpol zu seinem Ansatz an. [1] Doch gerade aus ihren Forschungen kann man lernen, wie tief der Krieg in das Leben der Menschen eingegriffen hat, wie sie versucht haben, sich in ihm zurecht zu finden, ihm auszuweichen, wie sie ihn begreifen wollten und an ihn erinnert haben. Kurz, was Hewitson als Zentrum seines Buches bestimmt, steht in der Kontinuität zu der Forschung, die das neue Bild der Kriegsära bestimmt.
Das erste Kapitel ist einem Schwerpunkt der Militärforschung gewidmet: "From Cabinet Warfare to Mass Armies". Hewitson lehnt es ab (wie mehrheitlich die Forschung), die damaligen Kriege als 'totale' zu bezeichnen. Sie waren 'Volkskriege'. Doch seine Definition weicht von der neueren Forschung ab, indem er sie bestimmt sieht durch "unparalleled levels of popular enthusiasm, participation, and sacrifice" (43). Die Größe der Armeen, die Intensität der Schlachten, die Zahl der Toten und Verwundeten waren neuartig. Doch "popular enthusiasm"? Das widerspricht der Forschung, die für viele Staaten gezeigt hat, dass nichts so verhasst war wie die Zwangsrekrutierung, zu der nun alle Staaten griffen, um gegen Napoleon bestehen zu können. Hewitson beschreibt zunächst die staatliche Rekrutierungspraxis und Zukunftspläne der Militärreformer. Das wichtigste Werk zur Kriegswahrnehmung in der preußischen Staatsspitze erwähnt er nicht. [2] Aufschluss über die Kriegserfahrungen in der Bevölkerung versprechen die nächsten drei Kapitel.
"Heroism and the Defense of the Volk": Antwort darauf sucht Hewitson neben einigen Blicken in Zeitungen, Zeitschriften, Predigten überwiegend bei Autoren wie Fichte, Arndt, Schleiermacher, Abbt, Kant, W. v. Humboldt, Niebuhr, Jean Paul, Wieland, Görres, Gentz, Adam Müller, Th. Körner, Schiller, Krug, Welcker, Tschirner und anderen. Wie man diese Autoren als Beleg dafür anführen kann, dass keineswegs nur "a small minority of Germans, especially German intellectuals" "a mythic image of the national past" erschaffen habe (105, er zitiert James Sheehan), ist schwer zu verstehen. Hewitson bewegt sich hier in diesem Minderheitenzirkel. Deren Vorstellungen zu untersuchen, ist wichtig. Karen Hagemann hat dazu für Preußen die maßgebliche Studie vorgelegt. [3] Doch damit widerlegt man nicht jene Forschung, die anhand anderer Quellen erschließt, wie man außerhalb dieser Bildungskreise auf die Kriege reagiert und woran man sich dort orientiert hat. Religion war weitaus wichtiger als Nation.
"The Violence of Civilian Life" ist das nächste Kapitel überschrieben. Es geht darum zu ermitteln, so beginnt es, wie sich zeitgenössische Vorstellungen vom Krieg durch Kriegserfahrungen verändert haben. Zunächst wird skizziert, wie damals Menschen mit Gewalt und Tod umgegangen sind: öffentliche Hinrichtungen und Kritik daran, Sensibilität für das eigene Leid und das anderer, Hegels Kriegserfahrung und seine Einheirat in eine vermögende Familie, Kriegserfahrungen anderer kommen hinzu. Das Kapitel endet mit der Aussage, nur selten hätten Zivilisten Einblick gewonnen in "the true conditions of war" (158). Das stimmt, wenn man die Schlachten im Blick hat, nicht aber, falls man auch das Kriegsleid der Zivilbevölkerung zu den wahren Kriegsbedingungen rechnet. Diese Differenzierung ist auch wichtig, wenn man nach Zäsuren fragt. Auch hier grenzt sich Hewitson von anderen Forschungspositionen ab. Doch was aus der Perspektive 'Volkskrieg' als kriegsgeschichtliche Zäsur erscheint, kann in der Sicht der unter dem Krieg leidenden Zivilbevölkerung Kontinuität bedeuten.
"The Lives of Soldiers" ist das nächste Kapitel überschrieben. Hier werden vor allem Briefe, Tagebücher, Erinnerungen ausgewertet. Ein Abschnitt geht auf die Freiwilligen in Preußen ein. Die Vielfalt der Kriegswahrnehmungen wird deutlich: Unterschiede zwischen Offizieren und Soldaten, auf welcher Seite man stand, wo man eingesetzt wurde und anderes mehr. Das letzte Kapitel befasst sich mit Kriegserinnerungen. Auch dies ist ein dicht beforschtes Gebiet. Hewitson meint, die Unterschiede in den Erinnerungen seien den Zeitgenossen nicht so deutlich gewesen wie man in der Forschung behaupte. Es wäre unfair, ein schmales Kapitel mit Büchern zu diesem Thema abzugleichen. [4] Stattdessen einige Bemerkungen zum Zusammenhang von Krieg und Nation.
Obwohl Hewitson beides voneinander trennen will (wie viele der damaligen Zeitgenossen, dies ist ein Hauptergebnis der neueren Forschung), zieht er immer wieder Linien zwischen beiden Bereichen. Doch was hieß konkret "Germanness" (106), wie wird 'Nation' mit Staat verbunden und mit welchem? Was ist "a putative German nation" (70, 247), die in den Augen gebildeter Beobachter unter dem Druck der Kriege entstanden sei? Auf solche Fragen ist die Konzeption des Buches nicht zugeschnitten. Wenn man es in die Theorien zum Themenfeld Nation einordnet, wird man sagen dürfen: Hewitson schreibt über Voraussetzungen von Nationsbildung. Die damaligen Kriege gehörten zweifellos dazu. Das bestreitet auch jene neuere Forschung nicht, die (wie Hewitson) die Bedeutung nationaler Motivationen für die große Mehrheit der damaligen Bevölkerung in deutschen (und anderen) Staaten bei weitem nicht so hoch einschätzt wie es man es zuvor getan hatte. Insofern wird man Hewitsons Buch den Hauptlinien der jüngeren Forschungen zu den Kriegen der Revolutionszeit und der napoleonischen Ära zurechnen dürfen. Auch wenn er sich im Widerspruch dazu wähnt.
Auch das Programm des zweiten Buches ist darauf ausgerichtet, "the imagination, representation, and commemoration" der Kriege im 19. Jahrhundert und den Weg in den deutschen Nationalstaat "potentially" zu trennen, ohne Bezüge zwischen Krieg und Nation zu bestreiten. (14) Dieses Programm einzulösen ist außerordentlich anspruchsvoll, weil viele Menschen damals die Kriege als nationale verstanden haben. Das zeigen auch die Quellen, die Hewitson befragt. Immer wieder tauchen in ihnen Begriffe aus dem Wortfeld Nation auf. Wenn dennoch das Trennungsprogramm überzeugender eingelöst wird als im ersten Buch, so liegt das daran, dass nun die Operationsgeschichte des Krieges im Mittelpunkt steht. Dies gilt vor allem für den Krieg 1870/71. Doch zunächst wird in drei Kapiteln dargelegt, wie Autoren des 19. Jahrhunderts den Krieg bewerteten - er galt, wie anderswo auch, überwiegend als unvermeidbar und als Geschäft des Staates -, was sie über die Armee dachten und wie sie organisiert werden sollte - "Life in German Armies" ist das Kapitel überschrieben - und wie die Gewalt im Staatsinnern zurückgedrängt wurde. Diese "pacification" (117ff.) bildet die Kontrastfolie zur Kriegsphase der 1860er Jahre. Die militärischen Interventionen 1848/49 und die entfernten Kriege (u.a. Krim-Krieg), über die man aus der Presse erfuhr, konnten ebenfalls nicht die Realität des modernen Krieges vermitteln. Die mangelnde Kriegserfahrung habe für die mythische Verklärung des Krieges von 1813 anfällig gemacht.
Die drei Kriege der 1860er Jahre, die mit Blick auf die Entstehung des deutschen Nationalstaats meist als die Einigungskriege zusammengefasst werden, betrachtet Hewitson getrennt. Das ist wichtig, denn so kann er die Unterschiede herausarbeiten. Am stärksten bewegte der deutsch-französische Krieg die deutsche Gesellschaft. Hier gelingen Hewitson eindringliche Analysen. Nur einige können hier hervorgehoben werden. Auch in der zweiten Kriegsphase, als in Frankreich nach der militärischen Niederlage die guerre à outrance ausgerufen wurde, wollten die deutsche militärische Führung und auch die meisten Offiziere den Krieg als einen Kampf zwischen Armeen fortsetzen. Der 'Volkskrieg' wurde nicht zu einem Krieg zwischen Völkern. Die große Mehrheit der Toten waren Soldaten. Das trennt diesen Krieg scharf von Kriegen des 20. Jahrhunderts. Die verstörende Zerstörungsgewalt des Krieges wurde als Widerspruch zu den "pacified mores of the civil society" (428) empfunden. Briefe und Tagebücher hielten dies fest. Auch nach dem Krieg, als er als Erfüllung der nationalstaatlichen Träume gepriesen und mythisiert wurde, verblassten die schrecklichen Erinnerungen nicht. Über sie wurde weiterhin geschrieben. Vor allem gingen die vielen Millionen Feldpostbriefe in den "dynamic public discourse about the character of modern warfare" ein (495). Der "military conservatism", der den Krieg scheute, habe eine seiner Wurzeln in den Kriegserfahrungen von 1870/71 (507).
Das Schlusskapitel "Reflections on Violence" bilanziert nicht nur. Es zieht auch erneut Trennlinien zur Forschung. Nicht immer überzeugen sie. Warum sollte man Hewitsons Konzept, den Krieg als ein Gewaltgeschehen sui generis zu untersuchen, als einen Widerspruch zu jener Forschung sehen, die danach fragt, welche politischen und insbesondere nationalpolitischen Erwartungen Zeitgenossen mit ihm verbunden haben? Das sind zwei unterschiedliche 'Sehepunkte', die sich nur widersprechen, wenn man einen einzelnen verabsolutiert. Tut man das nicht, so ergänzen sie sich, indem sie das Kriegsgeschehen zwei unterschiedlichen Perspektiven zuordnen. Die Unterschiede zwischen den napoleonischen Kriegen und denen der 1860er Jahre erschließen sich in der Tat nicht allein aus den unterschiedlichen Formen und Zielen des deutschen Nationalismus. Das hebt Hewitson mit guten Gründen hervor. Doch warum sollten Studien, welche die Differenzen zwischen den deutschen Staaten hervorheben und sie der Tradition der deutschen Föderativnation zuordnen oder die "national mechanisms of enmity" (515) im Krieg betrachten, darin versagen ("fail"), den soldatischen Gehorsam in den so unterschiedlichen Kriegen zu erklären? Sie fragen nicht danach, weil sie andere Aspekte des Krieges analysieren. Hewitson Erklärung für "the phlegmatic, routine obedience" (516) der Soldaten im 19. Jahrhundert (im Gegensatz zu denen des 18.) lautet: weil die Legitimität der Armee nicht bezweifelt wurde und der Krieg gesellschaftlich akzeptiert war. Darin wird man keine deutsche Besonderheit sehen können, sondern den Beleg dafür, dass im 19. Jahrhundert die Institutionalisierung des modernen Militärs und seiner Handlungsorientierung gelungen ist. Der Soziologe M. Rainer Lepsius hat diese Institutionalisierungsaufgabe so definiert: "Das moderne Militär ist ein Kampfverband von außerordentlich geschulten Spezialisten." Es bildet eine spezifische "militärische Subkultur" aus, deren "institutionalisierte Leitidee" die "individuelle Todesbereitschaft" ist. Sie muss den Soldaten kollektiv vermittelt werden - einzulösen ausschließlich im Krieg, nicht im Frieden. [5] Wie das in deutschen Staaten im 19. Jahrhundert geschehen ist, untersucht Hewitson. Mit Hilfe der Institutionalisierungstheorie hätte er seine historischen Befunde systematisieren und für den Vergleich vorbereiten können. Man darf gespannt sein, wie er die weitere Entwicklung ins 20. Jahrhundert hinein analysieren wird.
Anmerkungen:
[1] Hier sei nur ihr grundlegendes Werk genannt: Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag - Wahrnehmung - Deutung 1792-1841, Paderborn 2007. Sie hat mehrere vergleichende Bücher zur napoleonischen Ära herausgegeben. Sehepunkte-Besprechung von Sebastian Dörfler: Rezension von: Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag - Wahrnehmung - Deutung 1792-1841, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/09/11263.html
[2] Birgit Aschmann: Preußens Ruhm und Deutschlands Ehre. Zum nationalen Ehrdiskurs im Vorfeld der preußisch-französischen Kriege des 19. Jahrhunderts, München 2013. Teile I und II zu 1806 und 1813. Sehepunkte-Besprechung von Jens Flemming: Rezension von: Birgit Aschmann: Preußens Ruhm und Deutschlands Ehre. Zum nationalen Ehrdiskurs im Vorfeld der preußisch-französischen Kriege des 19. Jahrhunderts, München: Oldenbourg 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 5 [15.05.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/05/21156.html
[3] Karen Hagemann: Mannlicher Muth und teutsche Ehre. Nation, Krieg und Geschlecht in der Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn 2002.
[4] Dazu nun insbes. Karen Hagemann: Revisiting Prussia's War against Napoleon. History, Culture and Memory, Cambridge 2015.
[5] M. Rainer Lepsius: Militärwesen und zivile Gewalt. Zur Institutionalisierung von Gewaltpotentialen in Friedenszeiten, in: Ute Frevert (Hg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, 359-370, 366.
Dieter Langewiesche